Atlantische Heiden von Norwegen bis Portugal
Schon vor 5000 Jahren kultivierten die Menschen die offene und teilweise baumlose Landschaft durch den gezielten Einsatz von Feuer. Das traditionelle Abbrennen der Heidelandschaft, die Pflege der Heideflächen durch Weidetiere und die Nutzung der kargen Böden durch den Menschen schufen ein sensibles Ökosystem, das bis heute diese einzigartige Kulturlandschaft Europas prägt.
Spricht man von den Heidegebieten, die vom atlantischen, also vom milden, feuchten Meeresklima geprägt sind, so unterscheiden Fachleute drei Regionen: Zu den küstennahen, nordwesteuropäischen Heidegebieten zählen die Landschaften in Norwegen, Irland, Nordwest-Schottland und auf den atlantischen Inseln wie den Orkney- und Shetlandinseln.
Die zentralen, nicht unmittelbar an der Küste gelegenen Heideregionen umfassen Gebiete in Schweden, Dänemark, Deutschland (Lüneburger Heide), den Benelux-Staaten, England und Frankreich.
Eine dritte Region, die über atlantische Heiden verfügt, findet der Reisende in Südeuropa. In Südfrankreich, Spanien und Portugal liegen die Heideregionen im küstennahen steilen Bergland, während die zentralen Heidegebiete eher in flach welligen Tiefland-Regionen zu finden sind.
Je nach Region sind die Heidelandschaften sehr unterschiedlich: Im Norden gibt es Moor- und Sumpflandschaften, im Zentrum weite Sandheiden und im Süden überziehen bunte Blumenteppiche die felsigen Bergkuppen.
Alle drei Regionen haben aber eines gemeinsam: Von Sommer bis Herbst verwandelt sich die weite baumlose Heidelandschaft in ein lilafarbenes Paradies aus blühendem Heidekraut.
Blühende Heidelanschaft in Wales
Natürlich gibt es auch in Kontinentaleuropa und in den Alpenregionen Heidegebiete wie die Lechtalheiden in Bayern bei Augsburg. Diese gehören allerdings nicht zum Typ der atlantischen Heiden und weisen eine ganz andere Vegetation auf. Hier herrschen Biotope vor, die geprägt sind durch große Auwälder, Feuchtwiesen und Trockenrasenflächen, wo zahlreiche Krautpflanzen wachsen – Heidekraut kommt hier nicht vor.
Landschaftsgestaltung durch Brandrodung
Als vor 5000 Jahren die Bauern der Steinzeit Weideland für ihr Vieh brauchten, musste der Wald weichen. Da das Abholzen viel zu aufwändig gewesen wäre, überließen die Menschen diese Arbeit dem Feuer. Auf diese Weise brannten ganze Wälder nieder.
Auf den weiten Brandflächen spross bald ein Teppich aus Heidekraut. Heidekraut, insbesondere die weit verbreitete Besenheide (Calluna vulgaris), gehört zu den typischen Brandkeimern. Ihre Samen überleben den Brand unter der Erdoberfläche und können schon im nächsten Jahr wieder austreiben. Die durch Rodung gewonnenen Heideflächen waren ideale Weideflächen für die Tiere der steinzeitlichen Bauern.
Diese Art der Heidepflege setzte sich im Laufe der Jahrtausende fort. Generationen von Heidebauern sorgten mithilfe kontrollierter Brände dafür, dass die Besenheide sich immer mehr in den Küstengebieten Westeuropas verbreiten konnte und zur dominierenden Küstenlandschaft von Norwegen bis Portugal wurde.
Ihre größte Ausdehnung erreichte die europäische Heidewirtschaft um 1800. Doch schon 50 Jahre später waren nur noch 20 Prozent der Heidefläche übrig. Was war passiert?
In der Mitte des 19. Jahrhunderts ging die traditionelle Landwirtschaft immer weiter zurück, die Industrialisierung war auf dem Vormarsch, die Produkte der Heidebauern wurden nicht mehr ausreichend nachgefragt. Das führte dazu, dass viele Heidebauern ihre Höfe aufgaben.
Aber die Heidelandschaft kann auf Dauer nur durch die ständige Pflege der Bauern erhalten werden. Überlässt der Mensch diese Kulturlandschaft sich selbst, dann verbuscht die Heide. Der Wald erobert sich die offene Landschaft zurück.
Heidewirtschaft: einfach und schlau
Die Heidebauern haben ihre Höfe überall nach dem gleichen Prinzip bewirtschaftet – und das ist so simpel wie intelligent. Die Böden in den atlantischen Heidegebieten sind nährstoffarm und versprechen wenig Ertrag. Folglich versuchten die Heidebauern gar nicht erst, Getreide in großen Mengen anzubauen. Sie setzten von Anfang an auf Viehhaltung.
