Prostituierte mit D-Mark-Scheinen im Dekolleté

Prostitution

Prostitution in Deutschland – Von der Sittenwidrigkeit zur legalen Dienstleistung

Prostitution galt in Deutschland lange als sittenwidrig. Doch 2017 trat das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft – es soll das Selbstbestimmungsrecht von Prostituierten stärken und ihre Arbeitsbedingungen verbessern.

Von Natalie Muntermann und Tobias Aufmkolk

Bis zum 1. Januar 2002 galt die Prostitution in Deutschland als sittenwidrig. Sie war damit nicht ausdrücklich offiziell verboten, aber in der täglichen Praxis lief es de facto auf ein Verbot hinaus – nicht zuletzt wegen der vielen Restriktionen, mit denen die Branche konfrontiert war. Diese Duldung ist mit dem Inkrafttreten des sogenannten Prostitutionsgesetzes zu einer Legalisierung geworden. Aber auch das Prostitutionsgesetz hat seine Tücken.

1901: Prostitution ist sittenwidrig

Im Jahr 1901 entwickelte das Reichsgericht eine Formel für das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden". Die Prostitution wurde somit im Bürgerlichen Gesetzbuch, das damals zum ersten Mal Privatrecht für das gesamte Deutsche Reich definierte, als sittenwidrig erklärt.

Die bürgerliche Neuzeit hatte der Prostitution damit endgültig ihre legale Position in der Gesellschaft genommen. Es gab Sperrgebietsverordnungen, die die Lokalitäten der Prostituierten regelten. Das Strafgesetzbuch stellte die Förderung der Prostitution unter Strafe.

Straßenprostituierte steht in einer Tür

1901 wurde nicht nur die Straßenprostitution als sittenwidrig erklärt

Ein sittenwidriges Geschäft war laut Bürgerlichem Gesetzbuch nicht rechtskräftig. Das hatte zum einen zur Folge, dass Prostituierte weder Arbeitslosengeld bekommen noch sich offiziell sozialversichern konnten.

Zum anderen konnten Prostituierte ihr verabredetes Honorar nicht gerichtlich einklagen, falls der Freier nicht bezahlen wollte. Um die Rechte der Prostituierten war es schlecht bestellt.

1965: Prostitution im Geheimen

Im Jahr 1965 stufte ein Richterspruch Prostituierte sogar als Berufsverbrecher ein. Bordelle, Nachtclubs oder Callgirl-Agenturen konnten sich aufgrund der Sittenwidrigkeit ebenso wenig offiziell als Gewerbe anmelden.

Für Betreiber, die "ihr Unternehmen rechtschaffen führen, nicht in die Illegalität gedrängt, stattdessen legale Gewerberäume betreiben, sich dadurch aber nicht der Förderung der Prostitution strafbar machen wollten, war dieses Behördendurcheinander ein schwieriges Problem", so Marcel Feige im "Lexikon der Prostitution".

Da sich die Freier durch dieses Durcheinander nicht von ihrem Wunsch nach sexueller Dienstleistung abhalten ließen, fing die Branche mit der Verschleierung ihrer Dienstleistungen an. Eine Callgirl-Agentur zum Beispiel meldete ihr Gewerbe bei den Behörden offiziell als sittlich nicht zu beanstandende Modellagentur an.

Die Anbieter fanden auch Mittel und Wege, um ihre Dienstleistungen zu bewerben, obwohl sie das offiziell ja nicht durften, weil Werbung für Prostitution verboten war. Das Römerbad war kein Schwimmbad mit geregelten Öffnungszeiten, sondern ein FKK-Club. Und Pauline, "der naturerotische Mädchentyp", inserierte in der Zeitung, weil sie sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anbot und nicht, weil sie den Mann fürs Leben suchte.

Insider verstanden die Botschaften, und die anständigen Bundesbürger bekamen vom Sexgewerbe nichts mit, wenn sie sich nicht ausdrücklich dafür interessierten. Die Sexarbeiterinnen, wie sich die Prostituierten selbst nennen, und ihre Kunden trafen sich unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit, das Finanzamt bekam sein Geld, die Prostituierten aber keine Krankenversicherung.

Die Prostitution hatte sich im Laufe der Zeit verschlungene Pfade gebahnt, um der bundesdeutschen Sittenwidrigkeit aus dem Weg zu gehen.

