Riechen
Wie finden die Spermien die Eizelle?
Dass ein Spermium auf eine Eizelle trifft, ist ein kleines Wunder. Forscher suchen nach den Mechanismen dahinter. Was lockt die Spermien an? Ist es der Duft nach Maiglöckchen, das Sexualhormon Progesteron – oder beides?
Von Monika Sax
Die Maiglöckchen-Theorie
Irgendwas muss die Spermien anziehen, ein Lockstoff, den die Eizelle oder andere Zellen im Genitaltrakt aussondern. Die Spermien orientieren sich über den Geruch – diese These stellte der Biologe und Physiologie-Professor Hanns Hatt von der Ruhr-Universität-Bochum auf.
Die Samenzellen müssten demzufolge über Riechrezeptoren verfügen. Es fehlte allerdings zunächst ein Beleg dafür.
Den fand man 2003. Eine Diplomandin suchte in Hodengewebe nach Riechrezeptoren. Sie fand, was sie suchte. Im Versuch reagierten die Spermienzellen auf den künstlichen Maiglöckchenduft Bourgeonal und auf Myrac. Das ist ein Stoff, der leicht nach Orange duftet. Die Spermien schienen tatsächlich riechen zu können.
Die Ergebnisse veröffentlichten Hatt und seine Kollegen im Wissenschaftsmagazin Science.
Doch wie wirkte der Maiglöckchenduft eigentlich in den Spermien? Die Frage konnten die Forscher aus Bochum nicht beantworten. Sie forschten weiter.
Der Maiglöckchenduft wirkt anziehend auf Samenzellen
Zieht der Duft die Spermien an?
Die Geruchsrezeptoren liegen im Halsteil der Spermien, also unter dem Kopf mit den Erbinformationen. Das fanden Hatt und sein Team heraus. Im Hals steckt auch der Motor, der den Schwanz antreibt, sodass das Spermium vorwärts schwimmt.
Der Maiglöckchenduft lässt die Konzentration an Kalzium in der Samenzelle ansteigen, beobachteten die Forscher. Das wiederum veränderte sowohl die Schlagfrequenz als auch die Schwanzbewegung. Die Spermien reagierten auf den synthetischen Maiglöckchenduft und erhöhten die Geschwindigkeit. Ihr Ziel: die Geruchsquelle.
In ihren Experimenten verwendeten die Forscher aus Bochum Duftstoffe aus dem Labor. 2013 konnten sie schließlich gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Fraunhofer-Institut in München nachweisen, dass in der Eileiterflüssigkeit und im Vaginalsekret mehr als 20 Duftstoffe vorhanden sind. Darunter auch verwandte Moleküle des Maiglöckchendufts.
Und es gibt offenbar noch weitere Riechrezeptoren in den Spermien, wie Hatt und andere Wissenschaftler inzwischen herausgefunden haben. Nicht nur Maiglöckchen und Myrac löst in den Samenzellen etwas aus. Wie die verschiedenen Düfte auf die Spermien wirken, ist aber noch unklar.
Zudem scheinen sich die Riechrezeptoren der Spermien des einen Mannes von denen eines anderen zu unterscheiden. Darauf deutet die Studie von Andreas Ziegler, der am Institut für Immungenetik an der Berliner Charité forscht. Die Eizelle könne so beispielsweise nur jene Spermien anlocken, die mit bestimmten Riechrezeptoren ausgestattet sind. Ein Selektionsmechanismus im Einzellstadium!
Ein Sexualhormon lockt die Spermien
Wissenschaftler aus Bonn gehen hingegen von etwas anderem aus. 2012 veröffentlichten Ulrich-Benjamin Kaupp, Christoph Brenker und Timo Strünker vom Center of Advanced European Studies and Research (Caesar) in Bonn eine Studie im Forschungsmagazin Nature. Ihre Annahme: ein Sexualhormon leite die Samenzellen, das Progesteron.
Ihr Ergebnis: Ein Sexualhormon der Frau, das Progesteron, lockt die Spermien an. Keine Rede mehr von Maiglöckchen, Düften oder Riechrezeptoren.
Um die Spermien zu lotsen, sondert die Eizelle Lockstoffe aus – was das angeht, sind sich beide Forscherteams einig.
Dieses Prinzip haben hat Kaupp mit seinem Team 2008 erstmalig bei Seeigeln entdeckt. Sie fanden heraus, dass bestimmte Lockstoffe die Schwimmbewegung der Spermien steuern, indem sie deren Kalziumhaushalt verändern. Hatt und sein Team gingen davon aus, dass es Duftstoffe sind.
Das Sexualhormon Progesteron zieht die Spermien an
Die Forscher aus Bonn fanden hingegen heraus, dass das Progesteron aus der Eizelle Kanäle auf der Membran des Spermiums öffnet, die CatSper-Kanäle. Die Folge: Kalzium strömt in die Samenzelle.
Das Kalzium beeinflusst das Schlagmuster des Schwanzes – zu dem Ergebnis sind auch Hatt und seine Kollegen gekommen. "Kommt es durch Progesteron zum Öffnen der Kalziumkanäle, strömen Kalziumionen ins Innere der Spermien und wirken auf deren molekularen Motor. Sie steuern die Schwimmrichtung und schalten praktisch den Turbo ein", sagt Timo Strünker, einer der Autoren der Caesar-Studie.
Das Progesteron zieht die Spermien nicht nur an. Je näher die Spermien an die Eizelle heranrücken, desto stärker schlagen diese mit dem Schwanz aus. Der Grund: die hohe Konzentration des Sexualhormons löst eine Hyperaktivierung aus. Jedes Spermium investiert all seine Kraft, um als erstes in die Eizellhülle einzudringen.
"Die Natur macht nichts umsonst"
Beide Theorien haben gute Argumente für sich. Als gesichert gilt: Progesteron aktiviert die CatSper-Kanäle, ebenso der – synthetisch hergestellte – Maiglöckchenduft Bourgeonal.
Hatt wies zudem gemeinsam mit den Kollegen vom Fraunhofer-Institut in München Geruchslockstoffe im Vaginalsekret nach. Die Forscher haben inzwischen mehr als 20 Riechrezeptoren der Spermien untersucht.
"Die Natur macht nichts umsonst. Wenn diese Riechrezeptoren da sind, müssen sie auch für etwas gut sein. Wir wissen nur noch nicht genau, was da wie zusammen spielt", sagt Hatt.
Verschiedene Faktoren scheinen die Befruchtung zu beeinflussen: Die Temperatur spiele eine Rolle, aber auch die Säurekonzentration im Vaginalsekret und das Sexualhormon Progesteron.
Damit die Befruchtung erfolgreich ablaufe, bräuchten die Spermien eine passende Umgebung. "Die Sensoren und Rezeptoren müssen perfekt zusammenarbeiten, damit das Spermium letztlich die Eizelle erreicht", sagt Hatt.
(Erstveröffentlichung: 2016. Letzte Aktualisierung: 16.09.2019)
Quelle: WDR