Mitteleuropa
Prag
Seit Gründung der Tschechischen Republik im Jahr 1993 ist Prag deren Hauptstadt, zuvor war es Hauptstadt der Tschechoslowakei. Rund 1,3 Millionen Menschen leben hier. Wichtigster Wirtschaftszweig in der Metropole ist der Tourismus.
Von Christina Lüdeke
Sagenumwobene Gründung
Bereits in der Jungsteinzeit war das Prager Becken besiedelt. Fürstin Libussa und ihr Mann Přemysl, der Sage nach die Ahnherren des böhmischen Fürstenhauses der Přemysliden, sollen angeblich die Stadt Prag gegründet haben. Historisch belegt ist dies allerdings nicht.
Als offizielles Datum der Stadtgründung wird das Jahr 870 betrachtet, in dem der Grundstein für die Prager Burg gelegt wurde. Die Burg war Sitz böhmischer Regenten und ist heute das größte geschlossene Burgareal der Welt – wenn sich auch sein Aussehen im Lauf der Jahrhunderte oft verwandelt hat.
Besondere Bedeutung erlangte Prag im 14. Jahrhundert, als Karl IV., in Personalunion böhmischer König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Prag zur Reichshauptstadt und zum repräsentativen Kaisersitz erklärte.
Eine weitere Blütezeit hatte die böhmische Metropole unter Rudolf II., ebenfalls Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er machte Prag im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts zum Zentrum des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Mitteleuropa.
Kaiser Rudolf II.
Ab dem 10. Jahrhundert gab es auch eine jüdische Gemeinde in Prag. Trotz vieler Einschränkungen war das Prager Ghetto lange Zeit das größte und bekannteste Zentrum jüdischen Lebens in Europa.
1939 wurde dann die Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht besetzt, wenig später ließ Adolf Hitler das "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren" errichten. Fast die gesamte jüdische Bevölkerung wurde deportiert und ermordet; nur wenige überlebten.
Goldene Stadt lockt Touristen
Der Name "Prag" leitet sich vermutlich von den hohen Schwellen (tschechisch "praha") im Fluss Moldau ab, der die Stadt durchzieht.
Gleich mehrere Erklärungen gibt es dafür, warum Prag als "Goldene Stadt" bezeichnet wird: Zum einen ließ Kaiser Karl IV. die Türme der Prager Burg vergolden. Zum anderen unterstützte Rudolf II. mehrere Alchimisten bei der Suche nach Gold.
Auch der Name "hunderttürmiges Prag" ist schon seit mehreren Jahrhunderten bekannt. Inzwischen kann man in der Stadt rund 500 Türme und Aussichtstürme aus verschiedenen Epochen zählen.
Doch nicht nur deswegen reisen viele Millionen Touristen pro Jahr in die Metropole: Romanische Rotunden, gotische Kathedralen, Barock- und Renaissance-Paläste: In Prag finden sich historische Bauten aus den verschiedensten architektonischen Stilen.
Die Unesco erklärte 1992 den historischen Kern Prags zum Weltkulturerbe. Der Bereich umfasst den Berg Hradschin mit der Prager Burg, den Stadtteil Kleinseite, die Altstadt einschließlich Karlsbrücke und Josefstadt sowie die Neustadt. Im Jahr 2000 war Prag Kulturhauptstadt Europas.
Prags Altstadt zählt zum Weltkulturerbe
Schwarzes Theater und Literaten
Außer den architektonischen Schätzen hat Prag auch ein reges kulturelles Leben zu bieten. Zum Beispiel mit dem sogenannten "Schwarzen Theater": Dabei agieren schwarz gekleidete Schauspieler auf einer in Schwarz gestalteten Bühne. Die Schauspieler sind so für die Zuschauer nicht zu sehen; wenn sie jedoch Gegenstände tragen oder bewegen, scheinen diese zum Leben zu erwachen.
Die aus China stammende Illusionstechnik brachte der Theatermacher Jiří Srnec in den 1960er-Jahren nach Prag; sie eroberte von dort aus die Bühnen internationaler Festivals. In den Jahrzehnten danach griffen gleich mehrere Theater in der Metropole die Technik auf und entwickelten sie weiter.
Die Prager Kaffeehäuser, zu Beginn des 20. Jahrhunderts reger Treffpunkt für Literaten und sonstige Intellektuelle, werden heute vorwiegend von Touristen bevölkert.
Die Besucher wandeln hier auf den Spuren von Autoren wie Franz Kafka, Jaroslav Hašek oder Egon Erwin Kisch, die alle in den 1880er-Jahren in Prag geboren wurden und ihre Heimatstadt in ihrem literarischen Schaffen immer wieder thematisierten.
Kafka in der Prager Altstadt
Reformen, Flüchtlinge und Revolution
In der jüngeren politischen Geschichte war Prag gleich mehrmals Schauplatz von einschneidenden Entwicklungen, die mit dem Umbruch in den ehemaligen Ostblock-Staaten zusammenhingen.
Als "Prager Frühling" sind die Reformbemühungen der Kommunistischen Partei unter Alexander Dubček im Jahr 1968 bekannt. Dubček glaubte an einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" und wollte diesen in seinem Land umsetzen. Die Reformen fanden jedoch am 21. August 1968 mit dem Einmarsch von Truppen aus der Sowjetunion und vier weiteren Staaten des Warschauer Paktes ein jähes Ende.
Prager Frühling
Sehr nachhaltige Wirkung für die deutsch-deutsche Geschichte zeigten die Ereignisse rund um die Prager Botschaft, die im Sommer 1989 ihren Anfang nahmen. Ab August suchten immer mehr ausreisewillige DDR-Bürger Zuflucht in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Zunächst kamen die Menschen in kleinen Gruppen, Ende September waren es Tausende. Sie schliefen in Zelten und sogar auf den Treppen des Botschaftsgebäudes, die Versorgung war schwierig, vor den Toiletten bildeten sich lange Schlangen.
Dem damaligen Außenminister Genscher gelang es Ende September in Moskau, die Ausreise für die Flüchtlinge auszuhandeln. Angespornt von diesem Erfolg kam es zu einer zweiten Flüchtlingswelle.
Am 3. November ermöglichte die DDR die direkte Ausreise von DDR-Bürgern über Prag in die Bundesrepublik Deutschland; in den folgenden Tagen reisten täglich mehrere tausend Menschen aus. Daraufhin öffnete die DDR-Führung am 9. November 1989 schließlich die innerdeutsche Grenze, was noch am selben Abend zum Fall der Berliner Mauer führte.
Mitte November begann dann in der Tschechoslowakei die sogenannte "Samtene Revolution" mit Massendemonstrationen und einer Bürgerrechtsbewegung. Ihr gelang es innerhalb kurzer Zeit, die kommunistische Führung abzulösen. Alexander Dubček, der Reformer von 1968, wurde Parlamentsvorsitzender, der Schriftsteller Václav Havel wurde Präsident.
Wartende DDR-Bürger 1989 vor der Prager Botschaft
(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 18.05.2020)
Quelle: WDR