Wien war das Bollwerk des Abendlandes während der türkischen Belagerung, prachtvolle Barockstadt unter Maria Theresia, Zentrum der k.u.k.-Monarchie (kaiserlich und königlich) und gefeierte Jugendstilmetropole.
Stephansdom: Glaubenspracht und Türkennot
Ein ordentlicher Stadtrundgang durch Wien kann gar nicht anderswo beginnen als vor dem Stephansdom. Mit seinem 137 Meter hohen Südturm – dem "Steffl", wie ihn die Wiener liebevoll nennen – dominiert er nicht nur die historische Innenstadt, sondern bekommt auch erst von der weit stadtauswärts gelegenen Donau City höhenmäßig Konkurrenz.
Die Anfänge des Stephansdoms gehen auf das Jahr 1137 zurück – und das ist auch aus einem zweiten Grund ein denkwürdiges Datum: 1137 wird Wien in einer Urkunde erstmals als Stadt ("civitas") bezeichnet.
Vom damaligen Kirchenbau ist allerdings nichts mehr übrig geblieben: Die heutige Gestalt des Stephansdoms stammt überwiegend aus der Gotik, erst 1433 wird der Südturm vollendet.
Zu dieser Zeit ist das Gässchengewirr der Wiener Innenstadt, wie man es noch heute kennt, schon fast komplett. Wien hat außerdem eine Universität und eine mittelalterliche Ringmauer, die die Stadt nach außen schützt.
Zweimal hat Wien diesen Schutz auch bitter nötig. 1526 und 1683 wird die Stadt von den Türken belagert – als Symbol der Christenheit und Tor nach Westeuropa reizt sie den Expansionsdrang des Osmanischen Reiches.
Beide Male kann sich Wien retten, doch beim zweiten Mal nicht aus eigener Kraft: Erst die alliierten christlichen Truppen unter dem polnischen König Sobieski schlagen das türkische Heer in die Flucht.
Im Nordturm des Stephansdoms hängt bis heute eine besonders schwergewichtige Erinnerung an diese Zeit: die so genannte Pummerin. Sie ist eine der größten Glocken der Welt und wurde aus den 300 Kanonen gegossen, die die Türken damals vor Wien zurücklassen mussten.
Mittelpunkt der Innenstadt: der Stephansdom
Hofburg: Barock und Absolutismus
Nur ein paar hundert Meter weiter südwestlich vom Stephansdom trifft man auf die gigantischen Anlagen der Wiener Hofburg, der königlich-kaiserlichen Residenz.
Karl VI., ein typisch barocker Bauherr und Mäzen, lässt bald nach der Türkenbelagerung die damals noch eher schlichten Gebäude zu einem wahren Palast ausbauen: Aus seiner Regentschaft stammen beispielsweise die Hofbibliothek und die Winterreitschule – dort finden noch heute die Vorstellungen der weltberühmten Lipizzaner-Hengste statt.
Seine Tochter Maria Theresia wird bald nach ihrem Amtsantritt im Jahr 1740 den österreichischen Staat modernisieren: Mit tief greifenden Verwaltungs- und Rechtsreformen macht sie aus der Monarchie einen zentral organisierten, absolutistischen Beamtenstaat – und beschert dessen Hauptstadt Wien so nicht zuletzt einen respektablen Zuwachs an Prunk und künstlerischer Strahlkraft. Während ihrer Regentschaft zieht zum Beispiel Mozart nach Wien, und auch das Burgtheater erlebt seine erste Blütezeit.
1805 scheinen die unbeschwerten Zeiten allerdings erst einmal vorbei zu sein: Napoleon rückt mit seinen Truppen in Wien ein, ein Jahr später zerbricht das Heilige Römische Reich deutscher Nation.
Doch mit dem Wiener Kongress, auf dem die europäischen Großmächte nach dem Sieg über Napoleon das Machtgefüge innerhalb Europas neu bestimmen, wird die Stadt während der Jahre 1814 und 1815 noch einmal zum diplomatischen Zentrum des Kontinents.
Und Wien wäre nicht Wien, wenn es dieser Zeit nicht sein ganz eigenes Gepräge gegeben hätte: Unter dem Motto "Der Kongress tanzt" schwelgt die Stadt in verschwenderischer Festivität. Hier nimmt auch der Siegeszug des Wiener Walzers – ursprünglich ein ganz und gar volkstümlicher Tanz – seinen Anfang.
Dieser Teil der Hofburg ist ein Anbau aus dem 19. Jahrhundert
Ringstraße: monarchischer Pomp und Industrialisierung
Gleichzeitig beginnt mit dem Kongress eine Zeit voller sozialer Spannungen. Wien industrialisiert sich in rasantem Tempo; auf politischer Ebene weiß das Polizei- und Spitzelsystem des Fürsten Metternich die Teilhabe des liberalen Bürgertums an der Macht erfolgreich zu verhindern.
Doch immerhin architektonisch vollzieht die Stadt den Bruch mit dem Mittelalter. Das sieht man am besten, wenn man von der Hofburg aus nur ein paar Meter weiterflaniert Richtung Heldenplatz: Mit den Bauten der Ringstraße, in Auftrag gegeben von Franz Joseph I., erhält Wien das Antlitz einer modernen Großstadt.
Ab 1857 lässt der Kaiser die Überreste der alten Stadtmauer schleifen und einen repräsentativ-bombastischen Boulevard anlegen, der heute das größte geschlossene Ensemble des Historismus in Europa darstellt.
