Faszination Tiefsee
Planet Wissen. 06.03.2020. 02:02 Min.. Verfügbar bis 06.03.2025. SWR.
Tiere der Tiefsee
Fische der Tiefsee
Schätzungen zufolge leben 15 bis 20 Prozent aller Fische in der Tiefsee. Über ihre Lebensweise ist wenig bekannt – was man weiß, ist dafür umso faszinierender. Denn um in der Tiefsee zu überleben, haben die Fische beeindruckende Überlebensstrategien entwickelt.
Von Tina Heinz
Nahrungssuche unter erschwerten Bedingungen
Fische in der Tiefsee haben klare Ziele: erstens fressen, zweitens nicht gefressen werden und drittens Nachkommen zeugen. Der Weg dorthin fällt bei den einzelnen Arten sehr unterschiedlich aus. Riesige Mäuler, Teleskopaugen oder Leuchtangeln am Kopf: Was die Fische erscheinen lässt wie Monster, ist in Wirklichkeit die perfekte Anpassung an die kargen und dunklen Weiten der Tiefsee.
In der Tiefsee ist es wichtig, möglichst viele unterschiedliche Arten von Nahrung fressen zu können. Der Pelikanaal ist zum Beispiel bestens auf besonders große Beute vorbereitet. Sein Maul kann er extrem weit öffnen, weil die Kiefer nur durch eine elastische Membran miteinander verbunden sind. Man geht davon aus, dass er seiner Beute auflauert.
Der Pelikanaal kann sein Maul weit aufklappen
Es gibt aber auch aktive Jäger in der Tiefsee, etwa den Schnepfenaal. Viele Fische wandern nachts nach oben, weil es in höheren Wasserschichten mehr Nahrung gibt. Tagsüber sinken sie zurück in die Tiefe, denn hier können sie nicht so leicht von Räubern gefunden werden.
Einige Arten haben lange Barteln, auf denen sich Leuchtorgane befinden. Die Weibchen der Anglerfische tragen solch ein Köderorgan, Angel genannt, auf der Stirn. Sie locken damit Beutetiere an, die die kleinen leuchtenden Punkte für Nahrung (zum Beispiel biolumineszent leuchtende Garnelen) halten. Bei der Jagd wird das Leuchtorgan, das vorne an der Angel sitzt, direkt über das geöffnete Maul gehängt.
Auf der Spitze der Angel sitzt ein empfindliches Tastorgan, mit dessen Hilfe der Fisch sofort merkt, wenn sich Beute nähert. Wenn das passiert, klappt er seine Angel nach oben und stoppt die Sauerstoffzufuhr zum Licht, sodass es erlischt. Das Beutetier schwimmt orientierungslos weiter – direkt ins weit geöffnete Maul des Anglers.
Mit leuchtender Angel auf Beutefang
Eine andere Strategie zum Jagen in großen Tiefen, wo Beute nicht mehr visuell wahrgenommen werden kann, hat der Schwarze Drachenfisch entwickelt: Im Gegensatz zu den meisten anderen Tiefseetieren ist er in der Lage, rotes Licht zu sehen und mithilfe eines Filters auch selbst zu produzieren. So verfügt er mit seinem Leuchtorgan über eine Art Suchscheinwerfer, mit dem er seine Beute erkennen kann, selbst aber nicht gesehen wird.
Die meisten anderen Tiefseebewohner können, wenn überhaupt, nur blaues Licht wahrnehmen, weil der blaue Anteil des Sonnenlichts am weitesten in die Tiefe vordringt.
Tarnung im Zwielicht
In der Dämmerzone (von etwa 200 bis 1000 Meter Tiefe), in die nur noch wenig Sonnenlicht einfällt, haben einige Fische eine besondere Tarntechnik entwickelt. Mithilfe von Leuchtorganen an ihrer Bauchseite passen sich Beilfisch und Laternenfisch perfekt an das Dämmerlicht an, sodass ihre Körperkontur völlig zu verschwinden scheint. Von unten betrachtet sind sie für Fressfeinde nicht sichtbar.
Außerdem haben die Fische silbrig glänzende Körper, die sie zusätzlich tarnen. Die Farbpigmente des Beilfischs dunkeln nachts nach, vermutlich weil die silberne Färbung im Dunkel eher sichtbar wäre. Untersuchungen an Laternenfischen haben gezeigt, dass sie die Lichtstärke ihrer Leuchtorgane an die Umgebung anpassen können.
