Die Stadt in der Lagune
Paläste und Kunstschätze der Stadt zeugen noch heute vom einstigen Reichtum Venedigs. Doch mit der Eroberung Amerikas durch Christoph Kolumbus geriet das mächtige Handelsimperium ins Wanken.
Der historische Stadtkern von Venedig wurde auf etwa 150 nahe beieinander liegenden flachen Inseln gebaut. Diese Inseln liegen in einer Lagune im Nordosten Italiens, die ungefähr 40 Kilometer lang und bis zu 15 Kilometer breit ist. Sie entstand im Laufe der Jahrhunderte, als die Flüsse Brenta, Sile und Plave sogenannte Sedimente anspülten, also Sand und Geröll aus den Alpen, die sich vor der Küste zu langen Sandbänken ablagerten.
Die Landzungen Litorale del Cavallino und Chioggia-Sattomarina sowie die Inseln Lido und Pallestrina schützen die Lagune vor dem offenen Meer. Durch sogennante "porti", natürliche Durchgänge, ist die Lagune an drei Stellen mit der Adria verbunden.
Das Stadtgebiet von Venedig umfasst ungefähr acht Quadratkilometer. Es gibt rund 150 Kanäle, etwa 3000 Straßen und Gässchen sowie mehr als 400 Brücken. Durch eine drei Kilometer lange Brücke ist die Altstadt Venedigs mit dem Festland verbunden. Auf den 222 Bögen der Brücke verlaufen eine vierspurige Autobahn sowie eine vierspurige Eisenbahnlinie. Von den etwa 260.000 Einwohnern leben rund 200.000 auf dem Festland.
Viele kleine Kanäle und Brücken durchziehen die Stadt
Die Anfänge der Stadt Venedig
Im Gegensatz zu vielen anderen italienischen Städten wurde Venedig nicht von den Römern gegründet. Die Stadt erhielt ihren Namen nach dem Gebiet Venetien, dem Festland, vor dem die Lagune liegt.
Im 5. Jahrhundert nach Christus wanderten Bewohner des venetischen Festlandes auf die Inseln der Lagune ab. Sie flohen vor den Invasionen der Westgoten und Hunnen und fanden im Gewirr der unzugänglichen Inseln Schutz.
Viele Flüchtlinge blieben auch auf den Inseln, als die Gefahr vorüber war, und begannen diese zu besiedeln. Zunächst standen die Inseln unter dem Machteinfluss des byzantinischen Reiches. Als dieses im 8. Jahrhundert an Einfluss verlor, gewann das Amt des vom Adel und Klerus gewählten "Dogen" an Bedeutung.
Der Doge war das Staatsoberhaupt der Republik Venedig. Im frühen Mittelalter besaß er sowohl militärische als auch juristische Funktionen und somit eine fast uneingeschränkte Macht. Ab dem 12. Jahrhundert wurden ihm dann der "Große Rat" und der "Rat der Zehn" zur Seite gestellt. Der Doge behielt die militärische Befehlsgewalt. Er wurde nach einem komplizierten Prinzip gewählt, das gewährleisten sollte, dass keine der adeligen Familien Venedigs die Macht an sich reißen konnte.
Das Prinzip des gewählten Herrschers und der Gewaltenteilung sorgte in Venedig für eine zu dieser Zeit ungewöhnlich stabile politische Lage. Unter der Herrschaft der gewählten Dogen und ihrer verschiedenen Ratsgremien wurde Venedig neben Genua, Pisa und Amalfi zu einem der vier italienischen Stadtstaaten.
Die Dogen residierten in einem prachtvollen Palast
Aufstieg zur See- und Handelsmacht
Durch die geografische Lage begünstigt, entwickelte sich Venedig ab dem 10. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Handelsmetropolen im Mittelmeerraum. Die Stadt hatte ihre Stellung im Spannungsfeld zwischen Orient und Okzident gefestigt und entwickelte sich mit der Zeit zu einer Brücke zwischen Ost und West.
Die Venezianer nutzten ihre Stellung geschickt, indem sie Luxusgüter wie Seide, Gewürze oder Pelze aus dem Orient in die Stadt brachten und in den Norden weiterverkauften. Neben den importierten Luxusgütern handelten die Venezianer auch mit selbst produzierten hochwertigen Produkten wie Öl oder in der Lagune gewonnenem Salz.
