Die innere Uhr
Planet Wissen. 25.08.2023. 02:40 Min.. Verfügbar bis 09.01.2028. SWR.
Zeitrhythmus des Menschen
Innere Uhren
Biorhythmen gibt es bereits seit Jahrmillionen. Selbst Einzeller verfügen über innere Uhren, die ihren Tagesablauf regeln. Doch wie funktionieren die Biorhythmen? Wie und wodurch werden sie gesteuert?
Von Jochen Zielke
Was ist eine innere Uhr?
Die innere Uhr ist natürlich keine echte Uhr. Es ist nur ein Begriff, der ausdrücken soll, dass die meisten Lebewesen einem bestimmten Tagesrhythmus folgen, der von ihrem Körper selbst vorgegeben wird. Wissenschaftler sprechen auch von einem "Biorhythmus".
Der Biorhythmus ist fast so alt wie das Leben selbst. Sogar Einzeller besitzen Uhren-Gene, die ihren Tagesablauf regeln. Solche Gene kommen in allen Organismen vor und ähneln sich stark. Auch der Mensch hat einen eigenen Zeitrhythmus.
Der innere Grundrhythmus lässt sich kaum verstellen. Er schwankt zwischen 23,5 und 25 Stunden und wird vom Sonnenlicht als äußerem Taktgeber täglich neu auf 24 Stunden eingestellt.

Sonnenlicht synchronisiert die innere Uhr
Im Wechsel von Tag und Nacht steigt und sinkt zum Beispiel die Körpertemperatur, es verändern sich die Hormonspiegel im Blut, aber auch die Empfindlichkeit von Nerven. Schmerzen werden nachmittags zum Beispiel weniger stark empfunden als nachts.
Das Sonnenlicht synchronisiert unsere inneren Uhren auch auf jahreszeitliche Rhythmen. Welche Auswirkungen die inneren Uhren haben können, verdeutlichen Beispiele aus dem Tierreich. Manche Tiere halten Winterschlaf, viele Fortpflanzungszeiten richten sich nach dem Rhythmus der Natur.
Wie genau diese inneren Uhren aussehen, wie sie funktionieren, ob es eine Hauptuhr gibt, ist noch weitgehend unerforscht. Die Chronobiologie steht erst am Anfang, doch einige weitere Uhren-Gene hat man schon in den vielen verschiedenen Organismen entdeckt.
Wie wird die innere Uhr gesteuert?
Vermutlich ist unser Biorhythmus ein Regelkreislauf. Die Tageszeit erkennt der Körper über die Lichtintensität der Sonnenstrahlen. Vor einigen Jahren wurde in der Netzhaut des Auges das Sehpigment Melanopsin entdeckt, das äußerst empfindlich auf Veränderungen der Lichtintensität reagiert. Die Information gelangt über die Sehnerven in einen Teil des Gehirn, der entwicklungsgeschichtlich sehr alt ist.
Viele Forscher halten diesen Kern, den Nucleus suprachiasmaticus (SCN), für das Kernstück der Körperuhr. Hier wird der 24-Stunden-Rhythmus synchronisiert, die innere Uhr etwas nach vorn oder nach hinten verstellt.
Gleichzeitig scheint hier aber auch der Grundrhythmus gesteuert zu werden. Die Nervenimpulse des SCN beeinflussen andere Hirnregionen, und über Gehirndrüsen, die tagesperiodisch Hormone ausschütten, auch die unterschiedlichsten Körperfunktionen.
Die Nervenzellen des SCN könnten so etwas wie eine Schrittmacher-Funktion besitzen. Tieren, denen man den SCN entfernte, verloren ihren typischen Tagesrhythmus. Vom SCN werden vermutlich Schlaf- und Wachphasen gesteuert, aber auch die Körpertemperatur.
Die Erfindung der Uhrzeit
Planet Wissen. 29.10.2018. 02:24 Min.. UT. Verfügbar bis 24.03.2027. WDR.
Auch Organe haben eine innere Uhr
Auch die Zellen in den Körperorganen enthalten Uhren-Gene. Sie können über Nerven- oder Hormonsignale vom Gehirn aus aktiviert werden, aber auch ein Eigenleben entwickeln. Man hat zum Beispiel festgestellt, dass die Leber als zentrales Stoffwechselorgan rhythmische Aktivitätsschwankungen entwickelt, wenn nur zu bestimmten Zeiten Nahrung verwertet werden kann.
