Das "Kraft durch Freude"-Seebad
Die Vorstellung der nationalsozialistischen Führung: 20.000 Deutsche sollten hier auf Rügen gleichzeitig günstig Pauschal-Urlaub machen können – Propaganda und Stärkung für den Krieg inklusive.
Robert Ley, verantwortlich für den Bau des Seebads, sagte 1935: "Wenn es uns gelingt, (...) jeden Deutschen jedes Jahr einmal zu 'überholen', dann behaupte ich, dass der Bruch der Leistungsfähigkeit des schaffenden Menschen nicht mehr bei 40 Jahren, sondern bei 70 Jahren liegen wird." Im Rekordtempo zogen deutsche Baufirmen den Rohbau des Seebades hoch.
Prora war in den 1930er-Jahren Teil des "Kraft durch Freude"-Konzeptes des NS-Regimes. Die "Deutsche Arbeitsfront", zu der die Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" gehörte, erklärte damals: "Das hohe Ziel der Arbeitsfront ist die Erziehung aller im Arbeitsleben stehenden Deutschen zur nationalsozialistischen Gesinnung."
Außerdem sollten die Nerven der Deutschen für den bevorstehenden Zweiten Weltkrieg gestärkt werden. Adolf Hitler teilte mit: "Ich will, dass dem Arbeiter ein ausreichender Urlaub gewährt wird und dass alles geschieht, um ihm diesen Urlaub sowie seine übrige Freizeit zu einer wahren Erholung werden zu lassen. Ich wünsche das, denn nur mit einem Volk, das seine Nerven behält, kann man wahrhaft große Politik machen."
Prora war das erste von fünf geplanten riesigen Seebädern. Robert Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront, wollte auch in Timmendorfer Strand und im heutigen Polen baugleiche Anlagen hochziehen. Diese kamen aber nie über das Planungsstadium hinaus.
Das Motto "Kraft durch Freude" bestimmte sämtliche Freizeitaktivitäten
Architektur des Größenwahns
Im Sieben- oder Zehn-Tage-Rhythmus sollten jeweils 20.000 Deutsche durch das Seebad geschleust werden. Die Saison sollte auf acht Monate oder mehr verlängert werden, so dass pro Jahr mehr als 500.000 Deutsche nach Prora kommen können sollten. Alle Urlauber sollten den gleichen Meerblick genießen.
Der Plan des Kölner Architekten Clemens Klotz wurde am ehesten den Ansprüchen Hitlers gerecht. Klotz plante die Infrastruktur einer kompletten Kleinstadt – unter anderem mit einem Kraftwerk, einem Krankenhaus, Schule, Bahnstation, Geschäften und Poststelle.
"Eine Rundfunkstation im Seebad sollte Reden des Führers und Musik direkt über Lautsprecher in die Wohnzellen bringen", erklärte Jürgen Rostock, bis 2014 Leiter des Dokumentationszentrums Prora.
Auch eine Festhalle mit 20.000 Sitzplätzen sollte entstehen und ein Festplatz, der siebenmal so groß ist wie ein Fußballfeld. Klotz zeichnete ein Wellenschwimmbad, einen Turm mit Höhencafé, Restaurants, Theater und ein Kino in seine Pläne.
Vom Zentrum sollten jeweils zwei Kilometer lange Bettenburgen abgehen. Jedes Zimmer sollte zehn Quadratmeter groß und schlicht eingerichtet sein, mit bis zu drei Betten, Kleiderschrank und Waschtisch. 2000 Angestellte sollten in zusätzlichen Bauten untergebracht werden. Am 2. Mai 1936 legte Robert Ley, Chef der Deutschen Arbeitsfront, den Grundstein.
Tausende Zimmer für deutsche Urlauber
Ein Koloss für die Propaganda
Auf der Riesenbaustelle Prora begann nach zwei Jahren Vorarbeit zwischen 1936 und 1938 der Hochbau. Die größten deutschen Baufirmen wie Hochtief, Philipp Holzmann AG, Siemens und Dykerhoff zogen alle Bettenbauten auf vier Kilometer Länge gleichzeitig hoch. In nur 17 Monaten entstanden die Rohbauten aller Bettenhäuser, Teile eines Restaurants, eines Kinos und ein Theater.
