Auf einer alten Postkarte hissen zwei Männer eine rote Fahne. Darunter steht "Gruss zum 1. Mai 1900"

Gewerkschaften

Der Tag der Arbeit

In vielen Ländern der Erde – von Deutschland bis Südafrika, von Argentinien bis Vietnam – wird der 1. Mai als "Tag der Arbeit" gefeiert. Mit Kundgebungen machen Arbeiterorganisationen und Gewerkschaften auf ihre Forderungen aufmerksam.

Von Carsten Günther

Massaker auf dem "Heumarkt" in Chicago

Die Vorgeschichte des "Tages der Arbeit" beginnt im April 1856 in Australien. "Eight hours labour, eight hours recreation, eight hours rest" (deutsch: "Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung, acht Stunden Ruhe") – mit diesem Slogan erkämpften sich die Bauarbeiter in Sydney und Melbourne damals den Acht-Stunden-Tag. Davor hatte ein Arbeitstag meist zehn Stunden oder mehr gedauert. Die Arbeiter feierten ihren Erfolg von nun an jedes Jahr mit großen Demonstrationen.

Dreißig Jahre später, am 1. Mai 1886, kam es in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einem großen mehrtägigen Generalstreik. So nennt man einen Streik, der eine ganze Region oder ein ganzes Land umfasst. Auch hier forderten die Arbeiter die Verkürzung des Arbeitstags auf acht Stunden und protestierten gegen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne.

Dass der Protest am 1. Mai stattfand, hatte einen besonderen Grund: An diesem Datum liefen in den USA traditionell alte Arbeitsverträge aus und neue wurden geschlossen. Viele Arbeiter mussten ihre Arbeitsstelle und oft auch ihren Wohnort wechseln. Daher wurde der Tag auch "moving day" genannt (zu deutsch: Umzugstag).

Am ersten Tag des Streiks legten rund 400.000 Beschäftigte aus 11.000 Betrieben überall in den USA die Arbeit nieder. In Chicago nahmen ungefähr 80.000 Menschen an einer großen Kundgebung teil. Am vierten Streiktag, dem 4. Mai 1886, kam es am Haymarket Square zu einem blutigen Zwischenfall.

Nachdem Demonstranten eine Splitterbombe auf Polizeibeamte geworfen hatten, brach eine Schießerei aus. Insgesamt wurden sieben Polizisten und mindestens vier Arbeiter getötet und Dutzende Menschen verletzt. Diese Auseinandersetzungen sind seitdem als "Haymarket Riot" (deutsch: "Haymarket-Aufstand" oder "Haymarket-Affäre") bekannt.

Ein Gemälde zeigt eine demonstrierende Menschmenge vor einem brennenden Feuer; ein Mensch schießt auf eine Gruppe von Polizisten

Der "Haymarket-Aufstand" in Chicago von 1886

Kampftag der Arbeiterbewegung

Die Bewegung um den "Tag der Arbeit" fand auch ihren Weg nach Europa. Im Juli 1889 versammelten sich in Paris sozialistische Gewerkschaften und Parteien aus der ganzen Welt zum "Zweiten Internationalen Arbeiterkongress". Sie beschlossen eine große internationale Demonstration am 1. Mai des kommenden Jahres, um der Opfer der Haymarket-Unruhen von Chicago zu gedenken. Damit erklärten sie den 1. Mai zu einem weltweiten Aktions- und Feiertag der Arbeiter.

Ein Jahr später, am 1. Mai 1890, wurde der "Kampftag der Arbeiterbewegung", wie er auch genannt wurde, zum ersten Mal weltweit mit Massenstreiks und Demonstrationen begangen.

Auch im Deutschen Reich organisierten Arbeitergruppen von nun an am 1. Mai Kundgebungen und sogenannte Mai-Spaziergänge, auf denen sie mehr Arbeiterrechte forderten. Im Jahr 1890 beteiligten sich bereits rund 100.000 Menschen an den Demonstrationen. Die Fabrikbesitzer reagierten meist verärgert auf die Aktionen. Viele Arbeiter verloren wegen ihrer Teilnahme ihre Arbeitsstelle.

Vom "Blutmai" zu den Nazis

In den folgenden Jahren setzte sich der 1. Mai als Festtag der Arbeiterbewegung zunehmend durch, doch erst die Weimarer Nationalversammlung erklärte ihn erstmals deutschlandweit zum gesetzlichen Feiertag – allerdings nur für das Jahr 1919.

Am 1. Mai 1929 kam es in Berlin zu blutigen Auseinandersetzungen. Obwohl die Demonstrationen in der Stadt verboten waren, hatte die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu Kundgebungen und Aufmärschen aufgerufen. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Bei den Unruhen, die drei Tage dauerten, kamen rund 30 Menschen ums Leben. 200 Personen wurden verletzt, viele von ihnen schwer, und mehr als 1200 Menschen wurden verhaftet. Der Tag ging als "Blutmai" in die Geschichte ein.

