Präklinik: der vorsichtige Start
Alle Impfstoffkandidaten durchlaufen dasselbe mehrstufige Verfahren, bei dem die Hersteller die Wirksamkeit und auch die Sicherheit des Impfstoffs nachweisen müssen. Die Sicherheit ist noch wichtiger als bei Medikamenten, da die Impfstoffe Gesunden verabreicht werden sollen und nicht eine Krankheit behandelt wird, wo man für die Heilung eher Nebenwirkungen in Kauf nimmt.
Schritt für Schritt tasten sich die Entwickler vor, um den Impfstoff umfangreich zu testen. Anfangs untersuchen Wissenschaftler den Wirkstoffkandidaten im Labor an Zellkulturen und Versuchstieren. In dieser sogenannten präklinischen Phase soll gezeigt werden, dass der Wirkstoff keine toxischen, also giftigen, Auswirkungen auf menschliche Zellen hat und den Körper nicht schädigt.
Ebenso testen die Hersteller bereits in dieser Phase, ob geimpfte Tiere wie etwa Mäuse nach drei bis vier Wochen auch die gewünschte Immunreaktion zeigen und wie sich dies bei unterschiedlichen Dosierungen verhält. Erst wenn diese Ergebnisse vorliegen, können die Hersteller ihre klinischen Studien an Menschen beantragen.
Klinische Studien: mehrstufige Tests mit Menschen
Die klinischen Studien umfassen drei Phasen. Diese sind unabdingbar und ohne zufriedenstellende Ergebnisse bekommen Impfstoffe keine Zulassung. Je weiter die Testung voranschreitet, desto mehr Menschen werden in den Studienphasen eingeschlossen.
Phase 1:
Studien der Phase 1 laufen meistens mit einzelnen bis hin zu wenigen Dutzend Probanden ab. Bei den Teilnehmern handelt es um gesunde Erwachsene, meist im Alter von 18 bis 55 Jahren. Die erste Hürde ist etwa der vorläufige Nachweis, dass der Impfstoff auch für den Menschen nicht gefährlich ist.
Die Studien werden immer mit einer Kontroll- oder Vergleichsgruppe durchgeführt, die etwa nur eine bereits verfügbare Impfung oder aber eine genauso harmlose wie wirkungslose Kochsalzlösung gespritzt bekommt, das Placebo.
Die Probanden gehen zu regelmäßigen Untersuchungsterminen. Wie bei den Tieren zeigen Blutproben der Probanden einige Wochen nach der Impfung, ob die Personen Antikörper produziert haben und somit ein tatsächlicher Schutz vor Infektionen oder Erkrankungen besteht.
In Phase 1 wird erstmals am Menschen getestet
Phase 2:
Studien der Phase 2 umfassen mehrere hundert Probanden. An ihnen lassen sich erstmals auch unterschiedliche Impfdosen testen, um die beste Wirkung zu erzielen.
Dabei geht man auch hier stufenweise vor, um die Sicherheit der Probanden nicht zu gefährden. Man verabreicht zuerst die niedrigste Dosis und wenn diese gut vertragen wird, testet man die nächsten Probanden mit einer höheren Dosis.
Phase 3:
In der abschließenden Phase-3-Studie werden die Impfstoffe an mehrere tausend Menschen verabreicht. In der Regel sind erst in dieser letzten Phase auch ältere und vorerkrankte Menschen berücksichtigt. Nun gilt es, den genauen Grad der Wirksamkeit zu ermitteln und Nebenwirkungen zu erkennen.
Dafür dokumentieren die Hersteller die Impfreaktionen. Typisch sind etwa Schmerzen an der Einstichstelle oder Rötungen, die meist nach ein bis zwei Tagen wieder verschwinden. Genauso wichtig ist es aber, weitere Nebenwirkungen zu dokumentieren – etwa Fieber, Schüttelfrost und andere Beschwerden, die nach der Impfung auftreten.
Schwere Nebenwirkungen werden besonders akribisch begutachtet, um einen möglichen Zusammenhang mit der Impfung festzustellen. Solange das nicht ausgeschlossen werden kann, ruhen die klinischen Studien oft. In dieser Zeit werden etwa vorerst keine weiteren Probanden geimpft.
Wie viele und besonders wie viele unterschiedliche Probanden an der Phase 3 teilnehmen, ist entscheidend für die spätere Zulassung und Empfehlung der Impfstoffe. Nur wenn etwa ausreichend Menschen aus allen Altersgruppen oder mit bestimmten Vorerkrankungen Teil der finalen Studienphase sind, lassen sich daraus auch aussagekräftige Daten ableiten. Auch seltene Nebenwirkungen fallen nur mit möglichst vielen Probanden auf.
