Konflikte

Mobbing in der Schule

Mobbing an Schulen ist weit verbreitet: Fast jeder dritte Schüler ist Opfer von Mobbing. Die Gewalt reicht von Beschimpfen bis hin zum Erpressen, Schlagen und Treten. Lehrer, Schüler und Eltern fordern Hilfe.

Von Marika Liebsch

Mobbing bei Schülern hat viele Ursachen

Der Begriff "Mobbing" steht für Psychoterror am Arbeitsplatz und in der Schule, ausgelöst durch nicht gelöste Konflikte. Geprägt wurde die Bezeichnung Mobbing von dem Arbeitspsychologen Heinz Leymann, der von 1955 bis 1999 in Schweden lebte und dort Professor für Jugendpsychologie war. Schon zu Beginn der 1960er-Jahre hatte er das Phänomen Mobbing bei Kindern beobachtet und näher beschrieben.

Dass Gewalt und Mobbing an Schulen in den vergangenen Jahren zugenommen haben, erklären Psychologen und Soziologen mit gesellschaftlichen Veränderungen: Die Arbeitsbelastung für Schüler und Lehrer ist enorm gewachsen, und die Schüler machen sich Sorgen um eine berufliche und finanzielle Zukunft. Zu Hause vernachlässigen Eltern oft die Erziehung. Dadurch werden Konflikte verstärkt in der Schule ausgetragen.

Diese sogenannte "moderne Verwahrlosung" von Kindern und Jugendlichen sorgt auch für eine wachsende Unfähigkeit, mit Konflikten umgehen zu können. Die zunehmende Jugend- und Kinderarmut sorgt für steigende Aggression und Gewalt an Schulen.

Die Forscher sind sich einig, dass der Werteverfall in der Gesellschaft eine große Rolle spielt. Vor 30 Jahren wurden noch deutlich mehr Normen, Traditionen, Glaubensvorschriften oder Gesetze geachtet und tragende Werte wie Zivilcourage, Solidarität, Achtung, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit hoch geschätzt.

Viele dieser Wertvorstellungen sind durch Begriffe wie Erfolg, Stärke, Durchsetzungswillen und Selbstbewusstsein verdrängt worden. Diese neuen Werte verursachen viel mehr Konfliktsituationen, die zudem durch neue Managementmethoden und Sparmaßnahmen in Schulen und Freizeiteinrichtungen noch verstärkt werden.

Mädchen im Schwitzkasten von einem anderen Jugendlichen. Zwei weitere sind beteiligt an der Rangelei.

Auch Mädchen sind häufiger in Gewalttaten verwickelt

Aus Mobbing-Tagebüchern von Schülern

"Ich wurde regelmäßig mit dem Kopf nach unten aus dem Klassenfenster im 2. Stock gehängt. Und wenn ich fast ohnmächtig vor Angst in den Klassenraum zurückgezogen worden war, traten mich meine Klassenkameraden zusammen und dokumentierten die Folterszenen mit der Videokamera. Den selbst gedrehten Horrorfilm veröffentlichten sie im Internet."
(Mark, 14 Jahre)

"Jeden Tag werde ich wegen meiner Pickel ausgelacht. Oft steht an der Tafel "Melanie stinkt" und auf einer extra eingerichteten Internetseite schreiben Mitschüler, ich würde lügen. Jetzt haben die Mobber sogar schon ein beleidigendes Lied über mich gedichtet. Ich komme jeden Tag heulend nach Hause."
(Melanie, 14 Jahre)

"Der schlimmste Moment war, als ich von meinen Mitschülern so verprügelt wurde, dass ich aus Nase und Mund blutete. Als ich zu meiner Lehrerin ging, um sie um Hilfe zu bitten, sagte die, ich müsse meine Probleme selber klären."
(Fredrik, 12 Jahre)

"Ich werde jeden Tag bespuckt und meine Schulsachen beschmieren meine Mitschüler mit beleidigenden Sprüchen. Da steht dann, ich wäre eine Missgeburt, würde stinken, wäre behindert und hätte fiese Klamotten an. In der Klasse setzt sich nie jemand neben mich. Und wenn ich die Klasse betrete, wird es jedes Mal demonstrativ still, und ich möchte im Boden versinken."
(Tom, 16 Jahre)

Anti-Mobbing-Trainer helfen Opfern und Tätern

Das Problem Gewalt und Mobbing an Schulen hat zugenommen. Viele Lehrer und Eltern sind überfordert und benötigen zusätzliche Hilfe. Diese können sie bei zahlreichen kompetenten Menschen und Projekten finden. Voraussetzung ist, dass Opfer sich trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber auch Lehrer und Eltern müssen es wagen, die Probleme und ihre Überforderung beim Namen zu nennen.