Umschlagplatz für Luxusgüter aus dem Orient
Von einer ihrer Seereisen brachten venezianische Kaufleute im Jahr 828 die Reliquien des heiligen Markus nach Venedig, die sie in Alexandria erbeutet hatten. Sie wurden in die neu errichtete Markuskirche überführt, damals die Hauskapelle des Dogen. Seitdem ist San Marco der Schutzpatron der Stadt.
Durch den florierenden Handel und die damit verbundenen Reichtümer konnten die Venezianer in der Mitte des 11. Jahrhunderts ihre Flotte so sehr erweitern, dass Venedig als mächtigste Seestreitmacht im Mittelmeer galt. In den folgenden Jahrhunderten baute Venedig seine Macht durch die Eroberung zahlreicher Städte weiter aus und kontrollierte die wichtigsten Schifffahrtswege im Mittelmeer.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts gelang es der venezianischen Flotte schließlich, Konstantinopel zu erobern, das heutige Istanbul. Durch diesen territorialen Zuwachs wurde Venedig, die "Königin der Adria", zu einer der größten See- und Handelsmächte dieser Zeit.
Das Einflussgebiet und die Handelswege reichten von der Ostküste der Adria über Konstantinopel bis zur sogenannten "Levante", also Ländern wie Syrien, Libanon, Jordanien und Palästina. Über das Schwarze Meer dehnten die Venezianer ihren Einfluss außerdem noch weiter nach Asien aus.
1204 eroberte das venezianische Heer Konstantinopel
Das goldene Zeitalter
Im Laufe des 15. Jahrhunderts entfaltete Venedig seine herausragende Stellung in allen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens und wurde zu einer Drehscheibe des internationalen Handels und der internationalen Wirtschaft.
In der Stadt selbst war eine umfangreiche Industrie entstanden: Neben Webereien für Seide und Baumwolle gab es zahlreiche Schiffsbauer, Holzschnitzer, große Färbereien, Zuckerraffinerien und Kerzenfabriken.
In der damals neuen Buchdruckerkunst nahm Venedig eine überragende Stellung ein und aus den kleinen Glasbläsereien des Mittelalters waren inzwischen Großbetriebe geworden. In dieser Zeit entstanden viele der prachtvollen Palazzi, die auch heute noch das Stadtbild Venedigs prägen.
Die Glasbläsereien waren professionelle Manufakturen
Verlust an Macht und Einfluss
Im 16. Jahrhundert begann die Macht der Republik zu verblassen. Nach der Eroberung Amerikas und der Entdeckung des Seewegs nach Indien verlagerte sich der Welthandel in den atlantischen Raum und die von Venedig beherrschten Handelswege verloren an Bedeutung. Parallel dazu verlor die Adelsrepublik ihren levantinischen Besitz nach und nach an das Osmanische Reich.
Das Handelsimperium Venedig geriet ins Wanken. Zusätzlich machte die wachsende Piraterie im Mittelmeerraum den venezianischen Händlern zu schaffen. Auch waren die großen Galeeren der Venezianer, einst der Stolz der Mittelmeerschifffahrt, zu schwerfällig geworden. Stattdessen wurden englische und französische Schiffe, die leichter gebaut waren und schneller fahren konnten, für den Transport von Handelsgütern eingesetzt.
Venedig verlor schließlich auch an politischer Bedeutung, der Einflussbereich der Stadt schrumpfte. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die an Kunstschätzen immer noch reiche Stadt zu einer der ersten Städte, die zum Teil von Tourismus lebten. So strömten zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits 30.000 Fremde in die Stadt, und ein Besuch in Venedig gehörte bald zum klassischen Bildungsprogramm des Italienreisenden.
Im 19. Jahrhundert eroberte Napoleon mit seinen Truppen Venedig. Der letzte Doge musste abdanken, die Republik Venedig war passé. Die Stadt wurde zum Spielball fremder Mächte, gehörte mal zu Italien, mal zu Österreich. 1866 schließlich schloss sich Venedig dem geeinigten Italien an und wurde Hauptstadt der Provinz Veneto.
Venedigs Schönheit lockt schon lange Touristen an
(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 28.10.2019)
Quelle: WDR