Luftfahrt
Drachenfliegen
Beim Drachenfliegen, auch Hängegleiten genannt, hängt man an einem Gestell mit Flügeln und lässt sich vom Wind tragen. Der Traum, fast wie ein Vogel zu fliegen, ist uralt. Otto Lilienthal war der Erste, der ihn 1891 verwirklichte: mit dem "Derwitzer Apparat".
Von Annika Zeitler
Fliegen im Schlafsack
Während Lilienthal nur wenige Meter weit flog, schaffen die Drachenflieger heute manchmal eine Strecke von Hunderten von Kilometern.
Mit dem Kopf nach vorn gleiten Drachenflieger durch die Luft und lassen sich von Aufwinden über Gebirgsketten und Täler tragen. Der Drachen kommt ohne Motor aus und wird unter den Piloten auch als Hängegleiter bezeichnet.
Der Pilot liegt während des gesamten Fluges in der Waagerechten unter dem Drachen. Eine Art Schlafsack schützt ihn vor Wind und Kälte. Profis tragen zusätzlich noch Neoprenkleidung, die den Körper auch bei Temperaturen weit unter Null Grad warmhält.
Drachenflug von der Zugspitze
Die Ursprünge der modernen Hängegleiter gehen auf die Raumfahrt zurück. Der amerikanische Ingenieur Francis Rogallo und seine Frau Gertrude hatten 1948 die Idee für flexible Tragflächen aus Stoff und Schnüren. Für die US-Weltraumbehörde NASA rüstete Rogallo Raumkapseln und Raketenstufen mit diesen Flächen für die Rückkehr zur Erde aus.
Letztlich entschied sich die NASA aber gegen die Rogallo-Flügel und für den Fallschirm. Doch Rogallos Erfindung war dadurch nicht verloren: Aus ihr entwickelte sich Mitte der 1960er an der Küste Kaliforniens die Sportart Drachenfliegen.
Der Durchbruch: Mike Harker segelt 1973 von der Zugspitze
Es war auch ein Amerikaner, der das Drachenfliegen in Europa populär machte: der Kalifornier Mike Harker. Unter großem Medienrummel segelte er am 15. April 1973 mit einem Drachen von der Zugspitze ins Tal. Er flog zwölf Kilometer weit, überwand einen Höhenunterschied von 1980 Metern und benötigte dafür gerade einmal zwölf Minuten.
Steuern mit Gewicht
Ein Drachen wiegt rund 33 Kilogramm. Hinzu kommen das Gurtzeug, das GPS-Gerät für die Orientierung in der Luft und das Variometer, das dem Piloten die Thermik anzeigt. Insgesamt kommt der Drachen auf ein Gewicht zwischen 50 und 55 Kilogramm.
Die mehrfache Weltmeisterin im Drachenfliegen, Corinna Schwiegershausen, wiegt gerade einmal so viel wie ihre komplette Ausrüstung und ist froh, dass sie für den Start am Hang ihre Ausrüstung nur wenige Schritte tragen muss. Gesteuert wird der Drachen durch Gewichtsverlagerung, indem der Pilot den Steuerbügel nach links oder rechts verschiebt.
Start und Landung
Die meisten Drachenflieger starten an einem Hang mit drei bis vier Schritten Anlauf. Eine Alternative zu diesem Klippenstart ist im flachen Gelände der Schleppstart mithilfe eines Ultraleichtflugzeugs, das den Drachen samt Piloten nach oben zieht. Auf der gewünschten Höhe klinkt der Pilot sich aus.
Manche Flieger nutzen auch den Ballonstart. Hierbei wird der Drachenflieger unter einem Ballon senkrecht nach oben gezogen. Am höchsten Punkt löst der Pilot das Seil und fliegt frei weiter. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit eines Elektro-Antriebs als Aufstiegshilfe, der am Drachen montiert ist.
Oft ist es ein Teil des Drachenflieger-Abenteuers, dass die Piloten nicht genau wissen, wo sie landen werden. Denn die Luftströmung ist manchmal unberechenbar. So kommt es vor, dass der Pilot 30 Kilometer vom vereinbarten Landeplatz entfernt wieder den Boden berührt. Manchmal fehlt eben die geeignete Thermik, die einen zum gewünschten Ort trägt.
Klippenstart am Hang
Drachenflug als Wettkampf
Weltmeisterschaften im Drachenfliegen wurden erstmals 1976 in Österreich ausgetragen und finden seitdem alle zwei Jahre statt. Bei Drachen-Wettbewerben gibt es verschiedene Disziplinen, zum Beispiel den Zielflug mit Umrundung von Wendepunkten: Die Athleten fliegen vorher festgelegte Wendepunkte einer bestimmten Strecke ab. Wer als Erster ins Ziel kommt, hat gewonnen.
Die Wendepunkte geben die Piloten vor dem Start in ihr GPS-Gerät ein, das den Flug genau dokumentiert. Oft sind diese Wendepunkte aber nicht nur bloße Koordinaten, sondern auch deutlich sichtbar: eine Brücke, ein Gipfelkreuz oder eine Kirche. Weitere Disziplinen sind der Streckenflug, Dreiecksflug, Zielrückkehrflug und der Zeitflug mit Ziellandung.
Für die Weltmeisterschaft 2006 in Florida hatte die Jury per Zufall den privaten Flugplatz von Steve Moers als Ziel zur Landung ausgewählt, dem Gitarristen der Band "Deep Purple". Keiner der Drachenflieger wusste, wer dort wohnt. Auch der Popstar wunderte sich zunächst über den unerwarteten Besuch, hieß die Piloten dann aber auf seinem Flugplatz willkommen.
Zugdrachen für Schiffe
Auch wirtschaftlich lassen sich Drachen nutzen, zum Beispiel um Schiffe zu ziehen. Bläst der Wind stark genug, kann ein Kapitän per Knopfdruck den Drachen vom Bug seines Schiffes an einer langen Leine steigen lassen – auf bis zu 400 Meter über dem Meeresspiegel. Dort ist der Wind noch kräftiger. Der Drachen wird per Autopilot gesteuert und zieht dann Achten, da so der Wind perfekt genutzt wird.
Unter optimalen Bedingungen kann ein Schiff mit der Hilfe eines Drachens zwei bis drei Tonnen Kraftstoff am Tag einsparen – in etwa so viel wie ein Einfamilienhaus im Jahr für Wasser und Heizung verbraucht. Bisher gibt es weltweit aber noch nicht viele Schiffe, die diese Technologie nutzen.
Die Kraft des Drachens spart Treibstoff
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 13.05.2020)
Quelle: WDR