Sit-in in der US-Universität Berkeley.

Studentenbewegung

Internationale Studentenproteste

Ende der 1960er-Jahre brodelte es nicht nur in Deutschland. Rund um den Globus gingen die Studenten auf die Straße und demonstrierten: gegen Krieg, für Gleichberechtigung, für Demokratie und eine neue Gesellschaftsordnung.

Von Inés Carrasco

Ursprung in den USA

"Bewegung für Meinungsfreiheit" ("Free Speech Movement") nennt sich 1964 ein Zusammenschluss loser Studentengruppen der Universität Berkeley in Kalifornien. Als "Neue Linke" setzt sich diese Dachorganisation für die Redefreiheit an den Universitäten ein, gegen Atombomben, gegen die Todesstrafe und für die Gleichberechtigung.

Die Universitätsleitung hat den Studenten verboten, sich auf dem Unigelände politisch zu betätigen. Um sich Gehör zu verschaffen, organisieren die Protestierenden die erste Hochschulbesetzung in der Geschichte der Studentenbewegung. In Hörsälen und auf Fluren trifft man sich zum Diskutieren und Protestieren oder blockiert einfach nur lautstark den Unterrichtsbetrieb.

Anders als später in Deutschland schaffen die Studenten es sogar, viele Universitätsangestellte für die Revolte zu gewinnen und zu Streiks zu bewegen. Dieser massive Auftritt der Demonstranten zwingt die Hochschule zum Einlenken. Das politische Redeverbot wird nach zwei Monaten intensiver Protestaktionen aufgehoben.

Rechts im Vordergrund steht eine Sängerin mit Gitarre. Im Hintergrund sind viele sitzende und stehende Menschen zu sehen.

Folk-Sängerin Joan Baez unterstützte die Studenten in Berkeley

Der Erfolg der kalifornischen Studenten ermutigt ihre Kommilitonen in den übrigen USA. Egal ob Hippies, Feministinnen oder schwarze Bürgerrechtler: Alle gehen für ihre Rechte und Ziele auf die Straße. Ab Mitte der 1960er-Jahre kommt es in New York und San Francisco zu den größten Protestaktionen.

Während in Deutschland 1968 der Höhepunkt der Studentenrevolte erreicht wird, endet die Bewegung in den USA. Die Hippies steigen bereits 1967 aus und lösen sich als Subkultur offiziell auf. Sie sind enttäuscht, dass ihr Lebensstil und ihre Ideale vermarktet werden.

Das tödliche Attentat auf den schwarzen Bürgerrechtler und Nobelpreisträger Martin Luther King und die erneute Bombardierung Nordvietnams sind weitere Schläge für die engagierten Studenten. Ende 1968 löst sich die Studentenbewegung der USA auf. Übrig bleiben nur ein paar kleinere radikale Splittergruppen, die aber kaum noch Anhänger finden.

Mai-Unruhen in Frankreich

Während in den USA 1968 die Studentenproteste auslaufen, entzündet sich in Frankreich im selben Jahr der Funken. In Nanterre, einer Kleinstadt nahe Paris, besetzen Studenten das Studentenwohnheim und stören den Hochschulbetrieb. Wie auch schon ihre Vorreiter in Kalifornien fordern sie ein Ende des Vietnamkriegs und eine "Entstaubung" des Hochschulsystems.

Menschenmenge auf einer Straße. Pflastersteine liegen einzeln auf der Straße oder werden von einigen Männern geworfen

Mai-Unruhen in Frankreich 1968

Immer mehr junge Menschen schließen sich den Protestlern von Nanterre an. Bald geht es nicht mehr nur um Hochschulreformen oder den Vietnamkrieg, sondern auch um wirtschaftliche und soziale Themen. Die französischen Studenten möchten den sozialen Umbruch erreichen, weg vom Materialismus hin zu einer sozial gleichberechtigten Gesellschaft. Der Stillstand des Nachkriegs-Frankreichs unter der Herrschaft Charles de Gaulles soll durchbrochen werden.

Anfang Mai 1968 beginnen mit der Besetzung der renommierten Pariser Universität Sorbonne die "Mai-Unruhen". Die französische Studentenbewegung breitet sich schnell über ganz Frankreich aus. An den Universitäten von Bordeaux und Nantes herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände.

Die Studenten erhalten von vielen Seiten Unterstützung. Viele Bürger sympathisieren mit ihnen und berühmte Künstler wie die Filmemacher François Truffaut und Jean-Luc Godard sowie der Intellektuelle Jean-Paul Sartre unterstützen öffentlich ihre Forderungen.