Weidegrund war in der Heide ausreichend vorhanden. Warum also mühsam Ackerbau betreiben, wenn das Vieh sich in der Heide selbst ernähren kann? Der einzige Haken an der Sache war, dass die Heideflächen instand gehalten werden mussten und das war oft eine harte Plackerei.
Alle Heidehöfe hatten kleine sogenannte "Infields" – das waren die um den Heidehof gelegenen Felder und Wiesen. Die größeren "Outfields" waren die Heide- und Weideflächen für das Vieh.
Das Vieh spielt eine entscheidende bei der Pflege der Landschaft
Die Bewirtschaftung der kleinen Felder und Wiesen erforderte harte Arbeit. Es war nicht leicht, den kargen Böden Erträge abzutrotzen, weshalb die Bauern ein ausgeklügeltes System von Nährstoffentnahme und Nährstoffanreicherung ersannen, das perfekt an die ökologischen Verhältnisse angepasst war. Alle Ressourcen aus der Umgebung wurden genutzt: Viele der Heidebauern waren daher auch gleichzeitig als Imker, Fischer oder Winzer tätig.
Keine Heidewirtschaft ohne Heidekraut
Ohne die typischen Pflanzen wäre die europäische Heidebauernwirtschaft undenkbar gewesen. Wenn die Heide blüht, gewinnt man den Eindruck, dass vor allem das Heidekraut dominiert. Bei genauerem Hinsehen aber bietet die Heide eine Vielfalt an Pflanzen, die sich perfekt an ihre karge Umgebung angepasst haben.
Dennoch sind die Heideflächen Europas vor allem von der Besenheide und ihren Verwandten aus der Familie der Ericaceae (Glockenheide, Graue Heide, Cornwall-Heide) geprägt. Die meisten sind immergrüne Zwergsträucher und dienen dem Vieh das ganze Jahr über als Futterquelle.
Die Glockenheide ist ein typisches Gewächs atlantischer Heidelandschaften
Die Heidearten blühen von Purpur bis Violett den ganzen Sommer hindurch zu verschiedenen Zeiten. Generell gilt: Im Süden ist die Artenvielfalt anders und ausgeprägter als im Norden. Außer Heidekraut blühen in den einzelnen Regionen verschiedene Ginsterarten, Enziane, Moose oder die Krähenbeere.
Die Tiere der Heidebauern
Das Weidevieh der Heidebauern hat eines gemeinsam: Die Tiere müssen genügsam und anspruchslos sein. Viele von ihnen weiden fast das ganze Jahr lang draußen und kommen ohne zusätzliches Futter aus. Die Tiere sind das Kapital der Heidebauern – ohne sie könnten die Menschen keine Landwirtschaft betreiben.
Die Tierarten variieren je nach Region. In den nordwestlichen Küstengebieten setzen die Bauern vor allem Schafe und Rinder ein. Typisch ist beispielsweise das zottige, schottische Hochlandrind. Auf den Heiden Südenglands sind auch oft Pferde wie das genügsame New-Forest-Pony anzutreffen.
New-Forest-Stute mit Fohlen in England
In den zentralen Heidegebieten wie in der Lüneburger Heide setzt man hingegen auf eine alte Schafsrasse, die Heidschnucke. In Spanien und Portugal halten Heidebauern oft Ochsen und Esel, die gleichzeitig als Zugtiere in der Landwirtschaft eingesetzt werden können. Die Rasse der Barrosa-Rinder wird auf portugiesischen Heidehöfen gezüchtet und ist bekannt für ihre Zähigkeit und Ausdauer.
Im Allgemeinen greifen die Heidebauern lieber auf alte Viehrassen zurück. Die sind zwar kleiner und liefern weniger Fleisch, sind dafür aber wesentlich robuster.
Europäische Heidelandschaften heute
Heute ist nur noch ein Bruchteil der einstigen Heideflächen mit ihren traditionellen Heidehöfen erhalten. Doch dank des Engagements von Naturschützern und Kulturpflegern gibt es in Europa noch immer einige Heidegebiete.
Viele der Regionen – wie die Lüneburger Heide in Niedersachsen – stehen heute unter Naturschutz. Damit sind sie nicht nur ein beliebtes Rückzugsgebiet für Wanderer und Touristen, sondern auch eine letzte Zufluchtsstätte für bedrohte Tierarten. In der Heide finden neben Fuchs, Reh und Hase auch seltene Vögel wie der prächtige Birkhahn oder seltene Reptilien und Insekten ein Zuhause.
Rinder übernehmen die Heidepflege
(Erstveröffentlichung: 2009. Letzte Aktualisierung: 25.07.2018)
Quelle: WDR