Völker
Aboriginals
60.000 Jahre lang lebten die australischen Ureinwohner abgeschottet von der Außenwelt, bis ins 19. Jahrhundert hinein waren sie steinzeitliche Jäger und Sammler. Doch dann kamen die Weißen. Die Aboriginals wurden ermordet, ihr Land geraubt, ihre Traditionen unterdrückt.
Von Ingo Neumayer, Anette Kiefer
Eine 60.000 Jahre alte Kultur
Es ist zwischen 40.000 und 60.000 Jahre her, dass die ersten Menschen den Erdteil besiedelten, aus dem später Australien, Neu-Guinea und Tasmanien hervorgingen. Historiker und Archäologen nehmen an, dass sich die Vorfahren der Aboriginals zu einer Zeit, als der Meeresspiegel noch deutlich niedriger stand als heute, Insel für Insel aus dem späteren Indonesischen Archipel in Richtung Australien vorarbeiteten.
Über die Motivation können die Forscher heute nur spekulieren: Geschah die Überfahrt aus Versehen, landeten die ersten Siedler etwa mit einem abgetriebenen Boot auf dem unbekannten Kontinent? Oder war es Absicht? Hatten sie das nur 150 Kilometer entfernte Festland von der Insel Timor aus gesehen, den Rauch der gigantischen Buschfeuer, die Bahnen der Zugvögel?
Fest steht: Die ersten Siedler trafen damals auf eine äußerst unwirtliche Welt. Fast die Hälfte des Kontinents bestand aus Wüste und Steppe, es herrschten die weltweit höchsten Durchschnittstemperaturen. Die neuen Siedler mussten sich mit hochgiftigen Schlangen herumschlagen, es gab drei Meter große Kängurus und riesige Echsen, aber – im Gegensatz zu anderen Kontinenten – keine großen Tiere, die sich zähmen und domestizieren ließen.
Eine gefährdete Kultur
Verharren in der Steinzeit
Doch allen Widrigkeiten zum Trotz war 25.000 Jahre nach der Ankunft der ersten Menschen der ganze Kontinent besiedelt – wenn auch spärlich: Selbst zu Zeiten ihrer größten Bevölkerungsdichte gab es laut Forscherschätzungen maximal 900.000 Aboriginals.
Isoliert vom Rest der Welt, verharrten die Ureinwohner Australiens jahrtausendelang in der Steinzeit. Sie entwickelten keine Schrift, betrieben keinen Ackerbau, Pfeil und Bogen waren ihnen genauso fremd wie Werkzeuge aus Metall.
Es gibt mehrere hundert Stämme, aber keine hierarchischen Gesellschaften. Sie leben als Nomaden, in Clans von 25 bis 50 Menschen, die ihre jahrtausendealten Stammesgebiete durchstreifen – als Jäger und Sammler, an den Küsten als Fischer.
Privateigentum existiert nicht, Vorräte werden nicht angelegt. Nicht den Menschen gehört das Land, es ist genau andersherum. Davon sind die Aboriginals, die eine höchst spirituelle Verbindung zur Natur haben, überzeugt.
Der Uluru ist den Aboriginals heilig
Schicksalsjahr 1788: Die Weißen kommen
Der 18. Januar 1788 wird zum Schicksalstag für die australischen Ureinwohner. An diesem Tag landet der englische Kapitän Arthur Phillip mit seiner Flotte an der Südostküste Australiens, nahe des späteren Sydney. Er will den Kontinent besiedeln, den die Europäer 1606 entdeckt haben.
An Bord seiner Schiffe hat er fast ausnahmslos Verbrecher. Die Gefängnisse in der englischen Heimat quellen über, also beschließt die britische Krone, ihre Kriminellen ans andere Ende der Welt zu schicken.
In den folgenden 80 Jahren kommen mehr als 800 Schiffe mit Gefangenen aus England. Mehr als 160.000 Deportierte landen in Australien und versuchen, dort ein neues Leben zu beginnen.
In dieser Zeit etabliert sich auch der Begriff "Aborigines", der im Lateinischen wurzelt: "ab origine", zu deutsch: von Anfang an. Inzwischen wird das Wort "Aborigine" in Australien als kolonialistisch und taktlos betrachtet. Als besser gelten die Bezeichnungen "First Nations person" oder "Aboriginal und Torres-Strait-Insulaner" – eine weitere indigene Gruppe, die die Meerenge zwischen Australien und Papua-Neuguinea bewohnt und nicht mit den Aboriginals vom Festland verwandt ist.
