Sex im Tierreich
Die Fortpflanzungsstrategien der Tiere
"Seid fruchtbar und mehret euch" – so steht es schon in der Bibel. Und in der Tat: Nur wer sich erfolgreich fortpflanzt, kann den Bestand seiner Art sichern. Im Tierreich haben sich dazu ganz unterschiedliche Strategien entwickelt. Ein Geschlechtspartner ist dabei nicht immer erforderlich.
Von Lena Ganschow
Ungeschlechtliche Fortpflanzung
Prinzipiell unterscheiden die Wissenschaftler zwischen ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Fortpflanzung. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist vermutlich die ursprünglichste Form der Vermehrung und kommt vor allem bei Einzellern vor. Mit ihrer Hilfe können sich die winzigen Organismen schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen.
Das Prinzip dieser Art der Fortpflanzung ist immer das Gleiche: Die Einzeller verdoppeln einfach ihr Erbmaterial und verteilen es anschließend auf zwei Zellen. So werden aus einem im Handumdrehen zwei, vier, acht,... Organismen. Spezielle Keimzellen sind dafür nicht nötig.
Einzeller haben es am Einfachsten
Die Vorteile
Diese Art der Fortpflanzung hat Vorteile. Zum einen sind die Nachkommen von sich ungeschlechtlich fortpflanzenden Organismen identische Kopien der Elternzelle – abgesehen von kleinen Genveränderungen (Mutationen), die ihr Erbmaterial im Nachhinein noch individuell verändern können. Bewährte Genkombinationen bleiben so in der Folgegeneration erhalten.
Zum anderen ist diese Art der Fortpflanzung zeitsparend: Es müssen keine speziellen Geschlechtszellen hergestellt werden und auch die aufwendige Partnersuche entfällt. So können Einzeller schnell auf aktuelle Umweltveränderungen, wie etwa einen kräftigen Regenguss, reagieren und ihre Populationsdichte – zum Beispiel in der gerade entstandenen Pfütze – von jetzt auf nachher erhöhen.
Umgekehrt funktioniert es natürlich genauso, indem die Organismen bei anhaltender Trockenheit einfach aufhören sich zu teilen, und ihre Population so schrumpfen lassen. Das Gute: Selbst mit extrem wenigen Individuen einer Art funktioniert diese Art der Fortpflanzung noch.
Die Nachteile
So einfach und zweckmäßig die ungeschlechtliche Fortpflanzung auch sein mag, sie hat einen großen Haken: Das Erbmaterial bleibt über Generationen immer gleich. Großmutter, Mutter und Tochter sind genetisch identisch, da keine Durchmischung der Gene stattfindet.
Stattdessen klonen sich die Organismen immer und immer wieder selbst. Innerhalb einer Population gibt es also kaum individuelle Unterschiede, sprich Organismen, die etwa besonders gut mit Hitze umgehen können oder mit viel Regen.
Das schränkt sich ungeschlechtlich fortpflanzende Organismen in ihrer Anpassungsfähigkeit ein und macht sie zudem zu einer leichten Beute für Angreifer – denn was einem Populationsmitglied den Garaus macht, funktioniert auch bei den anderen.
Eingeschlechtliche Fortpflanzung
Wenn sich Tiere eingeschlechtlich fortpflanzen, betreiben sie meist die sogenannte Parthenogenese oder Jungfernzeugung. Hierbei entstehen die Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen der Weibchen.
Bei dieser Art der Vermehrung werden also spezielle Keimzellen benötigt, ein Geschlechtspartner ist jedoch – genau wie bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung – überflüssig. Stattdessen gaukeln hier Hormone den unbefruchteten Eizellen eine Befruchtungssituation vor, woraufhin diese anfangen sich zu teilen. Im Körper der Weibchen entstehen so neue Organismen.
Blattläuse sowie einige Fisch- und Eidechsenarten, Wasserflöhe, Bienen und Wespen pflanzen sich eingeschlechtlich fort. Allerdings verzichten die Weibchen nur zeitweise auf die Männchen und betreiben früher oder später auch die zweigeschlechtliche Fortpflanzung.
Blattläuse betreiben die eingeschlechtliche Fortpflanzung
Zweigeschlechtliche Fortpflanzung
Die meisten Tierarten nutzen die zweigeschlechtliche Fortpflanzung. Vor allem unter den höher entwickelten Organismen ist sie weit verbreitet, da sie die Möglichkeit bietet, neue und möglicherweise für die aktuellen Umweltbedingungen vorteilhaftere Genkombinationen entstehen zu lassen.
Für die zweigeschlechtliche Fortpflanzung müssen zwei unterschiedliche Keimzellen zusammenkommen, zum Beispiel Eizelle und Samenzelle. Die Nachkommen erhalten also Gene beider Elternteile. Nur wenn diese miteinander verschmelzen, kann Nachwuchs entstehen.
In der Regel sind zwei verschiedene Keimzelltypen (männliche und weibliche) an der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung beteiligt, äußerlich können sich diese allerdings gleichen. Manchmal stammen die beiden Geschlechtszellen auch von ein und demselben Individuum. In so einem Fall spricht man dann von Autogamie oder Selbstbefruchtung.
Die Vorteile
Als evolutionärer Vorteil der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung gelten die schier grenzenlosen Möglichkeiten der Neukombination der Gene. Das heißt: Die Nachkommen entsprechen in ihrem Bauplan weder exakt einem der Elternteile noch einem der Geschwister. Stattdessen sind sie mit individuellen Merkmalen ausgestattet.
Dadurch können sie zum Beispiel (zufällig) besser an klimatische Veränderungen und deren Folgen angepasst sein als ihre Familienmitglieder. Das macht sie möglicherweise widerstandsfähiger und damit erfolgreicher in der eigenen Vermehrung – und nur wer sich fortpflanzt, kann überdauern.
Die (genetische) Vielfalt innerhalb einer Art macht sie außerdem unempfindlicher gegen Feinde und Krankheitserreger, da sich zum Beispiel Viren oder Bakterien praktisch für jedes Individuum eine maßgeschneiderte Attacke überlegen müssen.
Zudem besitzt jedes Individuum, das aus einer zweigeschlechtlichen Vermehrung hervorgeht, zwei Gene desselben Typs (aus jeder Keimzelle eines), sodass eine möglicherweise nachteilige Veränderung in dem einen Gen nicht immer zum Tragen kommen muss. Seine Funktion kann durch die des zweiten Gens ersetzt werden.
Die Nachteile
Um sich zweigeschlechtlich fortzupflanzen, müssen – außer bei Zwittern – zwei Individuen unterschiedlichen Geschlechts zusammentreffen. Diese Partnersuche ist oft kraft- und zeitraubend und bleibt gerade bei kleinen Populationen häufig erfolglos, da die Geschlechtspartner sicht schlichtweg nicht begegnen. Im Extremfall kann die Begrenzung auf die zweigeschlechtliche Fortpflanzung daher zum Aussterben einer Art führen.
Partner gefunden, Genpool vergrößert
(Erstveröffentlichung 2008, letzte Aktualisierung 20.06.2017)
Quelle: SWR