Geschichte Preußens
Ostpreußen
Ostpreußen war jahrhundertelang eine Provinz des deutschen Königreichs Preußen und ist deshalb eng mit der deutschen Kultur verbunden. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden rund zwei Millionen Ostpreußen vertrieben und enteignet. Heute gehört die Region zu Russland und Polen.
Von Carsten Günther, Eva Mommsen
Die Kornkammer des Deutschen Reichs
Die preußische Provinz Ostpreußen war von 1871 bis 1945 der östlichste Landesteil des Deutschen Reichs. Hier herrschten adelige Gutsbesitzer wie die Fürsten zu Dohna, die Grafen Finckenstein oder die Grafen Dönhoff. Sie besaßen große Ländereien, bauten Getreide und Kartoffeln an und betrieben oft auch Pferdezucht. Die Hauptstadt Königsberg wurde vor allem durch ihre berühmte Universität zu einem geistigen und kulturellen Zentrum.
Um 1900 hatte Ostpreußen etwa zwei Millionen Einwohner, rund drei Viertel der Bevölkerung lebten von der Landwirtschaft.
Bereits zu dieser Zeit wurden in Ostpreußen moderne Agrar-Techniken entwickelt und angewandt. So gab es ein ausgeklügeltes Drainagesystem mit Pumpen und Kanälen, um der weit verbreiteten Moorlandschaft das Wasser zu entziehen und diese für die Landwirtschaft nutzbar zu machen.
Den daraus resultierenden reichen Ernten verdankte Ostpreußen seinen Namen als "Kornkammer des Deutschen Reichs".
Doch immer wieder geriet Ostpreußen während Kriegen zwischen die Fronten. Im Ersten Weltkrieg etwa war die Provinz zeitweilig von russischen Truppen besetzt.
Ostpreußen vor der Teilung
Vom Reich getrennt
Als der Erste Weltkrieg vorüber war, machten die Siegermächte das Deutsche Reich als Verlierer und Alleinverschuldner verantwortlich. Die Siegermächte beschlossen im Versailler Friedensvertrag von 1918, große Teile Westpreußens und die ostpreußische Stadt Soldau vom Deutschen Reich abzutrennen und dem polnischen Staat zu übertragen. Das Memelland im Norden Ostpreußens gehörte ab 1923 zu Litauen.
Ostpreußen wurde durch den "Polnischen Korridor" – einen 30 bis 90 Kilometer breiten Landstreifen, der Polen den Zugang zur Ostsee ermöglichte – vom Deutschen Reich getrennt und somit eine Exklave.
Ostpreußen geriet durch den Korridor auch in eine wirtschaftliche Isolation, die sich während der Weimarer Republik in der Weltagrarkrise 1928 zu einer Notlage entwickelte.
Der Zweite Weltkrieg und die Flucht
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler im Jahr 1933 übernahmen die Nationalsozialisten auch in Ostpreußen die Macht. Während des Zweiten Weltkrieges war die Provinz lange die Befehlszentrale für den Ostfeldzug Hitlers. Vom "Führerhauptquartier Wolfsschanze" im heutigen Polen dirigierte der deutsche Diktator bis Ende 1944 seine Truppen.
Die Rote Armee, so wurden die sowjetischen Truppen genannt, drang im Spätsommer 1944 schließlich bis an die deutsche Ostgrenze vor. Die Bevölkerung begann ab Oktober 1944 überstürzt in Richtung Westen zu fliehen.
Doch die Evakuierung der ostpreußischen Gebiete wurde von den Behörden zu spät eingeleitet, da die nationalsozialistische Führung immer noch behauptete, dass ein deutscher Sieg bevorstehe.
Anfang 1945 wurde Ostpreußen von der Roten Armee überrollt. Von den rund 2,5 Millionen Einwohnern flohen allein im Januar 1945 mehr als 1,4 Millionen Menschen unter grausamen Bedingungen.
Rund zwei Millionen Menschen flohen aus Ostpreußen
Es war ein harter Winter mit Temperaturen bis minus 30 Grad Celsius, und immer wieder gerieten die Flüchtlinge zwischen die Fronten. Die Feuergefechte, Fliegerangriffe, Minen und nicht zuletzt die Kälte kosteten mehr als 300.000 Menschen das Leben.
Nach Kriegsende wurde das Ende Ostpreußens offiziell besiegelt und die Provinz auf der Potsdamer Konferenz von den Siegermächten aufgeteilt. Das nördliche Gebiet ging an die Sowjetunion, der südliche Teil wurde polnisch.
Leben in der russischen Region "Oblast Kaliningrad"
Nachdem die Deutschen aus dem nördlichen Teil Ostpreußens geflohen waren, wurden 1946 Sowjet-Bürger in dem jetzt unter sowjetischer Verwaltungshoheit stehenden Gebiet angesiedelt. Die Sowjetunion wollte dort einen kommunistischen Musterstaat aufbauen. Die Stadt Königsberg wurde in Kaliningrad umbenannt. Auch die anderen Orte bekamen russische Namen, das deutsche Erbe in der Region sollte vergessen werden.
