Am königlichen Fluss
Der Mittellauf der Loire – zwischen Gien im Osten und Angers im Westen – war im Mittelalter von strategischer Bedeutung, insbesondere in der Auseinandersetzung der Franzosen mit den Engländern, die weite Teile Westfrankreichs beanspruchten.
Bereits im 12. Jahrhundert hatte der englische König Heinrich II. Chinon als Residenz gewählt. Nach ihm hielten sich seine Söhne Richard Löwenherz und Johann Ohneland auf der Burg unweit der Mündung der Vienne in die Loire auf.
Etwa 100 Kilometer stromaufwärts befindet sich Blois, dessen Schloss im 15. und 16. Jahrhundert die französischen Könige Ludwig XII. und Franz I. als Hauptresidenz nutzten. Die ausgedehnten Waldgebiete mit ihren reichen Wildbeständen machten das Loiretal und seine Nebenflüsse außerdem zu einem beliebten Jagdrevier des französischen Adels.
So entstanden in der idyllischen Flusslandschaft unzählige Jagd- und Lustschlösser, die sich wie Perlen aneinanderreihen. Wer heute die Loireschlösser besucht, darf sich auf einen abwechslungsreichen Spaziergang durch die französische Geschichte und Kunstgeschichte freuen.
Das Château de Blois
Wehrhafte mittelalterliche Burgen
Während des Hundertjährigen Kriegs war die Loire zeitweise Grenzlinie zwischen den französischen und den englisch besetzten Gebieten. Von dem bedeutenden militärischen Stellenwert des Flusses künden die wehrhaften Mauern der erhaltenen Höhen- und Wasserburgen entlang der Uferregionen.
In Sully-sur-Loire hat sich eine Burg erhalten, deren von vier Rundtürmen eingefasster Donjon ein charakteristisches Beispiel für die mehrgeschossigen mittelalterlichen Wohntürme französischer Burgen darstellt.
Einst lag die Burg auf einer Insel im Fluss; heute ist sie von Wassergräben umgeben. Beeindruckend ist auch der mächtige Donjon der Burg von Loches, einer der ältesten Wohntürme Frankreichs, der mit einer Höhe von 36 Metern ganze fünf Geschosse umfasste.
Zur Burganlage am Indre, einem Nebenfluss der Loire, gehört auch die Stiftskirche Saint-Ours. Dort befindet sich das Grabmal der schönen Agnès Sorel, der ersten offiziellen Mätresse eines französischen Königs. Seit 1444 war sie die Geliebte Karls VII., der ihr neben zahlreichen Titeln und Schlössern auch die Burg von Loches schenkte.
Schloss von Sully-sur-Loire
Prachtvolle Renaissanceschlösser – monumentale Visitenkarten
In der Renaissance setzte eine rege Bautätigkeit im Loiretal ein. Auf den Fundamenten vieler mittelalterlicher Burgen wurden nun repräsentative Schlösser errichtet. Sie waren keine Zweckbauten mehr, deren Ziel die Verteidigung gegen Angreifer war, sondern prächtig ausgestattete Paläste, die den Reichtum und den politischen Einfluss ihrer Besitzer demonstrierten.
Etwa 20 Kilometer östlich von Tours wurde im 16. Jahrhundert das Wasserschloss Chenonceau erbaut. Am Ufer des Cher auf den Grundmauern einer Mühle errichtet, überspannt ein Teil des Schlosses auch das Flüsschen.
Das elegante Château ist als "Schloss der Damen" bekannt. Es wurde zuerst von Diane de Poitiers bewohnt, der einflussreichen Mätresse des französischen Königs Heinrichs II. – und nach dessen Tod von seiner Gattin, Katharina von Medici, die die Nebenbuhlerin kurzerhand vor die Tür setzte.
Als Inbegriff des romantischen Märchenschlosses gilt Château Ussé am Indre, unweit von Chinon. Es inspirierte viele Schriftsteller, darunter auch Voltaire, der im Winter 1722/23 hier zu Gast war. Im 15. Jahrhundert bewohnte das Schloss Jeanne de Valois, die uneheliche Tochter von König Karl VII. und seiner Geliebten Agnès Sorel.
Das Château d'Ussé am Ufer des Indre
Chambord – Loireschloss par excellence
Unumstrittener Höhepunkt unter den Loireschlössern ist Chambord, ein Prunkbau, den sich König Franz I. von Frankreich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wenige Kilometer nordöstlich von Blois errichten ließ.
Mit seinen 440 Räumen, 365 Feuerstellen und 84 Treppenhäusern sowie der außergewöhnlichen Dachlandschaft mit ihren Giebeln und Gauben, Lukarnen und Laternen, Türmen und Türmchen, Schornsteinen, Kaminen und Zinnen erschien das königliche Jagdschloss den Zeitgenossen wie ein neues Weltwunder.
Umgeben war die Palastanlage von einer 32 Kilometer langen Mauer, die das 5500 Hektar große Jagdrevier einschloss. Um das Schloss wirken zu lassen, als sei es auf einer abgeschiedenen Insel errichtet, hatte Franz I. sogar mit dem Gedanken gespielt, den Lauf der Loire umzuleiten – ein Vorhaben, das nicht umgesetzt wurde.
Schloss Chambord
Der Garten Frankreichs
Der fruchtbare Boden des Loiretals und die kunstvoll gestalteten Parkanlagen der Loireschlösser haben der Region auch den Beinamen "Garten Frankreichs" eingebracht.
Zu den schönsten Parks zählt der Schlossgarten von Villandry, 20 Kilometer südwestlich von Tours. Der nach alten Plänen rekonstruierte Renaissancegarten erstreckt sich über drei Ebenen.
Auf dem oberen Plateau befindet sich der von Linden gesäumte Wassergarten, ein in Spiegelform angelegtes Becken, das die Springbrunnen und Bewässerungsgräben der gesamten Anlage speist. Darunter, auf dem Niveau des Châteaus, breitet sich der Ziergarten aus, dessen ornamentale Beete wirken, als wären sie mit Zirkel und Lineal angelegt.
Im sogenannten Liebesgarten stehen herzförmige Buchsbaumrabatten für die zärtliche Liebe, dolchförmige Rabatten kennzeichnen die tragische Liebe, fächerförmige Rabatten den oberflächlichen Flirt, und Herzen, deren Rundungen sich in Spitzen verwandelt haben, symbolisieren die leidenschaftliche Liebe.
Auf der Ebene der Wirtschaftsgebäude ist der Gemüsegarten angelegt, der bereits vor 500 Jahren die Besucher in Erstaunen versetzte.
Château de Villandry
In seinen neun quadratischen Beeten mit geometrisch angelegten Rabatten gedeihen Kräuter und Gemüsepflanzen, deren Farben – vom blaugrünen Lauch und Kohl über Rote Bete und roten Frisée bis zum gelbgrünen Kopfsalat – in spannungsreichem Kontrast zueinanderstehen.
Quelle: SWR | Stand: 27.04.2020, 11:49 Uhr