Von der Ikone zum Gemälde
Die oströmische byzantinische Kunst der Ikonen findet ihren Niederschlag in den Mosaiken von Ravenna und vielen frühen Fresken. Die Gestalt Christi gehört zu den häufigsten Motiven. Christus wird wahlweise mit triumphierendem oder leidendem Antlitz dargestellt.
Diese ikonenhaften Darstellungen wirken sehr schematisch, fast abstrakt. Mit der naturgetreuen Abbildung des Menschen, wie sie in der Renaissance entstehen wird, haben sie noch nichts zu tun. Die Heiligenfiguren wirken unbewegt und starr, ein Raumgefühl stellt sich aufgrund der zweidimensionalen Malweise nicht ein.
An der Schwelle zur Renaissance stehen toskanische Maler wie Cimabue, Duccio di Buoninsegna und Giotto. Auch auf ihren teils monumentalen Bildern, etwa den berühmten Muttergottes-Gemälden in den Uffizien, regiert noch die statische, unbewegliche Anordnung der Figuren.
Doch bei genauer Betrachtung wirken die Züge der Madonnen weicher, menschlicher, weniger holzschnittartig. Es kommt Bewegung in die Malerei – aus der Ikone wird ein Gemälde.
Auch zu Beginn der Renaissance dominieren biblische Geschehen die Kunst und geistliche Figuren das Motiv. Die Kunst als materialisierte Schönheit wird zur höheren Ehre Gottes angefertigt. Noch befindet sie sich nicht in profanen und privaten Räumen, einzig die Kirche ist der Ort, wo die Menschen Kunst antreffen können.
Simone Martinis "Verkündigung Mariae" ist ein einziges Fest aus Blattgold. Seine kostbare Erscheinung muss unter den Zeitgenossen großes Erstaunen hervorgerufen haben. Im Vordergrund überreicht der Erzengel Gabriel der ängstlichen Maria eine weiße Lilie, der Hintergrund ist pures, strahlendes Gold.
Baptisterium der Arianer aus Ravenna
Vom Gold zum Raum
Mit Beginn der Frührenaissance (um 1400 bis 1500) verändert sich die bildende Kunst rasant. Sie wird realistisch, plastischer, dreidimensionaler. Der Goldprunk weicht, Räume entstehen, Landschaften werden mit fotografischer Genauigkeit abgebildet.
Gegenstand der Studien ist immer wieder der Mensch. Der Mensch beginnt sich und seine Zeit selbst abzubilden, er setzt sich in den Mittelpunkt, feiert sich.
Florenz ist Brennpunkt der künstlerischen Innovationen. Donatello schafft bildhauerische Meisterleistungen, die an antike römische Vorbilder erinnern.
Ghibertis figürliche Kunst tritt sogar ganz plastisch aus den Gemälden heraus, goldene Halbreliefs zieren die Portale des Florentiner Baptisteriums. Die staunenden Florentiner nennen sie ehrfurchtsvoll die Pforten des Paradieses. Ghiberti setzt sich selbst ein Denkmal: Er verewigt sein eigenes bronzenes Porträt in den Zierleisten der Relieftafeln.
David von Donatello
Die Entdeckung der Zentralperspektive
Der Dominikanermönch Fra Angelico verzaubert die Menschen mit seinen leichten und unschuldig wirkenden Heiligenbildern und erfreut seine Mitbrüder im Florentiner Konvent San Marco, da er in jeder Mönchszelle ein eigenes Fresko anbringt.
Brunelleschi vollendet den Dom von Florenz mit der lang ersehnten Domkuppel, einer technische Meisterleistung. Seine größte Pionierleistung aber ist die Entdeckung der Zentralperspektive, die Masaccio mit einem bahnbrechenden Bild umsetzt.
Filippo Brunelleschi – ein genialer Architekt und Ingenieur
06:29 Min.. UT. Verfügbar bis 13.10.2027.