Frankreich im Ausnahmezustand

Als nach der Besetzung der Sorbonne 200 Studenten festgenommen werden, eskalieren die Ereignisse. Auf den Straßen von Paris werden Barrikaden aufgebaut und Autos gehen in Flammen auf. Studenten und Polizisten liefern sich über mehrere Tage Straßenschlachten, bei denen die Staatshüter auch Wasserwerfer und Tränengas einsetzen.

Bald solidarisieren sich auch die Arbeiter mit den Studenten und starten ihre eigenen Aktionen. Sie übernehmen die Protestmethoden der Studenten, besetzen Unternehmen und Fabriken. Lautstark fordern mehrere 100.000 Arbeiter mehr soziale Rechte, Lohnerhöhung und die Einführung einer Sozialversicherung.

Polizisten auf einer nächtlichen Straße. Einer der Polizisten hebt ein brennendes Verkehrsschild hoch.

Frankreich versinkt für einige Tage im Chaos

Hinzu kommt, dass die Gewerkschaften aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten zu einem Generalstreik aufrufen, an dem sich sogar das staatliche Fernsehen beteiligt. Ganz Frankreich scheint am selben Strang zu ziehen. Staatspräsident de Gaulle bleibt nichts anderes übrig als einzulenken. Zuerst werden die Hochschulen reformiert, später folgen soziale und wirtschaftliche Reformen, die bis heute bestehen.

Wie auch in den USA und Deutschland löst sich die französische Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre auf. Zum einen, weil die wichtigsten Forderungen in die Tat umgesetzt werden und zum anderen, weil die Bevölkerung nach dem Einlenken der Regierung und der Einführung der Reformen wieder hinter ihrem Präsidenten steht.

Proteste in Italien und Osteuropa

In ganz Europa kommt es Ende der 1960er-Jahre zu Protesten. In Nord- und Mittel-Italien gehen Studenten, Schüler und Arbeiter auf die Straße, um für Veränderungen zu kämpfen: Für ein Bildungssystem, das allen Gesellschaftsschichten frei zugänglich ist, sowie für bessere Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen. Auch hier sind der Vietnamkrieg und die Gleichberechtigung von Mann und Frau Themen.

Ende 1969 werden die Proteste der Studenten leiser. Dafür machen die Arbeiter um so lauter weiter. Es dauert lange, bis sich in Italien etwas bewegt, deshalb reichen die Ausläufer der italienischen Studentenbewegung noch bis in die 1970er-Jahre hinein.

Wenig erfolgreich sind die Revolutionsversuche in Osteuropa. Ausgelöst durch das Aufführungsverbot eines Theaterstücks aus dem 19. Jahrhundert wegen antirussischen Inhalts gehen in Warschau die ersten Studenten auf die Straße. Die Presse veröffentlicht die Identität festgenommener Studenten, die als antisozialistisch angeprangert werden. 20.000 Studenten werden von den Universitäten verwiesen. Auch einige Lehrkräfte müssen gehen, weil sie nicht linientreu sind.

Auch wenn die Studentenproteste in Polen 1968 zu keinem Erfolg führen, so bringen sie doch einen Stein ins Rollen. Die breite Bevölkerung will die bestehenden Verhältnisse nicht mehr kritiklos hinnehmen. Der Grundstein für die spätere Demokratisierungsbewegung "Solidarność" ist gelegt.

Der Prager Frühling und die Panzer

Auch in der benachbarten Tschechoslowakei kommen Studenten und Intellektuelle mit ihren immer lauter werdenden Forderungen nicht weit. 1967 werden erste Protestaktionen gegen die schlechten Wohnbedingungen in Studentenheimen mit Polizeigewalt aufgelöst.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist der Wechsel in der Parteiführung. 1968 löst der Reformator Alexander Dubcek den kommunistischen Hardliner Antonín Novotný als Staats- und Parteichef ab. Er führt die Pressefreiheit ein und wird von Studenten und Intellektuellen unterstützt. Zudem will er eine Trennung von Partei und staatlichen Einrichtungen sowie Wirtschaftsreformen.

Die Stimmung ist so optimistisch, dass diese Zeit als "Prager Frühling" in die Geschichte eingeht. Doch die Reformen gehen der sowjetischen Führung zu weit. Auch die geplanten wirtschaftlichen Verknüpfungen mit dem Westen sieht der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew nicht gern.

Panzer inmitten einer Menschenmenge.

Panzer beenden den Prager Frühling

Das Resultat: Am 21. August 1968 marschieren die Truppen des Warschauer Pakts mit Panzern in Prag ein. Innerhalb von 48 Stunden sind mit Waffengewalt die alten Verhältnisse wieder hergestellt, der Versuch der Demokratisierung ist gescheitert.

Anders als in Polen verlassen direkt danach knapp 96.000 Menschen das Land, darunter auch viele Intellektuelle. Eine breite und aktive Untergrundbewegung wie in Polen bildet sich nicht.

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 08.05.2020)

Quelle: WDR

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