Ratten, die ausschließlich zu ungewöhnlichen Zeiten gefüttert wurden, entwickelten eine neue Leber-Rhythmik. Das verdeutlicht, wie kompliziert das Wechselspiel des Uhren-Räderwerks ist.

Auch die Leber hat einen Rhythmus
Der Zell-Chronograph funktioniert im Prinzip wie eine Wasseruhr. Die Zelle produziert laufend Proteine, zum Beispiel über Period-Gene, die von äußeren Einflüssen wie zum Beispiel dem Nahrungsangebot aktiviert werden können.
Die Produktion läuft so lange, bis die Zelle gewissermaßen überläuft. Dann blockieren die Proteine in einer Art Rückkopplung ihre eigene Produktion, werden langsam wieder abgebaut – und alles beginnt von neuem. Andere Uhren-Gene regulieren die Geschwindigkeit eines solchen Zyklus, der dann insgesamt 24 Stunden dauert.
Die innere Uhr funktioniert auch ohne Sonnenlicht
Anfang der 1970er-Jahre versuchte Jürgen Aschoff, Pionier der Chronobiologie, mit spektakulären Versuchen mehr über das Phänomen der Biorhythmen herauszufinden. Die "Bunker-Versuche" im Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Andechs bei München gingen in die Geschichte der Chronobiologie ein – auch wenn sie wegen der Versuchsbedingungen umstritten waren.
Aschoff untersuchte Freiwillige über mehrere Wochen lang in einem unterirdischen Bunker in totaler Isolation. Über Messfühler im Boden registrierte sein Team alle Bewegungen der Versuchsteilnehmer. Mit einer Sonde im After wurden Veränderungen der Körpertemperatur festgehalten.
Bei den Versuchen stellte sich heraus, dass die Probanden im Wesentlichen ihren ureigenen Biorhythmus beibehielten. Das heißt, obwohl natürliches Licht als Taktgeber für den Biorhythmus ausfiel, standen sie in etwa zu gleichen Uhrzeiten auf und legten sich auch zu entsprechenden Uhrzeiten wieder schlafen.
Ihr normaler Tag-Nacht-Rhythmus kam nicht durcheinander. Er verschob sich nur etwas – aus einem 24-Stunden-Rhythmus wurde ein 25-Stunden-Rhythmus – aber offensichtlich verfügte der Körper der Versuchskandidaten über einen licht-unabhängigen Regelmechanismus für Tag-Nacht-Rhythmen. Die Suche nach den inneren Uhren begann.
Wenn die innere Uhr verstellt ist
Doch es gibt auch Fälle, in denen die inneren Uhren verstellt sind. Zum Beispiel bei Betsy Thomas: Die US-Amerikanerin war ihr Leben lang um drei Uhr morgens hellwach und stand auf. Dafür wurde sie schon am späten Nachmittag todmüde und ging gegen 19 Uhr ins Bett.
Betsy Thomas lebte mit einer ständigen Zeitverschiebung, sozusagen einem lebenslänglichen Jetlag. Ihr Biorhythmus war im Vergleich zu anderen Menschen um gute vier Stunden verschoben. Eine Katastrophe für ihr soziales Leben. An abendlichen Feiern nahm sie nur selten teil, auch ihr Ehemann musste einiges an Verständnis aufbringen.
Rund 20 weitere Verwandte – verteilt über vier Generationen – leben und lebten nach dem gleichen Rhythmus. Die Ursache für das Phänomen fanden Wissenschaftler der University of Utah im Erbgut von Betsy Thomas. Im Vergleich zu anderen Menschen war bei ihr ein so genanntes "Period-Gen" verändert und dadurch geriet ihre innere Uhr durcheinander, die normalen Tagesrhythmen verschieben sich.
Neben Betsy Thomas gibt es noch weitere Frühschläfer. Doch bei ihnen suchten die Forscher die Period-Gen-Veränderung vergeblich. Es muss also viele Uhren-Gene im Körper geben. Und alle sind wahrscheinlich kleine Rädchen, die das gesamte innere Uhrwerk verstellen können.
(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 30.03.2020)
Quelle: SWR