Die Wiener Oper von 1869 ist im Stil der Neorenaissance erbaut, die Votivkirche (1879) im Stil der Neogotik, das Parlamentsgebäude (1884) im neoattischen Stil – ein Verweis auf die altathenische Demokratie.
Die Neubauten abseits der Ringstraße können allerdings nicht annähernd mit solcher Pracht aufwarten: Im 19. Jahrhundert hat Wien einen beispiellosen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen – zwischen 1857 und 1890 verdoppelt sich die Einwohnerzahl auf über 1,3 Millionen Menschen.
Die zumeist bettelarmen Zuwanderer aus Böhmen, Ungarn und Polen werden in schäbigen Mietskasernen zusammengepfercht.
Die Ringstraße um 1870
Secession: Die Kaffeehauskultur des Fin de siècle
Bevor man von der Ringstraße aus zum Secessions-Gebäude weiterspaziert, bietet sich ein kurzer Halt in einem Wiener Kaffeehaus an – zum Beispiel im "Hawelka" in der Dorotheergasse.
Kaffeehäuser sind eine Wiener Institution: Orte des gepflegten Müßiggangs, Orte ohne Hast und Zeitgefühl, wo man mit einer "Melange" (einem Kaffee mit aufgeschäumter Milch) und einem guten Buch den ganzen Tag vertrödeln kann.
Auch ihre Erfolgsgeschichte geht auf das späte 19. Jahrhundert zurück – kurioserweise auf die eifrige Aktivität der Wiener Zensurbeamten: Im Auftrag der Regierung studieren sie akribisch die in den Kaffeehäusern ausliegende liberal-regierungskritische Tagespresse – und werden so bald zu den besten Gästen.
Um das Jahr 1900 herum entwickeln sich die Kaffeehäuser außerdem zu Treffpunkten der jungen Künstlerszene. Maler wie Gustav Klimt oder Architekten wie Adolf Loos sehen im pompösen Stil des Historismus nur mehr den Ausdruck einer abgelebten, reaktionären Zeit. Stattdessen propagieren sie größere Naturnähe und Einfachheit.
1897 spalten sich schließlich einige Künstler vom Wiener Künstlerhaus ab und gründen einen neuen Kunstverein, die Secession. Steht man vor ihrem Gebäude – ein Hauptwerk des europäischen Jugendstils –, muss man nur den Blick Richtung Kuppel heben, um ihren Wahlspruch zu lesen: "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit."
Die Wiener nennen die Secession "Krauthappel" (Kohlkopf)
Karl-Marx-Hof: das rote Wien der 1920er
Um ein Gespür für das Wien der 1920er-Jahre zu bekommen, verlässt man am besten die Innenstadt und fährt weit nach draußen, in den 19. Bezirk. Dort steht ein Gigant von einem Wohnhaus, ein Stein gewordener Traum aller Sozialreformer dieser Zeit: der Karl-Marx-Hof.
Seit der Abdankung des Kaisers 1918 befindet sich die Wiener Stadtverwaltung fest in sozialdemokratischer Hand und ist bis heute für ihre ausgesprochen fortschrittliche Wohnungsbaupolitik berühmt. Der öffentlich finanzierte Karl-Marx-Hof soll Schluss machen mit den dunklen und klammen Arbeiterwohnungen der Jahrhundertwende.
Zwischen 1927 und 1932 entsteht so auf 150.000 Quadratmetern eine Art Stadt in der Stadt – mit 1325 Wohnungen für mehr als 5000 Bewohner, mit Wäschereien, Bädern, Kindergärten und Arztpraxen, mit einer Bibliothek und großzügigen Gartenflächen.
1934, während der Februaraufstände gegen den ein Jahr zuvor etablierten Ständestaat – die österreichische Spielart des Faschismus –, wird der Karl-Marx-Hof zum Zentrum des Widerstands.
Wenig später raubt ihm das Regime seinen revolutionär klingenden Namen und benennt ihn in "Heiligenstädter Hof" um. Seit 1945 trägt er wieder seinen alten Namen; in den 1980er-Jahren wird er umfassend saniert und ist heute ein beliebtes Wohnviertel.
Der Karl-Marx-Hof in Wien
Donau City: Wien ist mehr als nur Vergangenheit
Trotz seiner Randlage im Windschatten der Weltgeschichte hat Wien in den Jahren des Kalten Krieges einiges aus sich gemacht – besonders gut zu sehen im 22. Bezirk, wohin man am besten mit der U-Bahnlinie 1 gelangt.
Ab 1973 entstehen dort die Hochhäuser der UNO-City. Denn neben New York, Genf und Nairobi ist Wien einer von vier Amtssitzen der Vereinten Nationen und beherbergt unter anderem die Internationale Atomenergie-Behörde IAEO.
Seit den 1990ern wird das Areal mit weiteren Geschäfts- und Wohnhäusern zur sogenannten Donau City ausgebaut; Bauwerke wie der Andromeda- oder der Millenium-Tower stehen für einen vorsichtigen Flirt des geschichtsträchtigen Wien mit der Moderne.
Wobei auf der Rückfahrt in die heimelige Altstadt dem Betrachter schnell klar wird, warum die Stadtverwaltung solch baulichen Wagemut wohl in die Randbezirke verbannt hat: Im Herzen Wiens ist eigentlich alles so am schönsten, wie es schon immer war.
Denn trotz der quirligen Wiener Kunstszene, trotz des späten Beitritts zur Europäischen Union, trotz der Nähe zum sich rapide wandelnden Osteuropa: Nichts wäre unwienerischer, als zwanghaft modern sein zu wollen.
Donau-City: Wien ist in der Moderne angekommen
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 08.06.2021)
Quelle: WDR