Illustration, Ärztin hält ein Plüschherz mit den Symbolen für Frau und Mann

Evolutionsforschung

Evolution der Geschlechter

Sich fortzupflanzen und die eigenen Gene an die nächste Generation weiterzugeben ist, zumindest evolutionsbiologisch betrachtet, das oberste Ziel aller Lebewesen. Im Laufe der Evolution haben sich verschiedene Fortpflanzungsstrategien entwickelt.

Von Phoebe Rosenkranz

Asexuelle Fortpflanzung

Fortpflanzung wird meistens direkt mit Sexualität in Verbindung gebracht. Doch es gibt auch andere Strategien, die auf dem Prinzip der nichtgeschlechtlichen, also asexuellen Fortpflanzung beruhen.

Viele Pflanzen beispielsweise bilden Ableger; Bakterien und andere Einzeller vermehren sich durch einfache Zweiteilung. Der Süßwasserpolyp Hydra pflanzt sich durch Knospung fort, indem an seinem Körper neue Individuen wachsen, die sich nach einiger Zeit abschnüren.

Mikroskopaufnahme des Süßwasserpolypen Hydra.

Süßwasserpolyp Hydra

Sexualität und Entstehung der Geschlechter

Sexualität bedeutet zunächst, dass zwischen zwei Zellen genetisches Material ausgetauscht und damit neu kombiniert wird. Zu diesem Zweck entstanden zu einem frühen Zeitpunkt der Evolution auf Fortpflanzung spezialisierte Zellen, die sogenannten Geschlechtszellen.

Die Geschlechtszellen enthalten das mütterliche beziehungsweise das väterliche Erbgut. Die Vereinigung beider Zellen bringt Nachkommen hervor, von denen jeder eine einzigartige Kombination von Genen beider Eltern aufweist.

Im Gegensatz zur asexuellen Fortpflanzung ist das Ergebnis der sexuellen Fortpflanzung also eine Nachkommenschaft, die sich genetisch untereinander und von ihren Eltern unterscheidet.

Die Nachkommen haben dadurch neue Eigenschaften, durch die sie sich besser an die Umwelt anpassen, die sie überlebensfähiger und somit wiederum fortpflanzungsfähiger machen. Das alles ist Grundlage für die Weiterentwicklung des Lebens.

Doch die sexuelle Fortpflanzung brachte gegenüber der asexuellen auch neue Probleme mit sich. Die Fortpflanzung kann nicht mehr alleine bewältigt werden. Ein passender Sexualpartner muss gefunden werden.

Zu diesem Zweck entwickelten sich aus den ursprünglich gleichförmigen Geschlechtszellen zunächst zwei verschiedene Typen von Zellen. Zum einen kleine bewegliche, die Spermien, zum anderen große unbewegliche mit Nahrungsvorrat, die Eizellen.

In vielen weiteren Entwicklungsschritten entstanden so innerhalb der Arten zwei Geschlechter, Männchen und Weibchen, die sich in ihren Körpermerkmalen und Verhaltensweisen deutlich voneinander unterscheiden.

Die eigentlichen Fortpflanzungsorgane werden als primäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet. Sekundäre Geschlechtsmerkmale nennt man alle weiteren Unterschiede wie Körpergröße, Färbung, Körperanhänge und Lautäußerungen.

Diese Merkmale (Beispiele: Hirschgeweih, Federfärbung und Gesang bei Vögeln, Stimmlage und Körperbehaarung beim Mann, Brüste und Hüft-Taille-Verhältnis der Frau) haben den Zweck, den jeweiligen andersgeschlechtlichen Sexualpartner anzulocken und zu beeindrucken, um mit ihm zum Fortpflanzungserfolg zu kommen.

Nahaufnahme eines röhrenden Rothirsches.

Klares Ziel: Weibchen beeindrucken

Elterliche Investition und Partnerwahl

Gemeinsam haben beide Geschlechter ein Ziel: die Nachkommenschaft sichern. Jedoch erreichen sie dieses Ziel mit unterschiedlich viel Aufwand. Biologen sprechen vom Brutpflegeaufwand beziehungsweise von der elterlichen Investition.

Der Brutpflegeaufwand meint die elterlichen Aufwendungen, die die Überlebenschancen des Nachwuchses vergrößern, gleichzeitig aber die Möglichkeit, weiteren Nachwuchs zu bekommen, verringern.

In der Regel ist der Aufwand für das weibliche Geschlecht größer als für das männliche. Schon die Produktion der viel größeren Eier kostet mehr Energie als die Erzeugung der Spermien. Hinzu kommen Brut beziehungsweise Schwangerschaft und die anschließende Versorgung des Nachwuchses.

Während dieser langen Zeitspanne kann das Weibchen keinen weiteren Nachwuchs bekommen, wodurch ihre Reproduktionschancen verringert sind. Das Männchen hingegen kann während dieser Zeit theoretisch unbegrenzt weitere Nachkommen zeugen.