Polizisten führen Demonstranten am 1. Mai 1929 in Berlin ab

Beim "Blutmai" 1929 in Berlin löste die Polizei eine Demonstration gewaltsam auf

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 bekam der 1. Mai eine neue, staatlich gelenkte Funktion. Die Nazis erklärten den 1. Mai 1933 zum "Tag der nationalen Arbeit" und vereinnahmten ihn für ihre eigene Propaganda. Auf einer Massenkundgebung in Berlin trat Adolf Hitler auf und beschwor die "deutsche Volksgemeinschaft“. Einen Tag später, am 2. Mai 1933, stürmten Schlägertrupps der SA und SS die Gewerkschaftshäuser und verhafteten die Funktionäre.

Ab 1934 bezeichneten die Nationalsozialisten den 1. Mai als "Nationalen Feiertag des deutschen Volkes". Von nun an ging es bei den Feierlichkeiten nicht mehr um die Rechte der Arbeiter, sondern um inszenierte Paraden und Aufmärsche, auf denen die Nazis ihr rassistisches Weltbild zur Schau stellten.

Der 1. Mai in der Bundesrepublik Deutschland

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das besiegte Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt: die US-amerikanische, die britische, die französische und die sowjetische Zone.

Alle vier Siegermächte erklärten den 1. Mai zum Feiertag. Doch in den verschiedenen Zonen wurde dieses Datum unterschiedlich begangen.

In den drei westlichen Zonen, der späteren Bundesrepublik Deutschland, nutzten die Gewerkschaften den 1. Mai für politische Kundgebungen, um auf ihre Forderungen für die Rechte der Arbeiter aufmerksam zu machen. Bis heute geschieht dies mit Demonstrationen, Konzerten und anderen kulturellen Veranstaltungen.

Seit den 1980er-Jahren kommt es neben den Großveranstaltungen der Gewerkschaften immer wieder auch zu gewaltsamen Ausschreitungen radikaler Gruppen. Vor allem in Berlin und Hamburg gehen am 1. Mai regelmäßig Autos in Flammen auf oder werden Polizisten mit Steinen beworfen.

Um dem entgegenzuwirken, versucht die Politik seit den frühen 2000er-Jahren mit gezielten Aktionen die Krawalle zum 1. Mai einzudämmen. So wurde zum Beispiel 2003 im Berliner Stadtteil Kreuzberg das Fest "Myfest" ins Leben gerufen. Mit Konzerten und anderen Aktionen für Familien sollen Krawalle und gewalttätige Ausschreitungen verhindert werden.

Am 1. Mai 2020 rief der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wegen der Corona-Pandemie erstmals in seiner Geschichte nicht zu Kundgebungen und Demonstrationen auf Straßen und Plätzen auf. Stattdessen wurde online unter dem Motto "Solidarisch ist man nicht alleine!" mit Streams und Videos auf die Rechte und Belange von Arbeitern aufmerksam gemacht.

Der "Tag der Arbeit" weltweit

In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde der 1. Mai staatlich organisiert und mit militärischen Paraden inszeniert. Der "Internationale Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus", wie er offiziell genannt wurde, war eine Pflichtveranstaltung, bei der die Arbeiter an Tribünen vorbeimarschierten, auf denen Parteifunktionäre und Ehrengäste standen.

Auch in den anderen sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas wurde der 1. Mai genutzt, um mit aufwändigen Paraden die Errungenschaften des Sozialismus' zur Schau zu stellen. Insbesondere auf dem Roten Platz in Moskau fanden jährlich Massenaufmärsche statt, in denen Soldaten und Arbeiterbrigaden an den Staatschefs vorbeizogen. Im Westen wurde immer wieder kritisiert, dass bei diesen Militärparaden auch Panzer, Raketen und andere Waffen präsentiert wurden.

Hinter einer marschierenden Menschenmenge in Moskau mit roten Fahnen hängt ein  riesiges Bild mit Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin

Parade zum 1. Mai 1987 in Moskau

Heute ist der "Tag der Arbeit" in vielen Ländern der Welt ein gesetzlicher Feiertag – etwa in Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Teilen der Schweiz sowie in vielen Staaten Afrikas, Südamerikas und Asiens. Die Franzosen begehen ihr "Fête du travail" (deutsch: Fest der Arbeit) am 1. Mai zusammen mit dem traditionellen Maiglöckchenfest, bei dem die Menschen Maiglöckchen als Symbol des Frühlings und als Glücksbringer verschenken. In Österreich fällt der 1. Mai traditionell mit dem Maifest im Prater zusammen, dem berühmten Vergnügungspark in Wien.

Das "Fest der Arbeit" wird aber nicht überall im Mai gefeiert. In den USA und Kanada wird der "Labor Day" beziehungsweise "Labour Day" am ersten Montag im September begangen. In Neuseeland und Teilen Australiens findet er im Oktober statt.

(Erstveröffentlichung 2022. Letzte Aktualisierung 20.04.2022)

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Quelle: WDR

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