Lernen
Intelligenz
Seit Jahrhunderten suchen Wissenschaftler nach einer Definition für das Phänomen Intelligenz. So gibt es heute eine Vielzahl von Theorien, vom "Generalfaktor g" bis hin zur "Multiplen Intelligenz" – einig sind sich die klugen Köpfe noch lange nicht.
Von Sabine Kern, Alina Schadwinkel und Jochen Zielke
Was ist Intelligenz?
Ganz allgemein lässt sich sagen: Intelligenz ist die Umschreibung für die Fähigkeit, sich in neuen Situationen durch Einsicht zurechtzufinden und Aufgaben durch Denken zu lösen.
Erfahrung spielt dabei keine Rolle, eher das schnelle Erfassen von Beziehungen und deren Kombination. So kann ein neuer Blick auf ein bestehendes Problem entstehen und zu einer schnellen Lösung führen – ohne Ausprobieren und Lernen.
Der US-Psychologe Edward Boring hingegen hatte 1923 seine eigene Definition: "Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst."
In Intelligenztests werden bestimmte Eigenschaften untersucht, etwa die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen. Das Ergebnis ist ein Zahlenwert, der Intelligenzquotient – kurz auch IQ genannt. In vielen Intelligenztests gilt ein IQ von 100 als Durchschnitt.
Was ist Intelligenz?
Planet Wissen . 15.12.2020. 03:04 Min.. UT. Verfügbar bis 28.01.2025. WDR. Von Chantal Beil.
Zwei gegensätzliche Theorien
Die Tests mögen Unterschiede aufzeigen – eine Antwort auf die Frage, was Intelligenz ausmacht, liefern sie jedoch nicht. Hierüber diskutieren Wissenschaftler noch immer.
Einige Forscher gehen von einem einzigen, bereichsübergreifenden Intelligenzfaktor aus, dem "Generalfaktor g". Begründet wurde die These 1923 von dem Psychologen Charles Spearman.
Mithilfe des Vergleichs verschiedener IQ-Tests fand er heraus, dass es zwischen fast allen einzelnen Abschnitten innerhalb eines Tests eine positive Korrelation gab. Sein Fazit: Zwischen den unterschiedlichen Fähigkeiten besteht ein grundlegender Zusammenhang, der Faktor "g". Dieser könne je nach Proband unterschiedlich hoch sein.
Von Anfang an war Spearmans These umstritten. So lieferten Folgeuntersuchungen seiner Kollegen abweichende Ergebnisse und damit weitere Faktor-Theorien. Andere Wissenschaftler wiederum halten einen allgemeinen Faktor für nicht ausreichend. Sie befürworten eine ganze Palette voneinander relativ unabhängiger Intelligenzen.
Der US-Psychologe Howard Gardner etwa plädierte für ein Konzept der "Multiplen Intelligenz". Demnach ergeben verschiedene, unterschiedlich gut ausgeprägte Fähigkeiten zusammen die intellektuellen Möglichkeiten eines Menschen.
Garner bezog in seine Theorie die Bewegungsintelligenz (Tänzer), musikalische Intelligenz (Musiker, Komponisten) und naturalistische Intelligenz (Naturforscher) mit ein.
Nahezu alle Gehirnbereiche werden hierbei benötigt. Intelligenz könnte also auch davon abhängig sein, wie gut und schnell die einzelnen Gehirnkomponenten funktionell miteinander verbunden sind, zusammenarbeiten und Informationen austauschen. Neben rein akademischen kämen so auch praktische Fähigkeiten zum Tragen.
Gardner entwickelte die Theorie der "Multiplen Intelligenz"
Denken und Fühlen als Einheit
Eine weitere Form ist die "Emotionale Intelligenz" (EQ). Der Begriff tauchte in der Fachliteratur erstmals um 1990 auf. Der breiten Öffentlichkeit wurde er durch das gleichnamige Buch von Daniel Goleman bekannt.
Goleman beschreibt darin Denken und Fühlen als eine Einheit, die das Handeln und die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen bestimmen. Emotional Intelligente können Stimmungslagen wie Schwermut, Angst oder Gereiztheit bei sich und anderen erkennen, unterscheiden, regulieren und für sich nutzen. Denkprozesse werden dadurch nicht gestört.
Um Erkenntnisse über die Emotionale Intelligenz zu gewinnen, führte das Kölner Max-Planck-Institut für Neurologische Forschung eine Studie mit psychisch kranken Probanden durch. Menschen mit Depression, mit Schizophrenie und Autisten gehörten zu den Versuchsteilnehmern. Deren empathische Profile (Empathie = Einfühlung) unterschieden sich zum Teil erheblich von denen gesunder Probanden.