Am Ende geht es bei Impfungen um den Impfschutz. Dieser berechnet sich meist dadurch, dass man den Anteil der Infizierten aus der Impf- und der Placebo-Gruppe gegenüberstellt. Nur wenn es in der Impfgruppe zu erheblich weniger Infektionen gekommen ist, hat die Impfung einen tatsächlichen Schutzeffekt.
Wie lange es dauert, bis man einen eindeutigen Unterschied feststellt, hängt aber von der Infektionskrankheit und dem Infektionsgeschehen ab. Wenn es kaum Infizierte gibt, dann sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Studienprobanden sich infizieren. Oftmals werden daher die Studien in Ländern durchgeführt, wo die Krankheit besonders häufig auftritt.
Am Ende der Phase 3 steht der tatsächliche Schutzeffekt fest
Die Zulassung: der Ritterschlag
Üblicherweise nach Ablauf der gesamten präklinischen und klinischen Testphase übergeben die Hersteller die Daten gesammelt an die Zulassungsbehörden. In Deutschland ist dies das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), wobei viele Impfstoffe in Europa von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zentral für alle Mitgliedsstaaten zugelassen werden.
Neben den Studiendaten interessieren sich die Behörden auch dafür, wie der Hersteller die Impfdosen produziert. Für Impfstoffe gelten höchste Qualitätsstandards, die von Beginn an gewährleistet sein müssen. Das PEI etwa kontrolliert deshalb auch immer wieder Impfstoff-Lieferungen.
Auch nach der vorläufigen Zulassung können die Hersteller noch weitere Studien durchführen oder anschließen, die nicht zwangsläufig nötig sind. Beispielsweise folgen klinische Studien mit Kindern immer erst dann, wenn die Sicherheit des Impfstoffs bei Erwachsenen gewährleistet ist.
Veränderte Bedingungen während der Pandemie
Während der Corona-Pandemie gab es für die Impfstoffe in vielfacher Hinsicht bessere Testbedingungen. Der Impfstoff vom deutschen Hersteller Biontech etwa wurde in weniger als einem Jahr entwickelt, erfolgreich getestet und zugelassen. Bis dahin hatte die Entwicklung meist viele Jahre gebraucht.
Entgegen vieler Bedenken wurden dabei aber keine sicherheitsrelevanten Tests ausgelassen. Die Hersteller mussten den europäischen Behörden weiterhin alle üblichen Daten vorlegen. Dass sie diese in kürzerer Zeit sammeln konnten, lag an mehreren Umständen während dieser Pandemie:
- Langer Vorlauf: Die Forschung an Impfstoffen gegen verschiedene Coronaviren läuft seit Langem. Dass die Impfstoffe sich gegen das Stachelprotein des Virus richten sollten, war bereits bekannt.
- Mehr Geld: Die Hersteller sind in Vorleistung gegangen und haben staatliche, finanzielle Unterstützung bekommen. Üblicherweise prüfen Hersteller ihre Ergebnisse lange Zeit selbst, ehe sie mit weiteren Tests vorfahren, um finanzielle Risiken zu minimieren.
- Viele Infizierte: Die Impfstoffe wurden vor allem in Ländern getestet, in denen es viele Infektionen gab. So erreichten die Studien schneller die Anzahl an Infektionen, ab der man den Impfschutz statistisch berechnen kann.
- Beschleunigte Prüfung: Die Hersteller konnten ihre Zwischenergebnisse und Studiendaten im Rahmen einer "rollenden Prüfung" schon während laufender Tests an die Behörden übermitteln. So konnten etwa die nächsten Studienphasen ohne die sonst übliche Wartezeit gestartet werden. Zudem haben die Behörden die Impfstoff-Ergebnisse mit höherer Priorität nachgerechnet und bearbeitet.
UNSERE QUELLEN
- Ursula Wiedermann, Otfried Kistner und Barbara Tucek: Entwicklung von Impfstoffen. Österreichische Ärztezeitung, 2017 (PDF)
- Verband der Arzneimittelhersteller e.V.: Wie Impfstoffe gegen Covid-19 erprobt werden
- M. Schwanig: Die Zulassung von Impfstoffen. Bundesgesundheitsblatt, 2002 (PDF)
- Science Media Center Deutschland: Arzneimittel – Von der Entwicklung bis zur Zulassung (PDF)
(Erstveröffentlichung 2021. Letzte Aktualisierung 16.03.2021)
Quelle: WDR