Pojekt zur Gewaltvermeidung an Schulen

Im Training simulieren Jugendliche Konfliktsituationen

Wenn der Konflikt erst einmal benannt ist, dann können Anti-Mobbing-Trainer wie zum Beispiel Simon Steimel relativ schnell viel bewirken. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Simon Steimel als Anti-Mobbing-Trainer an Schulen. Und er ist sehr erfolgreich. Meistens reichen bereits vier bis sechs Schulstunden. Und da geht es dann oft heftig und lautstark zur Sache: Es wird gebrüllt, beleidigt und sogar geschubst.

Kommt der Düsseldorfer Simon Steimel an eine Schule, ist der Konflikt meistens bereits eskaliert. Zunächst führt der Trainer Einzelgespräche mit dem Opfer und den Tätern. Dabei ist sein oberster Leitsatz, dass er keine Schuldzuweisungen trifft. Oft sind die Täter Jugendliche, die ohne Liebe und Aufmerksamkeit groß werden. Allein gelassen kompensieren diese Kinder ihre Defizite, indem sie vermeintlich Macht über Schwächere ausüben.

Typische Opfer sind oft Mitschüler, die durch Kleidung, Körperhaltung oder Besserwisserei die Täter provozieren. Gespräche alleine reichen aber nicht aus. Simon Steimel lässt gemeinsam die ganze Klasse mit verschiedenen Spielen und Übungen typische Opferrollen und typische Täterrollen erfahren. Viele dieser Übungen kommen aus der Theaterausbildung und sind gut dazu geeignet, starke Emotionen zu erleben. Außerdem können Schüler in Stimme und Körperhaltung bewusst gestärkt werden.

Ein Schüler in gelber Weste mit Aufschrift 'Streitschlichter' beobachtet den Schulhof während der Pause.

Projekte wie "Streitschlichter" sollen auf dem Pausenhof helfen

Klare Rezepte gegen Mobbing

Neben diesen Übungen finden Trainer wie Simon Steimel es besonders wichtig, dass Kinder und Jugendliche klare Rezepte bekommen, um sich gegen Provokationen wehren zu können. Es reicht nicht, einem Schüler zu sagen, "wehr dich, wenn dich jemand provoziert". Es muss ganz konkret geübt werden, wie sich gewehrt werden kann.

Da meistens die Konflikte mit verbalen Angriffen beginnen, ist eine erste wichtige Hilfe, schlagfertige Antworten zu kennen. Und diese Antworten fallen den angegriffenen Jugendlichen natürlich nicht einfach so in der Konfliktsituation ein. Deshalb müssen sie trainiert werden. Das raten Trainer auch Eltern: Schlagfertige Antworten mit den Kindern vorbereiten und üben.

Einige Beispiele aus der Praxis: Wird provoziert mit: "Du bist behindert", dann könnte ein behindertes Kind selbstbewusst sagen: "Stimmt und zwar von Geburt an." Oder: "Du Zwerg." Da könnte die Antwort sein: "Die besten Dinge gibt es immer in kleinen Mengen." Oder: "Du siehst scheiße aus." Antwort: "Danke für das Kompliment." "Du stinkst." Antwort: "Danke für den Hinweis." "Du Hurensohn." Antwort: "Stimmt nicht, meine Mutter ist Zahnärztin."

Durch selbstbewusste, schlagfertige Antworten fehlt möglichen Tätern die nötige Opferhaltung, die sie provoziert und den Konflikt eskalieren lässt. So können viele Konflikte im Ansatz bereits verhindert werden.

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 10.07.2019)

Quelle: WDR

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