Normal intelligente Schizophrene neigen etwa dazu, überdurchschnittlich viel über Motive und Handlungen anderer nachzudenken, während Autisten sich überhaupt nicht in ihre Mitmenschen einfühlen können.
In unserer Arbeitswelt werden Teamarbeit, Motivationsfähigkeit und Mitarbeiter-Management immer wichtiger. Emotionale Intelligenz könne demnach ein Schlüssel zum Erfolg in unserer Gesellschaft sein, sagen Anhänger der Theorie. Die Aussagekraft der speziell entwickelten EQ-Tests ist in Fachkreisen jedoch umstritten, wie überhaupt das Konzept der emotionalen Intelligenz.
Emotionale Intelligenz hilft beim Umgang mit anderen Menschen
Die Rolle der Gene
Mögen die Formen der Intelligenz auch umstritten sein – dass die Gene die Intelligenz beeinflussen, darin sind sich Forscher einig. Wie stark, darüber lässt sich jedoch keine genaue Aussage treffen.
Dabei geht es nicht um ein einzelnes Intelligenzgen. Die Gehirnleistung ergibt sich aus der Funktion einer großen Zahl an Genen, die sich wiederum oft gegenseitig beeinflussen: solche, die den Gehirnstoffwechsel steuern und solche, die Bestandteile der Gehirnanatomie festlegen.
Diskutiert werden unter anderem folgende genetische Einflüsse auf intellektuelle Fähigkeiten:
- genetisch bedingte höhere Anzahl von Nervenzellen,
- genetisch bedingte höhere Zahl von Verschaltungen zwischen Nervenzellen und damit bessere Verarbeitungs- und Gedächtniskapazitäten (Dendriten und Synapsen),
- genetisch bedingte dickere Nervenumhüllungen, die die Reizleitung im Gehirn effizienter gestalten (Myelin-Isolierung),
- genetisch bedingter, niedrigerer Energiebedarf bei Hochintelligenten, was die Dauer der Arbeitsleistung positiv beeinflusst.
Potenzielle Intelligenzgene vermuten Humangenetiker heute vor allem auf den X-Chromosomen. Frauen besitzen davon zwei, Männer nur eins. Das würde erklären, warum deutlich mehr Männer eine geistige Behinderung haben als Frauen: Wenn ein X-Chromosom mutiert ist, können Frauen dies durch das zweite X-Chromosom ausgleichen, Männer dagegen nicht.
Ist Intelligenz vererbbar?
Planet Wissen . 15.12.2020. 02:13 Min.. UT. Verfügbar bis 28.01.2025. WDR. Von Ulf Kneiding.
Dem Gehirn beim Denken zuschauen
Bei der Suche nach anatomischen und physiologischen Grundlagen von Intelligenz steht die Forschung ebenfalls noch am Anfang. Mit Computertomographen versuchen Wissenschaftler Denkprozesse sichtbar zu machen. So lassen sich beispielsweise über die Rate des Zuckerverbrauchs einige Bereiche geistiger Aktivität bestimmen.
Möglich macht das die Positronen-Emissions-Tomographie. Magnetresonanz-Tomographen messen Magnetfelder im Gehirn, die sich bei Denkprozessen verändern.
Diese und andere bildgebenden Verfahren lassen darauf schließen, dass intelligente Personen Informationen schneller aufnehmen können, mehr Informationen im Kurzzeitgedächtnis speichern und schneller wieder abrufen können.
Durchschnittlich Intelligente müssen ihr Gehirn im Zeitverlauf von IQ-Tests stärker hochfahren und dabei auch Regionen aktivieren, die mit der Aufgabenstellung eigentlich nichts zu tun haben.
Hochintelligente scheinen in der Pubertät die Nervenverschaltungen im Gehirn besonders stark neu zu strukturieren. Daher verbrauchen ihre Gehirne insgesamt weniger Energie und konzentrieren die Aktivitäten in der Großhirnrinde besser auf benötigte Areale.
Der Schlüssel zum biologischen Verständnis von Intelligenz liegt vermutlich in der Art und Weise, wie im Gehirn Informationen fließen und welche Faktoren das beeinflussen. Noch haben Forscher diesen Schlüssel aber nicht gefunden.
Dem Gehirn beim Denken zusehen
(Erstveröffentlichung: 2002. Letzte Aktualisierung: 27.01.2020)
Quelle: WDR/SWR