Eine Riesenstadt ohne Grün?
New York 1850: Der Schmelztiegel der Nationen brodelt. Die Menschen zieht es massenhaft in die Großstadt mit ihren neuen Fabriken und Warenhäusern. Allein im Stadtteil Lower Manhattan lebt mehr als eine halbe Million Menschen in schäbigen Pensionen und riesigen Mietskasernen.
Das explosive Wachstum macht den Stadtplanern mit ihrem Traum von adretten Einfamilien-Reihenhäusern mit begrünten Hinterhöfen einen gründlichen Strich durch ihre Reißbrettzeichnungen. New York ist 1850 ein überfülltes Ballungsgebiet mit stinkenden Latrinen.
Nicht einmal die ausgedehnte Küste New Yorks schafft Linderung. Es ist kein Durchkommen zum Wasser, das Ufer ist zugebaut mit Schiffswerften und verdreckten Docks.
Der Mangel an Erholungsraum ist so schlimm, dass Friedhöfe als Ersatz für Grünflächen genutzt werden. Auf den "Green Wood Cemetery" in Brooklyn strömen seit seiner Einweihung 1838 jährlich über 60.000 Menschen.
Endlich zieht Bürgermeister Fernando Wood 1857 die Reißleine. Er schreibt einen Wettbewerb zur Planung eines Parks für New York aus, der auf einem weitgehend unerschlossenen Gelände nördlich der Stadtgrenze entstehen soll. Gegen den Widerstand der Geschäftsleute, die keinen Meter ihrer Metropole an einen "Erholungswald für Faulenzer" preisgeben wollen.
Ohne Central Park wäre New York eine Betonwüste
Wettbewerbssieger "Grünbezirk"
Wettbewerbsbeitrag Nummer 33, schlicht "Greensward Plan" ("Grünbezirk") genannt, gewinnt. Erstaunlich, denn die Sieger des Wettbewerbs, Frederick Law Olmsted und Calvert Vaux, haben keine Erfahrung im Anlegen einer Parklandschaft.
Olmsted, der als melancholischer und kränkelnder Autor gilt, ist nie zuvor planerisch tätig gewesen. Immerhin bringt der Engländer Vaux einen guten Ruf als Architekt mit. Und beiden wird ein scharfer Blick für die Situation ihrer nach Erholung lechzenden Mitbürger bescheinigt.
Dieser menschliche Aspekt kommt Bürgermeister Wood gerade recht. Gilt es doch, die europäische Ansicht zu widerlegen, dass Amerikaner weder ein kulturelles Bewusstsein noch einen Sinn für das Allgemeinwohl hätten.
Olmsted und Vaux legen eine zutiefst demokratische Vision vor. Der Central Park im Herzen Manhattans soll nicht nur die Hektik der Stadt, sondern auch die Standesunterschiede seiner Besucher vergessen lassen. Während die Oberklasse in schicken Einspännern über großzügig angelegte Wege kutschiert, profitiert die gebeutelte Unterschicht vom satten Grün und erholt sich an der frischen Luft. So die Theorie.
Zwangsräumung und Sprengstoff
Wenig harmonisch verläuft die Erschließung des steinigen und sumpfigen Geländes zwischen der 59. und 106. Straße – erst 1863 wird der Park bis zur 110. Straße nordwärts erweitert. 1600 Menschen leben hier. Die Zwangsräumung steht für alle an, auch für die Siedlung Seneca Village, in der 270 Afro-Amerikaner leben, Nachkommen von Sklaven.
Anfang 1858 beginnen 3000 irische, deutsche und englische Tagelöhner mit dem Bau des Parks. Für zehn Stunden Schufterei pro Tag gibt es einen Dollar Lohn. Wochenlang sprengt man Hindernisse aus dem Weg, mehrere Arbeiter kommen dabei zu Tode.
Rund 700 Kilometer Kanalrohre werden als unterirdische Drainage verlegt, 50.000 Kubikmeter Kieselsteine auf der gesamten Parkfläche verteilt. Hier wird gerodet, dort gepflanzt, insgesamt 240.000 Bäume und Sträucher. Man schüttet Hügel auf, baggert Tümpel zu Seen aus.
