Mütter
Mutterliebe
Für viele Menschen gilt die Mutterliebe als stärkste Verbindung, die Menschen überhaupt eingehen können. Stimmt das? Wie entsteht dieses Gefühl? Und was passiert, wenn es fehlt?
Von Christina Lüdeke
Der Hormonrausch nach der Geburt
Schon in der Bibel ist die Mutterliebe ein Thema: Zwei Frauen streiten sich um einen Säugling. König Salomo soll entscheiden, wer die richtige Mutter ist.
Der König lässt sich in der Erzählung ein Schwert bringen und sagt, er wolle das Kind in zwei Hälften teilen, damit jede Frau ein Stück bekomme. Daraufhin verzichtet die eine Frau sofort: Lieber soll das Kind bei der anderen aufwachsen, als getötet zu werden.
Salomo wertet das als Zeichen echter Mutterliebe. Doch wie entsteht dieses Gefühl, das viele als die stärkste Verbindung ansehen, die Menschen überhaupt eingehen können?
Sind es die Hormone, die für Mutterliebe verantwortlich sind, oder doch eher die Erziehung? Denn schließlich gibt es ja auch Mütter, die ihre Kinder misshandeln oder sogar töten – was geschah mit deren Mutterliebe?
Während der Geburt eines Kindes schüttet der weibliche Körper große Mengen an Endorphinen aus. Sie haben schmerzlindernde Wirkung, ähnlich wie Morphine, und sind zudem angstlösend. Wenn das Kind geboren ist, endet der Schmerz zwar, der Endorphinspiegel ist jedoch nach wie vor sehr hoch: Die Mutter ist quasi high, im Rausch körpereigener Drogen.
Bindungshormone wirken schon in der Schwangerschaft
Außer den Endorphinen wird noch ein weiteres Hormon während des Geburtsvorgangs ausgeschüttet: das Oxytocin. Es gilt als Bindungshormon und wird auch während der sexuellen Erregung vom Körper verstärkt produziert.
Während der Geburt entsteht es, je mehr der Muttermund sich weitet und öffnet. Eine weitere Dosis des Botenstoffes schüttet das Gehirn aus, wenn das Baby an der Brust der Mutter saugt.
Bereits in den ersten Monaten der Schwangerschaft konnten israelische Forscher nach einer 2007 veröffentlichten Studie schon Oxytocin in stärkerer Dosierung nachweisen, als dies bei nicht schwangeren Frauen der Fall war.
Und sie fanden heraus: Je höher der Oxytocin-Spiegel der Mutter während der Schwangerschaft war, desto intensiver beschäftigten sich die Frauen anschließend mit dem Kind und desto stärker waren sie ihm zugewandt.
Liebe trotz Kaiserschnitt
Dies wäre eine mögliche Erklärung dafür, warum Mütter ihre Babys auch dann nicht verstoßen, wenn sie in einer Kaiserschnitt-Entbindung unter Vollnarkose geboren wurden.
Ein vermutlich weitaus wesentlicherer Grund ist hierbei allerdings wohl die Fähigkeit zu lernen und die Erfahrung. Dies führt nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Affen dazu, dass sie Babys adoptieren und liebevoll großziehen können.
Auch Gorillas können adoptieren
Schafe dagegen lehnen ihre Lämmer ab, wenn sie durch Kaiserschnitt unter Narkose zur Welt kommen. Auch wenn ein Lamm direkt nach der Geburt kurzzeitig von der Mutter entfernt wird, nimmt sie es nicht an, selbst wenn man es ihr nur wenig später zurückgibt.
Menschen dagegen erlernen Mutterliebe bis zu einem gewissen Grad. Wer selbst Mutterliebe erfahren hat, dessen Gehirn ist nachhaltig auf eine spätere Liebesfähigkeit programmiert. Umgekehrt gilt: Auch zu wenig Liebe hinterlässt nachweislich Spuren im Gehirn.
Bei Menschen allerdings, die durch häufigen Umgang bereits viel Erfahrung mit Kindern gesammelt haben, sind keine Hormonschübe mehr nötig, um mütterliches Verhalten auszulösen. Hier genügen kleinere Reize wie beispielsweise der bloße Anblick eines Babys.
Psychisch krank nach der Geburt
Aber nicht immer verläuft die Bindung zwischen Mutter und Kind so störungsfrei. Mehr als jede zehnte Frau verfällt nach der Geburt eines Kindes in eine sogenannte postpartale Depression (teilweise auch als postnatale Depression bezeichnet).
Sie fühlt sich ständig erschöpft und innerlich leer, weint häufig, wird von Ängsten und Zwangsgedanken verfolgt oder denkt sogar an Selbsttötung. Sie leidet an Schuldgefühlen, keine "Bilderbuchmutter" zu sein, und ihre Gefühle dem Kind gegenüber sind zwiespältig.
Depressionen nach der Geburt sind häufig
Häufig geht die Depression auch mit psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit einher. Möglich sind auch postpartale Angstzustände, die mit einer Depression einhergehen können, aber nicht müssen.
Die schwerste Form der Krise nach der Geburt ist die postpartale Psychose. Sie kann sich unterschiedlich äußern, etwa mit Unruhe, Angstzuständen und Wahnvorstellungen. Je nach Ausprägung besteht ein hohes Suizidrisiko. Etwa 0,2 Prozent der Mütter sind von einer solchen Psychose betroffen.
Gute Heilungschancen
Die Ursachen für diese nachgeburtlichen Erkrankungen sind vielschichtig. Sie reichen von rein physischen Auslösern wie der hormonellen Umstellung nach dem Ende der Schwangerschaft über soziale und gesellschaftliche Faktoren wie ein idealisiertes Mutterbild bis hin zu psychischen Problemen.
So können durch die Geburt traumatische, aber verdrängte Erlebnisse wie zum Beispiel eine Vergewaltigungs- oder Missbrauchs-Erfahrung wieder stärker an die Oberfläche dringen und so die Entstehung einer Depression begünstigen.
Je nach Schwere der Erkrankung kann eine medikamentöse Behandlung, die eventuell vom Besuch in einer Selbsthilfegruppe unterstützt wird, schon als Therapie ausreichen. Andere Frauen benötigen therapeutische Unterstützung oder müssen stationär in einer Klinik behandelt werden.
Obwohl die Betroffenen sehr stark leiden, gibt es doch zumindest eine positive Prognose: Fast immer klingt eine postpartale Depression wieder vollständig ab.
Fast immer klingt die Depression völlig ab
(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 17.03.2020)
Quelle: WDR