Gösch, Liek, Flugteil
Die Flaggenkunde (Vexillologie) sieht in einer Flagge nicht einfach nur ein rechteckiges Stück Stoff. Für den Flaggenkenner besteht die Fahne aus verschiedenen Bereichen. Der innere mastseitige Teil der Flagge ist das Liekteil, die vom Mast abgewandte Hälfte ist das Flugteil. Daneben wird die Flagge noch in obere und untere Bereiche aufgeteilt.
Dann gibt es noch den Begriff des Gösch. Dieser Begriff ist gleich zweimal belegt: Zum einen wird die Bugflagge, zum Beispiel an einem Kriegsschiff, als Gösch bezeichnet. Zum anderen steht Gösch bei Flaggen für die obere mastseitige Ecke einer Flagge.
Denn dort tragen manche Flaggen eine weitere kleine Fahne oder ein Wappen. Zum Beispiel einige Länder, die einst britische Kolonien waren: Ihr "Gösch" ist noch heute der britische "Union Jack". Allerdings wird die linke Oberecke einer Flagge heute nur noch vereinzelt als Gösch bezeichnet – ganz korrekt benennt man so nur die Bugflagge.
Flaggenhierarchien
Bei Flaggen gibt es klare Hierarchien. Grundsätzlich gilt, dass die Nationalflagge immer Vorrang vor den Flaggen der Bundesländer und der Städte hat. Die Europaflagge wiederum ist ranghöher als die Nationalflagge.
Werden mehrere Flaggen vor einem Gebäude gehisst, gibt es Regelungen, in welcher Reihenfolge sie zu hängen haben. Die ranghöchste Flagge hängt – aus der Perspektive eines Menschen, der von außen auf das Gebäude schaut – in den meisten Bundesländern links. Es gibt zwar Bundesvorschriften zur Beflaggung, an denen sich die meisten Länder auch orientieren, grundsätzlich können die Bundesländer aber selbst entscheiden.
Geht es jedoch um internationale Flaggen, dann gibt es keine Rangordnung. Nationalflaggen werden international als gleichwertig angesehen. Deswegen werden die Flaggen entsprechend der alphabetischen Reihenfolge der Ländernamen aufgehängt. Bei Veranstaltungen der Europäischen Union gilt das "EU-Alphabet", nach dem die Namen der Mitgliedsstaaten in der jeweiligen Amtssprache geschrieben werden.
Ein kleines Problem bei internationalen Anordnungen ist, dass Flaggen nicht genormt sind und unterschiedliche Formate haben. Vor allem die Seitenverhältnisse vieler Flaggen weichen ab. Die deutsche Bundesflagge ist ein Rechteck im Verhältnis 3 zu 5, die österreichische Flagge hat ein Seitenverhältnis von 2 zu 3 und die Flagge der Schweiz ist sogar quadratisch.
Die originale Schweizer Flagge ist ein Quadrat
Würdevoller Umgang
Flaggen sollten grundsätzlich nie den Boden berühren, dürfen also selbst im verschmutzten Zustand nicht einfach "in die Ecke" geworfen werden. Selbst das Waschen einer Fahne ist "würdevoll" geregelt: Die Fahnen werden nach der Reinigung nicht etwa auf einem Dachboden getrocknet, sondern im Hausflur des jeweiligen Dienstgebäudes.
Auch dürfen Flaggen nicht zweckentfremdet werden, indem man sie zum Beispiel als Tischtuch nutzt oder damit ein Rednerpult dekorativ einwickelt. Und ebenso selbstverständlich ist, dass keine schmutzigen oder beschädigten Flaggen gehisst werden.
Nur bei Tageslicht
Grundsätzlich werden Flaggen von Behörden nur bei Tageslicht gehisst. Bei Dunkelheit müssen sie eingeholt werden. In den meisten Fällen orientiert sich die Dauer der Beflaggung an der jeweiligen Öffnungszeit einer Behörde.
Darüber hinaus gibt es einen Erlass über die Beflaggung von Dienstgebäuden des Bundes, in dem bestimmte Gedenktage festgelegt sind – etwa der 9. Mai (Europatag) oder der 20. Juli (Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler 1944). Ebenso wird darauf geachtet, dass Flaggen frei im Wind fliegen und sich nicht etwa um die Fahnenmasten wickeln oder gar verknoten.
Trauerbeflaggung und Halbmast
Auch das Setzen von Flaggen auf halbmast ist eine Wissenschaft für sich. Der Laie würde erwarten, dass die Flagge eben nur zur Hälfte des Mastes gehisst wird. Doch so einfach ist es nicht. Damit eine Flagge auf halbmast gesetzt wird, muss sie erst einmal zur vollen Höhe heraufgezogen werden. Erst dann wird sie auf halbmast herabgelassen. Die Unterkante der Flagge sollte sich dabei auf Höhe der Mastmitte befinden.
Auch das Einholen der Flagge von halbmast verlangt ein Ritual: Zunächst muss die Flagge ganz hochgezogen werden, bevor sie herabgelassen wird.
Halbmast vor dem Kanzleramt in Berlin
Bundesflagge mit und ohen Adler
Bei der Fußball-WM 2006 sah man die Deutschen zum ersten Mal seit Jahrzehnten in einem geradezu euphorischen Umgang mit Flaggen aus aller Welt. Und genau betrachtet gab es dabei sehr viele Verstöße gegen die allgemeine Flaggenordnung.
Überall hingen an Autos und Häusern Flaggen, die dort eigentlich nicht hingehörten: Privatleute dürfen ausschließlich die neutrale Nationalflagge mit den drei Farben "Schwarz-Rot-Gold" benutzen oder die neutrale Version der jeweiligen Flagge ihres Bundeslandes.
Wenn die Flagge einen Bundesadler oder ein Wappen trägt, handelt es sich um eine Dienstflagge, die von Privatpersonen eigentlich nicht genutzt werden darf. Das Hissen fremder Nationalflaggen ist in Deutschland grundsätzlich erlaubt. Ob das jeweilige Land dies allerdings einschränkt oder verbietet, sollte man im Zweifelsfall bei der Botschaft des betreffenden Staates erfragen.
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 15.06.2018)
Quelle: WDR