Als die Florentiner Mitte des 15. Jahrhunderts die Kirche Santa Maria Novella betreten, trauen sie kaum ihren Augen. An der rechten Chorwand befindet sich ein Fresko, das die Kreuzigungsszene in einem plastischen Renaissance-Gewölbe zeigt.
Anders als bei den flächigen Bildern hat Masaccio mithilfe der Zentralperspektive mit einem sich scheinbar nach hinten verengenden Gewölbe einen tiefen Raum erzeugt. Die ungläubig staunenden Florentiner haben den Eindruck, als hätte jemand ein Loch in die Kirchenwand geschlagen und eine Kapelle angebaut.
Perpektivische Konstruktion eines Laubengangs
Menschen malen Menschen
Auch Filippo Lippi macht von sich reden. Sein Bild zeigt eine wunderschöne Muttergottes mit dem neugeborenen Jesuskind. Die dargestellten Figuren scheinen lebendige Menschen zu sein, so plastisch wirken sie.
Bei näherem Hinsehen stellen die Florentiner überrascht noch etwas anderes fest: Die zarte, strahlend schöne junge Frau ist geradezu modisch gekleidet. Sie erscheint viel eher wie eine Florentinerin von Rang, als die jüdische Mutter Jesu aus römischer Zeit.
So verschwimmen die Grenzen, und neben die biblischen Motive treten plötzlich Gestalten und Personen des öffentlichen Lebens. Die Porträtmalerei beginnt. Maler und Bildhauer versuchen sich gegenseitig an Schönheit, Kraft, Eleganz und Pracht ihrer Gemälde zu übertreffen, ihre Darstellungen werden zu rauschenden Festen für die Sinne.
Anders als heute gab es damals kaum Bilder. Reizüberflutung war ein Fremdwort, Statuen selten und Gemälde allenfalls in Kirchen zu sehen.
Blütezeit der Kunst
Als die Blütezeit der Epoche, die Hochrenaissance, anbricht (Ende 15. Jahrhundert bis etwa 1520), verstehen sich die Künstler als Handwerker und zugleich als Individualisten, die sich ihrer einzigartigen Kunstwerke rühmen. Viele sind wahre Multitalente und gleich auf mehreren Gebieten Meister ihres Fachs.
Michelangelo etwa erschafft Meisterwerke als Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter. Leonardo da Vinci ist Maler, Anatom, Ingenieur und Erfinder. Die Berühmtesten unter ihnen – wie Michelangelo und Leonardo da Vinci – sind hochbezahlte Superstars ihrer Zeit, arbeiten ausschließlich für Regenten und Päpste.
Leonardo da Vinci, Das Abendmahl Leonardo da Vinci 1452-1519. "Das Abendmahl", 1495-97. Wandgemälde, 460 x 880 cm
In Rom entwirft Bramante die Peterskirche, Leonardo da Vinci malt das Abendmahl und die Mona Lisa, Raffael illustriert die Stanzen im Vatikan, Michelangelo erschafft die weltberühmten Fresken der Sixtinischen Kapelle.
Die Kunst soll den Betrachter überwältigen, die Bilder sollen vor Pracht strahlen, Statuen an Kraft und Bewegung beinahe lebendig werden, als wären sie gar nicht aus Marmor oder Bronze, sondern real.
Der von den Medici begeistert gefeierte Sandro Botticelli setzt den schönsten Frauen von Florenz in seinen großformatigen Gemälden "Der Frühling" und "Die Geburt der Venus" Denkmale. Das Aktbild der römischen Liebesgöttin Venus, die in einer Muschel an Land getrieben wird, besitzt eine erotische Ausstrahlung, wie man sie bis dahin nur von antiken Darstellungen kannte.
Leonardo da Vinci: Mona Lisa
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 26.06.2019)
Quelle: SWR | Stand: 27.02.2024, 11:52 Uhr