2002: Prostitution wird als Beruf anerkannt

Seit Mitte der 1990er Jahre setzte ein Umdenken im Umgang mit der Prostitution ein. Im Jahr 1995 gelang es einer Prostituierten erstmals, das verabredete Honorar von einem Freier, der nicht zahlen wollte, gerichtlich einzuklagen.

Mit dem Urteil pflichtete das Gericht der Prostituierten bei, dass Prostitution ein Rechtsgeschäft ist, bei dem man seinen Lohn notfalls auch einklagen kann. Prostitution war nach dessen Ansicht also nicht sittenwidrig. Hurenrechtler, wie sich die Anwälte der Prostituierten selber nannten, und Prostituiertenverbände sahen sich ihrem Ziel einen ersten Schritt näher: der Anerkennung von Sexarbeit als Beruf.

Zum 1. Januar 2002 zog die Bundespolitik nach: Das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten", kurz Prostitutionsgesetz, trat in Kraft. Jedoch nicht ohne Probleme. Um es überhaupt auf den Weg zu bringen, hatte die rot-grüne Regierung das Gesetz so abgespeckt, dass die christdemokratische Mehrheit im Bundesrat nicht zustimmen musste.

Rein theoretisch ist die Prostitution seitdem als legale Erwerbstätigkeit anerkannt: Prostituierte können sich nun zum Beispiel als Selbstständige bei den Behörden anmelden und sozialversichern. Eine Prostituierte untersteht darüber hinaus nicht dem Weisungsrecht ihres Arbeitgebers, das heißt, dass sie laut Gesetz selbst entscheiden darf, ob sie gewisse Kunden oder Sexualpraktiken ablehnt.

Betreiber eines Bordells oder Zuhälter machen sich außerdem nicht mehr strafbar, nur auf Grund der Tatsache, dass sie für Prostituierte sichere Arbeitsbedingungen schaffen.

Sexworker demonstrieren im Juni 2016 vor dem Bundestag gegen das Prostituiertenschutzgesetz. Auf ihrem Banner steht: Zwangsregistrierung nicht mit uns!

2016 demonstrierten Mitarbeiter aus dem Sexgewerbe gegen das Prostituiertenschutzgesetz

Praktisch gesehen schafft das Gesetz jedoch keine klare Grundlage zum Umgang mit der Prostitution. "So kommt es", resümiert Marcel Feige im Lexikon der Prostitution, "dass die Bundesländer das Gesetz unterschiedlich handhaben, Behörden es variierend auslegen, Rechtssicherheiten auf allen Seiten fehlen und nicht zuletzt andere, die Prostitution berührende Gesetze (Sperrgebietsverordnung, Gaststättengesetz, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten), vom Prostitutionsgesetz ausgenommen sind".

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes scheiden sich die Geister, ob das Gesetz sinnvoll ist oder nicht. Jutta Geißler-Hehlke, die in der Dortmunder Mitternachtsmission Prostituierte betreut, befürwortet das Gesetz als zumindest ersten Schritt in die richtige Richtung:

"Der Paragraphen-Dschungel ist seitdem zwar nicht wirklich entwirrt, aber in unseren Beratungssprechstunden merken wir, dass auch langsam ein Umdenken in den Köpfen der Prostituierten stattfindet: Sie trauen sich langsam aber sicher aus der Anonymität und dem Doppelleben heraus, das sie ja über Jahrzehnte führen mussten."

Mit dem Prostitutionsgesetz ist dennoch ein Paradigmenwechsel vollzogen worden: Die Bundespolitik geht nicht länger davon aus, dass das Thema Prostitution ein Tabu ist, sondern eine legale Dienstleistung.

Vor dem Bundestagsgebäude demonstrieren Mitarbeiter aus dem Sexgewerbe gegen das Prostituiertenschutzgesetz. Auf ihrem Banner steht: Nein zu Gewalt an Huren!

Protest von Sexworkern im Juni 2016

Im Juli 2017 trat außerdem das so genannte Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das offiziell "Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen" heißt.

Ziel des Gesetzes ist laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, "das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Prostituierten zu stärken, die Arbeitsbedingungen der in der legalen Prostitution Tätigen zu verbessern und Kriminalität aus dem Bereich der Prostitution zu verdrängen."

(Erstveröffentlichung: 2005. Letzte Aktualisierung: 27.11.2018)

Quelle: WDR

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