Australische Aboriginals bei einer religiösen Zeremonie
Reservate sollen Konflikte entschärfen
Die ersten Zusammentreffen zwischen Siedlern und Ureinwohnern verlaufen friedlich. Kapitän Phillip gibt Befehl, möglichst keine Gewalt gegen Einheimische anzuwenden. Zunächst arrangiert man sich, so gut es geht. Doch je mehr Platz und Land die Siedler beanspruchen, desto größer werden die Konflikte.
Für viele Siedler sind die Aboriginals Anfang des 19. Jahrhunderts weniger wert als Tiere. Die Siedler töten die Männer, vergewaltigen die Frauen, nehmen das Land für sich in Anspruch. Dazu leiden die Aboriginals an den von den Europäern eingeschleppten Krankheiten, gegen die sie keine Abwehrkräfte haben. Viele sterben an Cholera, Grippe oder Pocken.
Als sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Gräueltaten mehren, setzt das britische Parlament einen "Chief Protector" in Australien ein. Er soll Reservate für die Ureinwohner schaffen, um die Konflikte zwischen Weißen und Aboriginals einzudämmen. Und er soll sich um die Kinder der Aboriginals kümmern, deren Ausbildung in die Hand nehmen und ihnen die Werte der westlichen Welt und des Christentums vermitteln.
Manche Aboriginals wehren sich gegen die Unterdrückung durch die Europäer und schlagen mit Gewalt zurück. Andere ziehen sich ins Hinterland zurück, wieder andere verlassen ihre Welt und ihre Kultur und werden in den Siedlungen der Weißen sesshaft. Doch die Integration dort misslingt oft.
Erzwungener Umzug in Reservate
Gleiche Bürgerrechte erst in den 1960er-Jahren
1907 erlangt Australien als selbst verwaltete Kolonie die weitgehende Unabhängigkeit vom Britischen Königreich, doch an der Politik gegenüber den Aboriginals ändert das wenig. Die Unterdrückung geht weiter, bis in den 1920er-Jahren ein Tiefpunkt erreicht ist. Zu dieser Zeit leben nur noch 60.000 Aboriginals.
Danach bessert sich die Situation langsam: Es werden Organisationen gegründet, die sich für die Rechte der Ureinwohner einsetzen. Viele Aboriginals kämpfen im Zweiten Weltkrieg für Australien, was ihren Status innerhalb des Landes weiter hebt.
1949 erhalten zwar alle Aboriginals offiziell die australische Staatsbürgerschaft, doch es dauert bis in die 1960er-Jahre, bis die "White Australia"-Politik der Regierung ein Ende findet. Erst dann werden den Aboriginals gleiche Bürgerrechte zugestanden, sie dürfen wählen, Immobilien besitzen, Weiße heiraten und haben Anspruch auf staatliche Rente.
Auch die Löhne werden denen der Weißen angeglichen. Mit Folgen: Viele Aboriginals werden daraufhin entlassen. Eine Landflucht setzt ein, viele ziehen in die Großstädte.
Kampf um die gleiche Rechte für Aboriginals
2008: die Entschuldigung der Regierung
Heute leben etwa 600.000 Aboriginals in Australien. Allerdings ist ihre soziale Lage oft noch immer sehr schlecht, wie auch viele Statistiken zeigen: Die Arbeitslosenquote und die Selbsttötungsrate sind dreimal so hoch wie bei weißen Australiern, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt sogar 17 Jahre unter der der weißen Australier.
Armut, Alkoholismus, Drogen und Gewalt spielen eine große Rolle im Leben vieler Aboriginals. Anthropologen deuten dies als Folge der Kolonialisierung und kulturellen Entwurzelung. Über die Hälfte der Aboriginals lebt mittlerweile in Städten, teils in Slums unter schlimmen Bedingungen.
Ein Viertel wiederum wohnt in Siedlungen, die weitab von der nächsten Stadt in selbst verwalteten Reservaten liegen. Doch auch dort gibt es immer wieder schwierige Situationen.
Offizielle Entschuldigung: Beginn eines neuen Miteinanders?
Seit der viel beachteten "Sorry"-Rede des australischen Premierministers Rudd 2008, in der sich die Regierung erstmals bei den Aboriginals für das Leid entschuldigte, das ihnen zugefügt wurde, sehen Beobachter eine leichte Verbesserung der Lage der Aboriginals.
Ihr Selbstbewusstsein und Selbstverständnis soll gestiegen sein, gleichzeitig werden ihre Probleme von den Weißen ernster genommen. Doch allen Seiten ist auch klar: Es ist noch ein langer Weg.
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 07.02.2023)
Quelle: WDR