Die Wirtschaft in Indien – Wachstum mit Schwierigkeiten
Planet Wissen. 13.05.2024. 03:14 Min.. UT. Verfügbar bis 12.10.2028. WDR. Von Jörg Dehning.
Asien
Indien
Wolkenkratzer und Slums, Hightech und Hunger, wirtschaftlicher Aufschwung und bittere Armut – all das ist Indien. Das Land, das vor wenigen Jahren für einen starken Wirtschaftsboom stand, macht heute vor allem mit sozialen Problemen auf sich aufmerksam.
Von Ana Rios
Wirtschaftlicher Aufschwung
Indien ist nach China das bevölkerungsreichste Land der Erde: Mehr als 1,2 Milliarden Menschen leben hier (Stand: 2018).
Unter den Schwellenländern galt Indien lange als wirtschaftlicher Hoffnungsträger. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs in den vergangenen Jahren stark an, durchschnittlich um fünf Prozent. Dennoch hat die indische Wirtschaft gravierende Probleme.
Armut steht oft direkt neben Wohlstand
Wolkenkratzer neben Slums
In innovativen Branchen wie der Informations- oder Biotechnologie gehört Indien zu den führenden Staaten der Welt. Eine gut ausgebildete Elite hat den sozialen Aufstieg geschafft. In den Städten hat sich eine immer größer werdende Mittelschicht mit einem guten Auskommen entwickelt.
Neben den Wolkenkratzern der Großkonzerne wuchern dagegen die überbevölkerten Slums, die Armut und das Elend der Menschen wachsen. Die hygienischen und sozialen Bedingungen in indischen Slums – vor allem in Neu-Delhi und Kolkata – sind miserabel.
Arbeitslosigkeit und Armut
Indien ist nach China und Japan der wichtigste Wirtschaftsraum Asiens. Trotz dieser wirtschaftlichen Erfolge gibt es kein anderes Land auf der Erde, in dem so viele Menschen in Armut leben. Ein Drittel der Bevölkerung muss im Schnitt mit umgerechnet 1,90 US-Dollar und weniger am Tag auskommen.
Jedes Jahr drängen acht bis zwölf Millionen junge Inder und Inderinnen auf den Arbeitsmarkt. Dies stellt die Regierung vor eine große Herausforderung, da die Zahl der neuen Stellen nicht die Arbeitsplatznachfrage der wachsenden erwerbsfähigen Bevölkerung deckt. Die erhofften Beschäftigungseffekte des Wirtschaftswachstums bleiben aus – von "Jobless Growth" ist die Rede.
Not auf dem Land
Im Zentrum Indiens kämpfen viele Bauern ums nackte Überleben. Auch heute beziehen Expertenschätzungen zufolge noch etwa 42 Prozent der Bevölkerung ihr Einkommen direkt oder indirekt aus der Landwirtschaft. Aufgrund der niedrigen Produktivität ist dort die Armut weit verbreitet. Das führt zu einer starken Landflucht auf dem Subkontinent - die Jugend sucht meist Beschäftigung in den urbanen Zentren.
Harte Zeiten für Baumwollbauern
Selbstmorde unter Baumwollbauern
Die Abhängigkeit der indischen Bauern vom Weltmarkt hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu menschlichen Tragödien geführt. Für die Landbevölkerung ist der Anbau von Baumwolle oft die einzige Chance, um aus der extremen Armut heraus zu kommen. Baumwolle ist aber auch anfällig für Schädlinge und Trockenheit.
Darum werden heute rund 90 Prozent der Baumwollanbauflächen mit gentechnisch verändertem Saatgut angebaut. Steigende Preise für gentechnisch verändertes Saatgut oder Düngemittel und fallende Preise für Baumwolle auf dem Weltmarkt führen jedoch immer wieder zur Aufnahme von Schulden, die viele Bauern nicht mehr zurückzahlen können.
Auch der Klimawandel und die damit verbundene zunehmende Trockenheit spielen eine Rolle. So kam es 2016 nach einer langen Dürre zu tausendfachen Selbstmorden unter Baumwollbauern. Doch die Tragödie reicht länger zurück: Schätzungen zufolge haben sich seit dem Jahr 1995 etwa 300.000 Bauern und landwirtschaftliche Hilfskräfte das Leben genommen. Die Dunkelziffer ist hoch.
Viele Menschen leben ihren Alltag in Armut
Landflucht und Binnenmigration
Die schwierigen Lebensverhältnisse auf dem Land führen dazu, dass Millionen von Saisonarbeitern und Tagelöhnern vom Land in die Großstädte ziehen. Laut Weltbank gibt es in Indien knapp 40 Millionen Wanderarbeiter. Sie haben keinen festen Wohnsitz, sondern ziehen dahin, wo es gerade Arbeit für sie gibt.
Besonders die Trockenheit auf dem Land treibt Millionen von Menschen in die Städte, wo sie sich als Saisonarbeiter in den einfachen Dienstleistungen ihre Existenz sichern. Die meisten arbeiten in Mumbai, Neu-Delhi, Chennai und Ahmedabad. Viele von ihnen hausen in Verschlägen oder schlafen einfach auf der Straße.
Covid-19 führt zu Flucht aus den Städten
Indien ist eines der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder weltweit. Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, hatte es auch hier einen harten Lockdown mit Ausgangssperre gegeben. Die Maßnahmen trafen besonders die Ärmsten der Gesellschaft, die ihr Glück in den großen Städten suchten.
Nachdem die meisten Fabriken geschlossen hatten, flüchteten Millionen von Wanderarbeitern und Tagelöhnern aus den Zentren. Ohne Arbeit und ohne Geld zogen sie zurück in ihre Heimatdörfer – Hunderte von Kilometern weit und oft zu Fuß.
Nach dem Lockdown in Indien versuchen Millionen von Wanderarbeitern in ihre Heimat zurückzukehren
UNSERE QUELLEN
- Bundeszentrale für politische Bildung: "Indien – Landwirtschaft in der Krise"
- World Bank Blogs: "Internal Migration in India Grows, But Inter-State Movements Remain Low"
- ZDF: "Selbstmorde indischer Bauern"
- Rhein-Neckar-Zeitung: "Der Kampf von Baumwollbauern ums Überleben – Heidelberger Ethnologe im Interview"
- Germany Trade And Invest: "Urbanisierung wirkt dynamisch auf Indiens Konsummärkte"
- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: "Indien – Wichtiger Partner in der globalen Zusammenarbeit"
- World Bank: "COVID-19 Crisis Through a Migration Lens". Washington D.C., 2020
- Der Standard: "Wie in Indien Klima und Suizide zusammenhängen"
- PNAS: "Crop-damaging temperatures increase suicide rates in India"
Quelle: SWR | Stand: 16.07.2020, 10:00 Uhr