Klima
Bauernregeln und Phänologie – die Lehre von den Erscheinungen
"Von wilden Blümlein die roten und Spechte sind Frühlingsboten": Bauernregeln klingen oft drollig. Doch dahinter verbirgt sich eine ernst zu nehmende Wissenschaft: die Phänologie. Ihre Ergebnisse sind auch interessant für die Klimaforschung.
Von Christine Buth
Was ist Phänologie?
Das griechische Wort "phainein" bedeutet "sichtbar machen". Dementsprechend ist die Phänologie die Lehre von dem, was sichtbar ist, wissenschaftlich ausgedrückt: die "Lehre von den Erscheinungen".
Gemeint sind die periodisch wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungserscheinungen von Pflanzen und Tieren. Da Tiere jedoch aufgrund ihrer Beweglichkeit schwerer zu beobachten sind, stehen meist Pflanzen im Mittelpunkt des phänologischen Interesses.
Phänologen beobachten bei Pflanzen die Eintrittszeiten charakteristischer Wachstumsstufen, die "phänologische Phasen" genannt werden. Darunter fällt zum Beispiel der Beginn der Blüte, außerdem der Beginn der Blattentfaltung oder Blattverfärbung.
Blattverfärbung ist eine phänologische Phase
Mithilfe solcher Daten können Phänologen feststellen, wie sich die Entwicklung von Pflanzen in den vergangenen Jahren verändert hat.
Auf dieser Grundlage sagen sie Trends für die Zukunft voraus, zum Beispiel, dass die Apfelblüte früher einsetzen wird als in vergangenen Jahren. Dabei können sie in manchen Fällen auf große Vergleichsdatenmengen aus früheren Zeiten zurückgreifen, sogenannte Lange Reihen, denn die Phänologie ist eine Wissenschaft mit langer Tradition.
Die Anfänge der Phänologie
Die erste phänologische Beobachtungsreihe wurde bereits im Jahr 705 zusammengestellt. Experten des kaiserlichen Hofes in Japan untersuchten über viele Jahre die Eintrittsdaten der jährlichen Kirschblüte in Kyoto.
Als Symbol des wiedererwachenden Lebens hat "Sakura", die Kirschblüte, auch heute noch große Bedeutung für die gesamte Nation und wird jedes Jahr mit rauschenden Festen gefeiert.
Kirschblüte am Fujiyama
In Europa begann die Geschichte der Phänologie zunächst als private Initiative: In Schottland verschrieben sich gleich sechs Generationen einer Familie der Phänologie. Zwischen 1736 und 1925 führten die Mitglieder der Familie Marsham Pflanzenbeobachtungen durch und fertigten detaillierte phänologische Aufzeichnungen an, unter anderem über den Beginn der Blühzeit des Schneeglöckchens.
Eine Wissenschaft entsteht
Im 18. Jahrhundert entdeckte auch die europäische Wissenschaft die Bedeutung der Phänologie und unternahm erste flächendeckende Untersuchungen. Der schwedische Botaniker Carl von Linné richtete 1750 in Schweden ein Beobachtungsnetz mit 18 Stationen ein.
Carl von Linné richtete in Schweden ein Beobachtungsnetz ein
Die "Societas Meteorologica Palatina" in Mannheim startete sogar ein internationales Projekt. 32 Stationen, verteilt in einem weiten Areal von Nordamerika bis zum Ural und von Grönland bis zum Mittelmeer, lieferten phänologische Beobachtungsdaten.
Der eigentliche Durchbruch der Phänologie gelang 1882. Auf Initiative des deutschen Forschers Herrmann Hoffmann wurden in ganz Europa nach einheitlichen Richtlinien phänologische Beobachtungen durchgeführt. Die Daten wurden systematisch gesammelt und bis 1941 in einer fortlaufenden Reihe veröffentlicht.
Die Phänologie als Grundlage der Volksernährung
Die nationalsozialistische Ideologie war eng verknüpft mit einer Verherrlichung des Bauerntums als "Nährstand" des Reiches. In diesem Zusammenhang gewann auch die Phänologie an Bedeutung.
Um die "bestmögliche Ausnutzung des deutschen Bodens" zu gewährleisten und damit die Versorgung Hitlerdeutschlands mit landwirtschaftlichen Produkten zu sichern, wurde 1936 ein umfangreiches phänologisches Beobachtungsnetz geschaffen.
Dazu wurden alle bereits bestehenden phänologischen Netze auf dem Gebiet des Deutschen Reiches vereinigt und dem Reichswetterdienst unterstellt. Das Gesamtnetz umfasste etwa 7000 Beobachter und wurde von dem Agrarmeteorologen Fritz Schnelle betreut.
Das Idealbild des Nationalsozialismus war bäuerlich geprägt
Die Internationalen Phänologischen Gärten in Berlin
Auch in der Nachkriegszeit blieb die Phänologie interessant, wohl auch deshalb, weil die Sicherung der Volksernährung immer noch ein wichtiges Thema war.
Die deutschen Wetterdienste "Meteorologischer Dienst" und "Deutscher Wetterdienst" machten sich die Phänologie zur Aufgabe. Fritz Schnelle blieb als Leiter der Agrarmeteorologie weiterhin der oberste Interessenvertreter der Phänologie beim Deutschen Wetterdienst.
Schnelle war es auch, der 1957 die "Internationalen Phänologischen Gärten" (IPG) in Europa begründete, die bis heute bestehen. Die IPG ermöglichen es, noch genauere Daten zu erfassen. Eines der großen Probleme bei der Beobachtung phänologischer Phasen besteht nämlich darin, dass Pflanzen gleicher Sorte trotz identischer Bedingungen sehr verschieden auf die Witterung reagieren können. Hierfür sind genetische Unterschiede verantwortlich.
Um Mess-Ungenauigkeiten infolge genetischer Einflüsse auszuschließen, werden alle IPG mit genetisch einheitlichen Beobachtungsobjekten bepflanzt. Alle Pflanzen dieser Gärten gehen auf gleiche Mutterpflanzen zurück und sind damit sortenecht. Eine Streuung der Daten aufgrund von früh- und spätblühenden Typen wird damit unterdrückt und ein möglichst standardisiertes Ergebnis erreicht.
Durstphase und Wiedererweckung der Phänologie
In den 1960er-Jahren schwand das Interesse an der Phänologie. Neue Produktionsmethoden in der Landwirtschaft führten zu Überschussernten. Aufwändige Einzelbeobachtungen in der Natur erschienen vielen verantwortlichen Stellen unnötig. So wurden die weit verzweigten phänologischen Netze in Europa nach und nach aufgegeben – die Phänologie geriet in Vergessenheit.
Ihr Schattendasein währte bis in die 1990er-Jahre hinein, dann gab ein globales Phänomen neue Impulse: die weltweit festgestellten Klimaveränderungen. Länder, die viele Jahre zuvor ihre phänologischen Netze aufgegeben hatten, belebten sie nun neu, darunter Kanada, Großbritannien und die USA.
Heute werden phänologische Beobachtungen vielseitig genutzt: von Kunden aus der Landwirtschaft, von Behörden und Ministerien und von Forschungseinrichtungen. Auch für den Fremdenverkehr sind die Beobachtungen aus der Natur interessant, wenn zum Beispiel die Apfelblüte im Alten Land bei Hamburg als Naturschauspiel beworben wird.
Touristenmagnet: Apfelblüte im Alten Land
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 04.03.2020)
Quelle: WDR