Deutsche Geschichte
Migration in Deutschland
Zuwanderer und ihre Nachfahren prägen die Gesellschaft Deutschlands: Millionen von ihnen kamen in der Nachkriegszeit als so genannte "Gastarbeiter" in die Bundesrepublik und blieben für immer. Auch Flüchtlinge und Spätaussiedler ließen sich nieder.
Von Alexandra Stober
Mehr Abwanderung als Zuwanderung?
Seit den 1970er Jahren suchen Menschen aus der ganzen Welt aus verschiedenen Gründen in Deutschland Asyl oder kommen aus wirtschaftlichen Gründen hierher. Begleitet wird diese heterogene Gesellschaft vor allem von einer Frage: Funktioniert es mit der Integration?
Seit Langem wird hierzulande bereits eine politische Debatte darüber geführt, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei. Noch im Jahr 2010 formulierte der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR Migration): Die Bundesrepublik sei "ein Migrationsland in der statistischen Mitte zwischen Ein- und Auswanderungsland".
Das bedeutet: Zu- und Abwanderung hielten sich zu Beginn des 21. Jahrhundert in Deutschland noch die Waage.
Erst seit 2010 verzeichnet die Bundesrepublik wieder deutlich mehr Zuzüge als Abwanderungen. Das Statistische Bundesamt legt jährlich eine Statistik vor, wie viele Menschen dauerhaft nach Deutschland gezogen sind und wie viele die Bundesrepublik verlassen haben. 2018 waren es 1,6 Millionen Zuwanderer gegenüber 1,2 Millionen Auswanderern.
Man muss zu dieser Statistik allerdings kritisch anmerken, dass daraus nicht hervorgeht, wie viele Menschen Deutschland tatsächlich langfristig den Rücken kehren. Dennoch sollten die Zahlen aufhorchen lassen, weil vor allem jüngere und überdurchschnittlich qualifizierte Menschen auswandern.
Mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz, das im März 2020 in Kraft trat, will die Politik die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland verstärken.
Herausforderungen für die vielfältige Gesellschaft
Trotz einer großen Abwanderungsrate wird die deutsche Gesellschaft immer vielfältiger. Das liegt daran, dass die Einwohner mit Migrationshintergrund durchschnittlich jünger sind und mehr Kinder bekommen als die Deutschen.
Damit wächst der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. So hatte laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2018 bereits mehr als ein Viertel der hier lebenden Menschen einen Migrationshintergrund (20,8 Millionen).
Gleichzeitig stammen die Zuwanderer aus mehr Herkunftsländern und -kulturen. In den 1970er Jahren kamen drei Viertel von ihnen aus fünf Ländern (Italien, Spanien, Griechenland, Türkei und Jugoslawien).
Heute dagegen verteilen sich drei Viertel der Einwanderer auf mehr als 80 Herkunftsgruppen. Das Jahresgutachten 2010 des SVR Migration nennt die Städte Frankfurt am Main und Stuttgart als Beispiele für die wachsende Heterogenität der Gesellschaft: Dort stammen die Zuwanderer bereits seit der Jahrtausendwende kontinuierlich aus mehr als 170 Ländern.
Spitzenreiter bei den Großstädten sind laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2019 die Städte Offenbach (41,8 Prozent Ausländeranteil) und Frankfurt (30,3 Prozent).
Zuwanderung nach Deutschland in den Jahren 2012 und 2013
Große Unterschiede bei der Bildung
Integration wird im Migrationsland Deutschland zwar alltäglicher, gleichzeitig aber auch durch die heterogenere Gesellschaft schwieriger. Die heutige Einwanderungsgesellschaft zeichnet sich durch die wachsende Vielfalt von Herkunftsländern und -kulturen aus mit ihren ethnischen, sprachlichen und religiösen Identitäten sowie durch die damit verbundenen Werte und Alltagspraktiken.
Darüber hinaus sind die Hintergründe für die Migration nach Deutschland verschieden: Die Bandbreite reicht von angeworbenen, anerkannten Arbeitsmigranten über Flüchtlinge und Asylbewerber bis hin zu Einwanderern, die sich illegal im Land aufhalten.
Problematisch für die Integration sind die weiterhin großen Unterschiede zwischen Deutschen und Zuwanderern bei der Bildung und Ausbildung: Laut Statistischem Bundesamt hatten im Jahr 2018 etwa 18 Prozent der Migranten keinen allgemeinen Schulabschluss, während dieser Wert bei den deutschen Bundesbürgern nur 5,4 Prozent betrug.
Großer Unterschied zwischen Deutschen und Zuwanderern
Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen (UN) kritisierte im Jahr 2007 vor allem die frühe Aufteilung der Kinder auf die Schulformen und die geringe Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems.
Betrachtet man die Zahlen zum Berufsabschluss bei Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren, so fehlt ein solcher bei rund 32 Prozent der Menschen mit ausländischer Herkunft; bei Personen, die zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, deren Eltern aber aus dem Ausland kommen, liegt die Quote bei 18,5 %, bei Bürgern ohne Migrationshintergrund sind es etwa 8,5 Prozent.
So ist es kaum erstaunlich, dass Menschen mit ausländischer Herkunft im Alter von 25 bis 65 Jahren rund dreimal so häufig erwerbslos sind wie deutschstämmige. Das liegt aber auch daran, dass Deutschland im Jahr 2015 und 2016 viele Flüchtlinge aufgenommen hat, die zum Teil keinen Berufsabschluss haben.
Qualifizierte Arbeitskräfte im Land halten
Während ausländische Zuwanderer noch immer schlechter qualifiziert sind als der deutsche Durchschnitt, sind abwandernde deutsche Staatsangehörige überdurchschnittlich gut ausgebildet. Ein Beispiel sind die Mediziner: In einigen Regionen Deutschlands gibt es zu wenige Ärzte, da eine steigende Zahl von ihnen lieber im Ausland arbeitet.
Deshalb ist eine wichtige gesellschaftliche Frage: Wie kann man qualifizierte, mobile und hoch motivierte Arbeitskräfte davon abhalten, dieses Land zu verlassen?
Klaus J. Bade, 2008 bis 2012 Gründungsvorsitzender des SVR Migration, verweist auf verschiedene Untersuchungen zu diesem Thema: Auswanderer klagen über ausgeprägte Hierarchien, unzureichende Aufstiegschancen, mangelnde Leistungsgerechtigkeit, ungerechte Steuerregelungen und über eine Neidkultur gegenüber den sogenannten Besserverdienenden.
Bade verlangt deshalb, dass sich all dies dringend verbessern müsse, damit Deutschland wieder attraktiver für Qualifizierte werde – sowohl für Abwanderungswillige als auch für Menschen, die zuzuwandern zögern.
In Skandinavien haben Ärzte bessere Arbeitsbedingungen
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 09.04.2020)
Quelle: WDR