Vornamen früher und heute
01:50 Min.. UT. Verfügbar bis 04.03.2029. Von Anne Steinkamp/David da Cruz/Bilderfest GmbH.
Namen im Wandel der Zeit
Kevinismus – wie Modenamen entstehen
Manche Namen sind eine Zeitlang sehr beliebt und gelten dann als abgedroschen oder für einige als Lachnummer und sie werden mit negativen Vorstellungen verknüft. Die wohl bekanntesten Beispiele sind die Namen Kevin und Chantal. Woran liegt das? Was hat es mit dem sogenannten Kevinismus und Chantalismus auf sich?
Von Anke Riedel
Schon in früheren Jahrhunderten traten neue Namen zunächst beim Adel oder Bürgertum auf. Die unteren Schichten zogen nach und vergaben nun auch diese Modenamen. Doch sobald der Name beim gewöhnlichen Volk angekommen war, galt er in den höheren Schichten als abgedroschen und wurde nicht mehr vergeben. Hier suchte man nun neue, unverbrauchte Namen.
Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, wie das Beispiel des Namens "Kevin" zeigt: Er verbreitete sich in Deutschland ab den 1960er-Jahren und war anfangs sehr selten. Zunächst nannten vor allem gebildete Eltern ihr Kind so, die Spaß an der keltischen Kultur hatten oder Fans von damals noch exotischen Reisezielen wie Irland waren.
Mit dem Wechsel des englischen Fußballers Kevin Keegan in die Bundesliga begann dann Ende der 1970er-Jahre ein regelrechter "Kevin"-Hype. Spätestens in den 1990ern setzte sich der Name endgültig durch. Dazu trug auch Hollywood bei – mit dem Film "Kevin allein zu Haus" und dem Schauspieler Kevin Costner. 1991 hatte es "Kevin" dann zum beliebtesten Vornamen in Deutschland gebracht, unabhängig vom Bildungsgrad der Eltern.
"Kevin – Allein zu Haus"
Doch schon wenig später begann der Abstieg des Namens. "Kevin" war in den bildungsfernen Schichten angekommen und wurde von Akademikern nun kaum noch vergeben. So wurde der Name nach und nach zur Massenerscheinung. Und es setzte noch eine andere, neue Entwicklung ein: Namen wie "Kevin" oder "Chantal" wurden abgewertet und mit Dummheit, Verhaltensauffälligkeit und Faulheit gleichgesetzt.
Namensexperten vermuten, dass die sozialen Medien, Boulevardmedien und Comedians zu dieser negativen Bewertung einzelner Namen beitragen haben. Die Medien prägten den Begriff "Kevinismus" – nach dem Motto: Sag mir, wie du heißt und ich sage dir, wie du bist. Noch deutlicher wurde der Komiker Michael Mittermeier in einem seiner Programme: "Nur Drogenkinder und Ossis heißen Kevin". Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt mehr Kevins im Westen Deutschlands lebten als im Osten. Auch der Comedian, Kabarettist und ehemalige Gymnasiallehrer Herr Schröder spielt in seinem Soloprogramm "Instagrammatik" mit den gängigen Klischees und Abwertungen rund um den Namen Kevin.
2009 dann sorgte eine Studie der Universität Oldenburg für Aufruhr: 500 Grundschullehrende wurden nach ihrer Einstellung zu Kindernamen befragt. "Kevin" kam besonders schlecht weg: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose", schrieb eine der befragten Lehrerinnen.
Auch Kindern mit den Namen "Mandy" oder "Justin" traute man in Sachen Sozialverhalten oder Leistungsfähigkeit weniger zu als beispielweise einer "Hannah". Namen wecken also Erwartungen: So hängt der sozioökonomische Status, der mit einem Namen verknüpft wird, mit den Erwartungen an die Leistungsbereitschaft und den Fähigkeiten zusammen.
Die Reaktionen, die ein negativ bewerteter Name nach sich ziehen kann, sind enorm. Eine Untersuchung zeigte, dass der Name "Kevin" auch im Berufsleben Nachteile mit sich bringen kann: Wurde eine identische Bewerbungsmappe einmal unter dem Namen "Alexander" und einmal unter "Kevin" eingereicht, entschieden sich die Arbeitgebenden durchweg für den Bewerber "Alexander".
Negativ besetzte Namen rufen ablehnende Reaktionen hervor, die sich wiederum negativ auf die Lebensumstände von Menschen auswirken. Dieses Phänomen ist in den USA schon länger bekannt. Dort werden Menschen mit typisch lateinamerikanischen Namen und mit Namen, die als wenig intelligent gelten, in der Schule, bei der Behandlung durch Behörden oder bei Bewerbungen benachteiligt.
(Erstveröffentlichung 2024. Letzte Aktualisierung 01.03.2024)
UNSERE QUELLEN
- Gabriele Rodriguez: "Namen machen Leute. Wie Vornamen unser Leben beeinflussen". Komplett Media, 2. Auflage, München (2017)
- Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: "Namen. Einführung in die Onomastik". Narr Francke Attempto, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen (2015)
- Jochen E. Gebauer, Mark R. Leary, Wiebke Neberich:" Unfortunate First Names: Effects of Name-Based Relational Devaluation and Interpersonal Neglect". Social Psychological and Personality Science, 3(5), 590-596 (2012)
- Astrid Kaiser: "Vornamen: Nomen est omen?", in: Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken Nr. 12, S. 1‒4 (2009)
- Barbara Lochner: "Kevin kann einfach auch nicht Paul heißen – Methodologische Überlegungen zur Anonymisierung von Namen". Zeitschrift für Qualitative Forschung, Verlag Barbara Budrich (2018)
- Tillmann Nett; Angela Dorrough; Marc Jekel, Andreas Glöckner: "Perceived Biological and Social Characteristics of a Representative Set of German First Names". Social Psychology 2020 51:1, S. 17-34
- Dieter Schwab: "Deutsche Familiennamen aus rechtswissenschaftlicher Sicht". In: Namenkundliche Informationen, Hrsg. Susanne Baudisch; Deutsche Gesellschaft für Namensforschung (GfN), Philologische Fakultät der Universität Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, S. 110-134 (2015)
- Udo Rudolph, Robert Böhm, Michaela Lummer: "Ein Vorname sagt mehr als 1000 Worte". Zeitschrift für Sozialpsychologie 38.1 S.17-31 (2007)
- Gesellschaft für Deutsche Sprache e.V.: "Auswertung von Vornamen 2022"
- Deutsche Gesellschaft für Namensforschung: "Was ist Namenforschung?"
- Namensberatungsstelle Universität Leipzig
- LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn: "Namen"
- Deutscher Bundestag: "Das Namensrecht in der Bundesrepublik Deutschland" (2019, PDF)
Quelle: WDR