Nach der Theorie der elterlichen Investition sind Weibchen daher bezüglich ihres Sexualpartners besonders wählerisch. Sie achten insbesondere auf Kriterien, die die Bereitschaft eines Männchens signalisieren, in den gemeinsamen Nachwuchs mehr als nur die Samenspende zu investieren.

Männchen, die sich als gute Verteidiger und Ernährer präsentieren, dem Weibchen wertvolle Ressourcen bieten (zum Beispiel ein gutes, von ihm besetztes Territorium), werden bevorzugt. Zudem wird auch im Tierreich häufig eine längere "Verlobungszeit" vorgeschoben, um die Treue zu testen.

Ein Elefantenbaby mit seiner Mutter

Weibchen sind stärker an Treue interessiert als Männchen

Soziobiologische Studien

Bei Säugetieren herrscht durch lange Tragzeiten und die alleinige Versorgung des Nachwuchses durch die Weibchen ein besonders großes Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Auch der Mensch gehört zu den Säugetieren.

Soziobiologen haben untersucht, welche Konsequenzen sich aus der Theorie der elterlichen Investition für den Menschen ergeben. Studien ergaben, dass Frauen weltweit eher ältere, gesellschaftlich und beruflich erfolgreiche Männer mit guten finanziellen Ressourcen bevorzugen, die häufig einen höheren Status als sie selbst haben.

Männer jeden Alters wählen überwiegend jüngere und körperlich attraktive Frauen, die noch eine lange Fruchtbarkeit signalisieren.

Präsentiert der Mann also gerne teure Statussymbole oder verbringt die meiste Zeit im Büro, um die Auswahlkriterien der Frau zu erfüllen? Und tut die Frau alles für ein ewig jugendliches Äußeres, um dem Mann anhaltende Fruchtbarkeit zu signalisieren und ihn an sich zu binden?

Ganz so weit können wir nicht gehen, denn der Mensch hat sich nicht nur biologisch, sondern auch kulturell weiterentwickelt und die Soziobiologie kann nur kleine Ausschnitte unseres Verhaltens erklären.

Wenn der Partner fehlt – Zwittrigkeit als Fortpflanzungsstrategie

Sexuelle Fortpflanzung ist besonders für fest verwachsene Lebewesen wie Pflanzen, grabende Tiere wie Regenwürmer oder auch für Parasiten (zum Beispiel Bandwürmer) problematisch. Für alle ist es unmöglich oder sehr schwierig, einen Sexualpartner zu finden. Eine Lösung stellt die Zwittrigkeit (Hermaphroditismus) dar, bei dem jedes Lebewesen sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsorgane besitzt.

Zwittrigkeit erfordert viel Energie, da in einem Organismus beide Geschlechtsorgane gebildet werden. Daher hat sich diese Form der Fortpflanzung im Laufe der Evolution nur bei Organismen als effektiv erwiesen, deren Partnersuche durch ihre Lebensweise stark eingeschränkt ist.

Zwitter können sich in vielen Fällen tatsächlich selbst befruchten, dies wird aber möglichst vermieden. In der Regel wird auch bei der Zwittrigkeit ein Partner gesucht. Dadurch, dass alle Individuen einer Art sowohl den weiblichen Part als auch den männlichen übernehmen können, ist jeder Artgenosse ein potenzieller Geschlechtspartner. So verdoppelt sich gegenüber getrennt geschlechtlichen Arten die Chance zur Fortpflanzung.

Lebewesen, die zeitgleich männlich und weiblich sind, werden als Simultanzwitter bezeichnet. Hierzu gehören beispielsweise der Regenwurm und die Weinbergschnecke.

Von den Simultanzwittern werden die Konsekutivzwitter unterschieden. Bei dieser Fortpflanzungstrategie wechseln die Lebewesen im Laufe ihres Lebens das Geschlecht. Das Tier beginnt sein Leben entweder als Weibchen und wird später zum Männchen oder umgekehrt.

Ein Beispiel für einen Konsekutivzwitter ist der tropische Clownfisch. Ein Männchen und ein Weibchen leben meist mit mehreren zunächst geschlechtslosen Artgenossen in einer Gruppe zusammen. Stirbt das Weibchen oder wird es entfernt, wechselt das Männchen sein Geschlecht. Es wird zum Weibchen und damit zum neuen Anführer der Gruppe. Der ranghöchste geschlechtslose Fisch wird zum neuen Männchen.

Nahaufnahme eines Clownfisches. Er ist orange und hat weiße Streifen.

Clownfische können ihr Geschlecht ändern

Erratum: Mit den Clownfischen ist das nicht so einfach. Wird jetzt Männchen zu Weibchen oder ist es doch andersrum? Nicht alle Quellen sind sich einig. Unser Artikel bezog sich bisher auf ein Standardwerk der Biologie (Campbell, 2006) – keine gute Idee, wie sich herausstellte. Die Angaben waren falsch. Der Fehler ist nun behoben (Quelle: Buston, P. M. (2004). Territory inheritance in clownfish. Proc. R. Soc. Lond. B 271, 252-254.).

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 02.06.2020)

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Quelle: WDR

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