Tagsüber ist ein Großteil der Fische der Dämmerzone eher inaktiv und hängt bewegungslos horizontal im Wasser – natürlich perfekt getarnt. Mit zunehmender Tiefe werden die Fische tendenziell dunkler und ihre Leuchtorgane kleiner, denn hier gibt es kein von oben einfallendes Licht mehr, an das sie sich anpassen müssten.
Beilfische passen sich perfekt an das Dämmerlicht an
Wahrnehmung im Dunkeln
In der Tiefsee gibt es kaum Licht, spätestens ab einer von Tiefe 1000 Metern ist es stockdunkel. Fische, die in der Dämmerzone leben, haben meist gut ausgebildete, große Augen. So geht man davon aus, dass der Granatbarsch sogar in Tiefen von 1000 Metern noch Sonnenlicht wahrnehmen kann. Die Augen der Bewohner größerer Tiefen sind meist kleiner und zurückgebildet.
Ein Gegenbeispiel ist der Grenadierfisch: Er lebt im Bereich der Tiefseegräben (3000 bis 6000 Meter Tiefe) und hat trotzdem gut ausgebildete Augen, wahrscheinlich um biolumineszent leuchtende Tiefseebewohner erkennen zu können.
Einige Arten, wie der Hochgucker, verfügen über Teleskopaugen, die sich nach außen wölben. Mit ihnen kann er binokular sehen, das heißt, dass die Blickfelder beider Augen sich überschneiden. So kann er besser Entfernungen abschätzen und Bewegungen erkennen.
Bei vielen Tiefseefischen sind die inneren Ohren gut entwickelt. Einige Arten verständigen sich durch Trommellaute. Grenadierfische locken so zum Beispiel ihre Weibchen an.
Der Viperfisch kann extrem geringe Lichtmengen wahrnehmen
Partnersuche in endlosen Weiten
Das Finden von Geschlechtspartnern ist ein Problem, mit dem alle Tiefseefische zu kämpfen haben. Die Individuendichte ist gering, es ist dunkel und viele Arten können sich nur relativ langsam fortbewegen.
Auch das gegenseitige Erkennen anhand der Leuchtorgane gestaltet sich schwierig, einfach weil es in der Tiefsee so viele biolumineszente Tiere gibt. Eine Taktik besteht deshalb darin, potenzielle Partner anhand von Sexualpheromonen, also speziellen Geruchsstoffen, zu erkennen.
Bei den Anglerfischen hat sich eine andere Taktik durchgesetzt: die Bildung von Zwergmännchen. Die Angler-Männchen haben keine Angel und sind winzig klein. Sie wiegen nur gut ein Prozent des Gewichts, das das zugehörige Weibchen auf die Waage bringt. Dafür haben sie relativ große Augen, gut ausgebildete Geruchsorgane und sind gute Schwimmer. So sind sie bestens ausgerüstet für die Suche nach einem Weibchen.
Das Männchen (unten rechts) immer im Schlepptau
Ist eines gefunden, verbeißt sich das Männchen in seine Partnerin. Ihre Blutkreisläufe verwachsen, sodass das Männchen vom Weibchen miternährt wird. Der Vorteil dieser Technik liegt vor allem darin, dass die Energie, die zur Partnerfindung nötig ist, nur einmal aufgewendet werden muss. Außerdem braucht das Männchen wegen seiner geringen Größe wenig Nahrung – beim Nahrungsmangel in der Tiefsee ein großer Vorteil.
Eine noch energiesparendere Fortpflanzungsmethode haben die Stelzenfische entwickelt. Mit ihren verlängerten Bauchflossen können sie auf dem Meeresgrund stehen. Sie stellen sich gegen die Strömung und warten auf Nahrung, die in Form von Plankton auf sie zuströmt. Um die Partnersuche müssen sie sich keine Gedanken machen: Stelzenfische sind Zwitter und können zeitgleich Eier und Spermien produzieren, sich also selbst befruchten.
Zwar gibt es unter den Tiefseebewohnern einige Zwitter, normalerweise reifen ihre Geschlechtsorgane aber nicht gleichzeitig. So wird sichergestellt, dass zur Fortpflanzung trotzdem zwei Individuen notwendig sind und es zu einer Mischung von genetischem Material kommt.
Offenbar leben aber die Stelzenfische so weit verstreut, dass die Gefahr bestünde, überhaupt keinen Partner zu finden. Die Möglichkeit der Selbstbefruchtung stellt sicher, dass der Fortbestand der Art trotzdem gewährleistet ist. Sie ist einer von vielen Tricks, um im extremen Lebensraum Tiefsee überleben zu können.
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 24.07.2019)
Quelle: WDR