Jürgen Rostock vom Dokumentationszentrums Prora sagte über die emsigen Bautätigkeiten: "Es hat sich schnell erwiesen, dass die Zeit nicht ausreichte, um einen Bau in dieser Größe vor dem Krieg fertig zustellen. Ab dem Zeitpunkt waren die Bauarbeiten reines Propagandainstrument. Dem deutschen Arbeiter sollte gezeigt werden, was der NS-Staat für ihn leistet."
1939 legten die Bauarbeiter abrupt ihre Arbeit nieder. Sie wurden für den Bau des Raketen-Testgeländes auf Usedom und für die Heeresversuchsanstalt Peenemünde gebraucht. Der Krieg hatte begonnen; nach dem von den Nationalsozialisten geplanten "Endsieg" sollte Prora fertig gestellt werden.
Zwangsarbeit fürs Lazarett
Hitler hatte angekündigt, dass das Seebad Prora "im Falle eines Krieges" auch als Lazarett dienen sollte. Zwangsarbeiter aus Russland, Polen, Tschechien und Frankreich bauten den Rohbau notdürftig aus. Sie schliefen im Rohbau und erhielten kaum Essen.
Ein Teil der Anlage wurde tatsächlich als Lazarett genutzt, allerdings erst 1944. Zeitgleich bezogen ausgebombte Familien aus Hamburg das umfunktionierte Seebad. Gegen Kriegsende fanden auch Flüchtlinge aus dem Osten Obdach.
Prora wurde militärisches Sperrgebiet
Gleich zum Ende des Krieges internierten die sowjetischen Besatzer in Prora die Grundbesitzer aus Thüringen, die sie vorher enteignet hatten. 1947 diente Prora als Steinbruch, jeder plünderte die Baustoffe, die er brauchte.
Einige Rüganer bauten in Bergen, der größten Stadt auf Rügen, ganze Häuser aus Prora-Steinen. Nach einem Unfall bei Plünderungen sprengten die Sowjets am südlichen Ende einen Teil der Anlage. 1949 erklärte die DDR Prora zum militärischen Sperrgebiet.
Die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR verlegte Anfang der 1960er-Jahre einen Teil ihrer Truppen nach Prora. Vor allem Waffendienstverweigerer, die sogenannten Bausoldaten, wurden hier stationiert. Ab den 1960ern fanden auch militärische Ausbildungsstätten wie die "Militärtechnische Unteroffiziersschule Erich Habersaath" in Prora ihren Platz.
1982 war Prora der größte Standort der Bausoldaten in der DDR. Hinzu kamen 10.000 Soldaten aus Panzer-, Artillerie- und Fallschirmspringereinheiten. Zu Spitzenzeiten waren in Prora 15.000 Männer gleichzeitig untergebracht.
In den südlichen Bettenburgen machten Offiziersfamilien Ferien im "Walter-Ulbricht-Heim". In den zerstörten Gebäuden im Norden übten sich NVA, Polizei, Feuerwehr und Rotes Kreuz im Häuserkampf und Katastrophenschutz. Mit der Wende ging das NVA-Gelände für zwei Jahre an die Bundeswehr.
Was tun mit dem NS-Erbe?
Seit 1992 ist die Anlage Prora wieder öffentlich zugänglich. Neben dem Nürnberger Parteitagsgelände ist sie eine der größten NS-Hinterlassenschaften in Deutschland. 1994 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt.
Der Bundesrepublik, Eigentümerin der Anlage, fehlten zunächst erfolgsversprechende Konzepte, was sie mit dem gigantischen Bau anstellen sollte. Versuche, den kompletten Bau zu privatisieren, scheiterten.
Inzwischen liefert das "Dokumentationszentrum Prora" der Stiftung Neue Kultur politische Hintergründe und zeigt die Nutzung von Prora seit 1936 bis heute.
2008 wurde die Eröffnung eines Hochseilgartens auf dem Küstenwald-Areal des Komplexes gefeiert. 2011 ist im nördlichen Teil des Komplexes eine lange geplante Jugendherberge fertig gestellt worden. Mit einer Ausnahme hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben inzwischen alle Gebäudeblöcke an private Investoren verkauft. Hier sollen Luxuswohnungen und ein Hotel entstehen.
2011 eröffnete die Jugendherberge in Prora
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 14.09.2021)
Quelle: WDR