Trauerrituale haben sich gewandelt

01:57 Min. Verfügbar bis 03.11.2026

Trauer

Trauerwege

Wer trauert, fällt aus dem Rahmen. Für den Alltag und die üblichen Kontakte haben Trauernde oft keine Kraft. Fast jede Kultur hält deshalb für sie Bräuche und Regeln bereit. Sie signalisieren den Mitmenschen: Hier lebt jemand in einer besonderen Gefühlswelt – die gilt es zu achten.

Von Jürgen Dreyer und Beate Krol

Trauerkleidung

Die gesellschaftliche Sonderstellung der Trauernden fängt bei der Kleidung an. Bei uns trägt die Witwe schwarz, im alten Ägypten war die Trauerfarbe gelb, in Japan geht man in Weiß und auf Bali sind die Kleider der Weinenden bunt. Viele Naturvölker wechseln zu Beginn ihrer Trauer die Körperbemalung.

Trauernde Juden haben oft einen Riss im Stoff ihrer Oberbekleidung, gut sichtbar im Halsbereich. Dieser Brauch geht zurück auf wesentlich drastischere Maßnahmen biblischer Vorfahren: Im Alten Testament zerrissen Menschen, wenn sie vom Tod eines nahen Angehörigen erfuhren, ihre Kleider, legten ein grobes Gewand an, schütteten sich Asche auf ihr Haupt und setzten sich in den Staub. Daher stammt die Wendung "in Sack und Asche gehen".

Über den frommen Juden Hiob steht geschrieben, dass er sich sogar mit einer Scherbe ritzte. Selbstverletzungen als äußeres Zeichen von Trauer gibt es immer noch, vor allem bei Naturvölkern in Australien und in Nord- und Südamerika.

Im deutschsprachigen Raum konnte man lange Zeit an der Kleidung der Witwe erkennen, wie weit der Todesfall zurücklag. War sie nicht mehr völlig in Schwarz gekleidet, sondern trug sie zum Beispiel einen weißen Kragen, dann "trauerte sie ab". Ihr Trauerjahr war fast vorbei.

Trauerzeit

Witwen und Witwer sollen ein Jahr um ihren Ehepartner trauern – dieser Restbestand an gemeinsamer Trauerkultur ist in unserem Kulturkreis noch verbreitet. Das Trauerjahr gab es schon im antiken Römischen Reich, allerdings nur für Witwen. Für alle anderen betrug die offizielle Trauerzeit nur neun Tage.

Nach einer angeblichen Verordnung des sagenhaften römischen Königs Numa Pompilius aus dem 8. Jahrhundert vor Christus durften Kinder unter drei Jahren gar nicht betrauert werden, ältere nicht länger als zehn Monate.

Mehrere Grabreihen auf einem Friedhof. Auf den Gräbern sind Blumen gepflanzt.

Blumen auf Gräbern verwelken mit der Zeit

Kürzer war die Trauerzeit bei den Navajo-Indianern: Nach vier Tagen wurde weder die Trauer noch das Gespräch über den Verstorbenen geduldet. Man vermutet, dass diese strikte Regel in der Angst vor dem Toten begründet ist.

Im Judentum ist die Trauerzeit unterteilt: Drei Tage sind für das Weinen da, sieben für das Klagen, 30 für die Trauer. Ein ganzes Trauerjahr ist nicht den Witwen, sondern allein trauernden Eltern vorbehalten.

Trauerkontakte

In den ersten sieben Tagen nach der Beerdigung sollen jüdische Trauernde nicht arbeiten, sich nicht mehr als unbedingt nötig waschen, weder Nägel noch Haare schneiden, keine Kleidung wechseln, auf Schmuck und Sex verzichten und vor allem zu Hause bleiben.

Die erste Mahlzeit nach dem Begräbnis wird ihnen von Verwandten gereicht und in der Trauerwoche bekommen sie viel Besuch. Die Trauernden grüßen nicht und dem Besuch ist es verboten, das Gespräch zu beginnen. Als der schon oben erwähnte Hiob trauerte, kamen seine drei Freunde und saßen sieben Tage und Nächte schweigend bei ihm auf der Erde, bevor Hiob mit ihnen ein Gespräch begann.

Waldweg mit Sonnenuntergang

Jeder geht seinen eigenen Trauerweg

Dieser zunächst merkwürdig anmutende Brauch hat den unschätzbaren Vorteil, dass Trauernden kein Gespräch aufgedrängt werden kann, weder von gutmeinenden Freunden, die mit Alltagsgeplauder vom Schmerz ablenken wollen, noch von selbsternannten Seelsorgern, die "Tröstliches" zu verkünden haben.

Die Trauernden bestimmen selbst Stimmung und Richtung der Gespräche, weil sie am besten wissen, ob ihnen Ablenkung oder Aushalten des Verlustes gut tut.

Der Brauch, dass Trauernde ihr Haus nicht verlassen, hat allerdings nicht in allen Kulturen einen so fürsorglichen Hintergrund. Bei den südamerikanischen Araucaner-Indianern werden Witwen für ein ganzes Jahr isoliert, weil man die Toten fürchtet und sie in der Nähe ihrer Angehörigen glaubt.

Trauermodelle

Weil die Trauer so individuell ausfällt, ist die Trauerforschung von der Vorstellung abgerückt, dass Hinterbliebene bestimmte Trauerphasen durchlaufen. Diese noch immer sehr verbreiteten Phasenmodelle gehen davon aus, dass ein Hinterbliebener erst schockiert ist, dann ein Gefühlschaos erlebt, anschließend sucht er den Verstorbenen und hält mit ihm Zwiesprache. Schließlich wendet er sich in der vierten Phase wieder dem Alltag zu.

Zwar treten einzelne Elemente der Phasenmodelle bei vielen Trauernden auf, eine Gesetzmäßigkeit lässt sich empirisch jedoch nicht nachweisen. Das aus Sicht der empirischen Trauerforschung stimmigere Modell ist das "Duale Prozessmodell". Es besagt, dass trauernde Menschen zwei parallele Prozesse durchlaufen: Auf der einen Seite beschäftigen sie sich mit dem Verlust und schauen zurück in die Vergangenheit, als der geliebte Mensch noch lebte.

Auf der anderen Seite entwerfen sie ein neues Leben ohne die geliebte Person und wenden sich damit der Gegenwart und Zukunft zu. Meist wechseln Hinterbliebene mehrfach am Tag zwischen beiden Polen hin und her, was eine der Ursachen dafür ist, dass die Trauer so anstrengend ist.

Neue Traueröffentlichkeit

Mit dem Verschwinden der meisten Trauerbräuche kommt die Trauer inzwischen seltener in der Öffentlichkeit vor. Doch im Internet kehrt sie zurück: "Virtuelle Friedhöfe" sind Gedenkstätten, in denen Menschen Lebensdaten, Fotos und Erinnerungen jeglicher Art von dem Menschen, um den sie trauern, ins Netz stellen. Man kann den Trauernden vorgefertigte Beileidskarten mailen.

Außerdem bietet das Internet zahlreiche Trauerforen, die zum Beispiel Eltern zusammenführen, deren Kind gestorben ist. Für außergewöhnliche Krisensituationen, die man mit anderen Betroffenen besprechen möchte, erweist sich das Internet als ideal.

(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 29.10.2020)

Quelle: WDR/SWR

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