In Russland und Weißrussland wurden rund 20 Landkreise festgelegt, aus denen die Übersiedler kommen sollten. Diese wurden mit Geld, Besitz und besseren Lebensbedingungen angeworben, doch der Krieg und die anschließenden Plünderungen hatten nicht viel von den Dörfern, Gutshöfen und Häusern übrig gelassen.
Viele Orte waren zerstört
Die neuen Bewohner fanden leere, zum Teil zerfallene Häuser ohne Fenster und Türen vor. Zudem gab es Probleme mit der Infrastruktur: Die ostpreußischen Bahngleise entsprachen nicht sowjetischem Standard und mussten ausgetauscht werden.
Die neuen Siedler kannten sich außerdem mit dem modernen Abwassersystem nicht aus. Sie zerstörten das Drainagesystem, da sie die Rohre ausbauten und als Leitungsrohre für ihre Häuser benutzten.
Rund 64 Prozent der ersten 52.000 Bewohner gingen enttäuscht wieder zurück in ihre ehemalige Heimat. Wer blieb, wurde in den wenigen landwirtschaftlichen Großbetrieben beschäftigt.
1969 lebten inklusive des Militärs schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen in der neuen Region, genannt "Oblast Kaliningrad". Viele Landstriche, etwa die Küste und die vorgelagerten Landzungen, die sogenannten Nehrungen, wurden militärisches Sperrgebiet.
Die Kornkammer wird zu Brachland
Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 brach auch im russischen Teil Ostpreußens eine neue Zeit an. Die landwirtschaftlichen Großbetriebe wurden aufgelöst. Viele Bauern bekamen ein kleines Stück Ackerland geschenkt, das sie aber meist aus Geldmangel nicht bewirtschaften konnten. Nur wenige bauten neue landwirtschaftliche Betriebe auf.
Als im Jahr 2004 die Europäische Union (EU) um die baltischen Staaten und Polen erweitert wurde, wurde aus der Oblast Kaliningrad eine russische Exklave inmitten der EU. Die Grenzkontrollen wurden verschärft, was den Import und Export von Gütern erheblich erschwerte. Oft müssen die Lastwagenfahrer tagelang an den Grenzen warten. Viele Unternehmer scheuen sich deshalb bis heute, in das ehemalige ostpreußische Gebiet Geld zu investieren.
Heute leben rund eine Million Menschen in der Region Kaliningrad, davon sind 86 Prozent Russen. Die meisten der rund 8.000 Deutschen, die dort wohnen, sind Russlanddeutsche, die in den 1990er-Jahren aus anderen Regionen Russlands und aus Kasachstan kamen.
Inzwischen wurden viele historische Gebäude restauriert, darunter der Königsberger Dom, auch mit Geldern aus Deutschland. Seitdem entdecken viele Bewohner ihr Interesse an der deutschen Vergangenheit der Region.
Kaliningrad heute
Leben in der polnischen Region Ermland-Masuren
1949 wurde das ehemalige ostpreußische Gebiet Ermland-Masuren, mit Olsztyn (Allenstein) als größter Stadt, dem polnischen Staat zugeteilt. Hier ließen sich etwa drei Millionen Bürger aus Zentralpolen und etwa zwei Millionen Vertriebene aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten wie Posen und Westpreußen nieder.
Rund 45.000 Deutsche, Oberschlesier und Masuren blieben in der Region – unter der Bedingung, ihre deutschen Nachnamen abzulegen und fortan nicht mehr deutsch zu sprechen.
Die Landwirtschaft war in Ermland-Masuren jahrhundertelang die Haupteinnahmequelle. In großen und kleineren Betrieben konnten die Bewohner ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch allgemein galt die Region in Polen als arm und unterentwickelt.
Burg von Olsztyn (ehemals Allenstein) in Ermland-Masuren
Das änderte sich geringfügig nach dem Zerfall der Sowjetunion, denn jetzt konnten sich Masuren und das Ermland auch touristisch entwickeln. Viele Reisende kommen wegen der zahlreichen Seen und der wunderschönen Landschaften. Auch viele ehemalige deutsche Bewohner Ostpreußens besuchen die Region. Binnen kurzer Zeit wurde der Tourismus zur Haupteinnahmequelle, zumindest während der Sommermonate.
2004 wurde Polen Mitglied in der Europäischen Union. Seitdem fließen neben den staatlichen Hilfen auch EU-Fördergelder nach Ermland-Masuren. Autobahnen und ein Schienennetz wurden gebaut, neue Wirtschaftszweige wie Autoelektrotechnik und Stoffverarbeitung wurden angesiedelt.
Viele ehemalige Gutshöfe in Masuren sind heute Hotels
(Erstveröffentlichung: 2010. Letzte Aktualisierung: 28.07.2022)
Quelle: WDR