Das Ziel: eine wie natürlich gewachsene Landschaft – ergänzt durch eine Vielzahl von Architekt Calvert Vaux entworfene Brücken, Terrassen, Treppen, Brunnen, Tore, Bögen, Zäune, Mauern und vier Hauptstraßen. Unterstützung bekommen sie von einem Team aus Architekten, Ingenieuren, Gärtnern und Schmieden, die zum Teil extra aus Europa anreisen.
"The Lake", einer der beliebtesten Seen im Park
Der "Engel der Wasser" soll Wunden heilen
Im Winter 1858 wird das erste Parkstück der Öffentlichkeit übergeben. Auf dem See südlich des Ramble laufen die New Yorker Schlittschuh. Vollendet und offiziell eröffnet wird der zehn Millionen Dollar teure Central Park 1873 – nach 16 Jahren Bauzeit. Die Fertigstellung verzögert sich durch den amerikanischen Bürgerkrieg.
Als Olmsted und Vaux im Sommer 1865 ihre Arbeit am Park wieder aufnehmen, wollen sie helfen, die seelischen Wunden des Krieges zu heilen. Dafür steht der 1873 fertig gestellte "Engel der Wasser" im Springbrunnen an der Bethesda-Terrasse. Die Bronzefigur von der Bildhauerin Emma Stebbins ist, angelehnt an das Johannes-Evangelium, Symbol für die heilenden Kräfte der Natur.
Tatsächlich ist der fertige Park eine perfekte Landschaft mit Schafweiden und Wanderpfaden, abgeschiedenen Wäldchen und versteckten Teichen, glitzernden Seen für Bootsfahrten und romantischen Brücken. Doch der Wunsch der Parkplaner nach einem Ausgleich der harten sozialen Gegensätze erfüllt sich nicht.
Zur großen Enttäuschung von Olmsted und Vaux schütteln die Parkbesucher keineswegs ihre Standesunterschiede ab. Ende der 1860er-Jahre gerät der Central Park zum Spielplatz der Wohlsituierten und bleibt, zu weit abgelegen von den Wohnbarracken, eine ferne Oase für die Arbeiterschicht. Fünf Cent für eine Fahrt zum Park mit Omnibus oder Pferdewagen – diese Summe ist bei einem Dollar Tageslohn für viele indiskutabel.
Winteridylle im Central Park
Verbotsschilder sind Vergangenheit
Der erste Spielplatz wird 1926 mit Rutschen und Klettergerüsten gebaut – gegen den Willen der Konservativen, die den Park als Naturlandschaft erhalten wollen. Der Spielplatz ändert die soziale Situation: Vor allem die Eltern der Mittel- und Arbeiterschicht kommen jetzt mit ihren Kindern.
Um 1940 gibt es mehr als 20 Spielplätze im Central Park, von einer elitären Oase ist kaum noch etwas zu spüren. Davon zeugt auch das Verschwinden der Schilder, die das Picknicken, Spielen, Betreten der Grünflächen und jede andere Körperaktivität verboten hatten.
In den 1960er- und 1970er-Jahren lockern sich die Parksitten noch mehr. Streckenweise gleicht der Park einer Müllhalde, unter anderem wegen der vielen Rallyes und Konzerte im Park – darunter Simon and Garfunkels berühmtes "Concert In Central Park" am 19. September 1981 mit 500.000 Besuchern.
"You Gotta Have A Park!" ("Du brauchst einen Park!") – unter diesem Motto ruft der neu gegründete Förderverein Central Park Conservancy Anfang der 1980er-Jahre die Parkbesucher zu Aufräumaktionen und Spenden auf. Das Geld ermöglicht Reparaturen und neue Pflanzungen.
Heute ist der Central Park als Haupterholungsterrain der New Yorker nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken – ob als Skaterstrecke, Open-Air-Bühne, Feinschmeckertempel, Sonnenanbeterwiese oder "Erholungswald für Faulenzer".
Der Central Park bietet viele Wiesen für Sonnenanbeter
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 18.03.2020)
Quelle: WDR