IRA
Michael Collins – Stratege des Terrorismus
Für die Briten war Michael Collins der meistgesuchte irische Terrorist – für die Iren ist er bis heute ein Nationalheld. Als Stratege im Untergrund baute er die Irisch-Republikanische Armee (IRA) mit auf. 1922 wurde er aus einem Hinterhalt erschossen.
Von Beatrix von Kalben
Rastloses Gemüt
Michael Collins (irisch: Micheál Ó Coileáin) wurde am 18. Oktober 1890 im südirischen Clonakilty als jüngstes von acht Kindern geboren. Sein damals 75-jähriger Vater war Farmer.
Michael wuchs mit einem engen Familienzusammenhalt auf. In der Grundschule bescheinigte Rektor Denis Lyons dem rechnerisch begabten und aufmerksamen Jungen ein "großes Interesse an politischen Fragen mit einer überdurchschnittlichen Anteilnahme an den das Wohl seines Landes betreffenden Dingen".
Aber auch eine "Rastlosigkeit des Gemüts" beobachtete der Rektor an seinem Schüler. Diese lebte Michael Collins bei sportlichen Betätigungen jeder Art aus – vor allem bei bei spontanen Ringkämpfen und beim Gaelic Football, einer irischen Fußballvariante.
Seine Freunde erlebten den Charakter des hochgewachsenen dunkelhaarigen Mannes als widersprüchlich: Zum einen wird er als heiterer junger Mann beschrieben, der stets zu einem Schabernack aufgelegt war. Warmherzig, nachdenklich und großzügig sind weitere überlieferte Eigenschaften.
Zum anderen wird von Gedankenlosigkeit, Selbstsucht und einem tyrannischen Verhalten Unterlegenen gegenüber berichtet.
Außenposten der Nation
Nach der Schule schlug Michael Collins eine Laufbahn im Staatsdienst ein. Er zog mit knapp 16 Jahren nach London und trat eine Stellung bei der staatlichen Postsparkasse "Post Office Savings Bank" an.
Ab 1910 arbeitete er vier Jahre bei einem Börsenmakler, um dann bis 1915 als Sachbearbeiter bei der staatlichen Arbeitsvermittlung in Whitehall Dienst zu tun. Zuletzt profilierte sich der ehrgeizige Collins bis zu seiner Rückkehr nach Irland 1916 im Finanzwesen als Angestellter bei der Londoner Filiale der Guarantee Trust Company of New York.
In die britische Gesellschaft hatte sich Michael Collins ebenso wie seine irischen Freunde nie integriert. "Wir betrachteten uns als Außenposten der Nation", gab er seinem Biographen Hayden Talbot zu Protokoll. Und: "Wir waren stolz auf unsere Isolation und behielten sie bis zum Schluss aufrecht."
Umso intensiver beteiligte sich der junge Ire an den Aktivitäten seiner Landsleute. So sammelte er beispielsweise 1907 eifrig Geld zur Unterstützung der 1905 von seinem Idol Arthur Griffith gegründeten Sinn Féin. Die neue Partei hatte die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien zum Ziel.
Collins hielt bei Versammlungen als aktives Parteimitglied radikale Vorträge. So forderte er die Abschaffung des Klerus und warf England vor, die große Hungersnot von 1847 absichtlich herbeigeführt zu haben.
1909 trat Michael Collins der Irish Republican Brotherhood (IRB) bei und wurde später Schatzmeister des Bezirks Südengland. Als eine Art Vorläufer der späteren Irish Republican Army (IRA) kämpfte die IRB für die nationale Freiheit Irlands in Form einer unabhängigen Republik.
Zu diesem Zeitpunkt entfernte sich Collins vom Sinn-Féin-Prinzip der Gewaltlosigkeit. Für ihn ließ sich die irische Frage nur noch mit Gewalt lösen.
Liam Neeson als Michael Collins
Vom Osteraufstand in die Gefangenschaft
Als die IRB gemeinsam mit der Irish Volunteer Force (IVF) einen Aufstand in Irland gegen die britische Herrschaft plante, kehrte Michael Collins 1916 nach Irland zurück.
Am Ostersonntag, dem 24. April 1916, wollten die Rebellen die Irische Republik ausrufen. Die Engländer schlugen die als Osteraufstand in die Geschichte eingegangene Revolte blutig nieder.
Collins wurde mit rund 1800 weiteren Iren inhaftiert. Aus der Gefangenschaft im nordwalisischen Lager Frongoch analysierte Collins das Scheitern des Aufstandes: Es sei töricht gewesen, sich der Streitmacht der Briten in direkter Konfrontation entgegenzustellen und die Kräfte nur auf ein Gebiet zu konzentrieren. Bei der nächsten Gelegenheit müsse man breiter gefächert vorgehen.
Britische Truppen schlugen den Osteraufstand nieder
Terrormethoden eines Geheimdienstchefs
Direkt nach seiner Entlassung aus Frongoch Ende Dezember 1916 ging Collins als Schatzmeister zur Dubliner Wohlfahrtsorganisation Irish National Aid and Volunteers, die die irischen Rebellen und ihre Familien finanziell unterstützte. Viel Energie setzte er in die effizientere Organisation der IRB und der IVF.
1919 benannte sich letztere in Irish Republican Army (IRA) um. Michael Collins setzte innerhalb der IRA den Aufbau eines Geheimdienstes fort, den er bereits mit der Irish Volunteer Force begonnen hatte.
Als Finanzminister der – von den Briten verbotenen – provisorischen irischen Regierung war es Collins' Hauptaufgabe, Geld für den Kampf um Irlands Unabhängigkeit zu organisieren. Ebenfalls von England verbotene irische Staatsanleihen waren das Mittel der Wahl.
Die Art und Weise, wie Collins in der irischen Bevölkerung für diese Anleihen warb, steht beispielhaft für die Methoden, derer sich der IRA-Mann bediente.
Collins ließ zunächst einen Werbefilm für die Anleihen drehen. Mit diesem stürmten bewaffnete IRA-Einheiten die Kinos in Irland. Die Filmvorführer wurden unter vorgehaltener Waffe gezwungen, den Film zu zeigen. Collins' Ansicht nach war Terror das einzig wirksame Mittel gegen das britische Empire.
Er setzte zum einen den IRA-Geheimdienst auf strategisch wichtige englische Staatsmänner an und ließ sie ermorden. Zum anderen hielt er auch willkürlichen Terror für nützlich: IRA-Leute erschossen auf Collins' Anweisung wahllos Polizisten – einfach, weil sie England repräsentierten.
Besondere Abscheu in der Bevölkerung rief der Mord an Constable Mulhern in Cork hervor. Er wurde 1920 während der Sonntagsmesse in der katholischen Kirche erschossen.
Sein Verhängnis: zu ungelenk auf politischem Parkett
Sinn-Féin-Gründer Arthur Griffith bezeichnete Michael Collins als den "Mann, der den Krieg gewonnen hat", womit er den anglo-irischen Krieg von 1919 bis 1921 meinte.
Tatsächlich hatte Michael Collins als Organisationsleiter der Irish Volunteers und als Geheimdienstchef der IRA mit Guerillataktiken die britische Regierung dazu gebracht, der irischen Unabhängigkeitsbewegung ein Waffenstillstandsangebot zu unterbreiten.
Auch leitete er die irische Delegation, die mit dem damaligen englischen Kriegsminister Winston Churchill um Irlands Freiheit verhandelte.
Am 6. Dezember 1921 schließlich unterschrieb Michael Collins den anglo-irischen Vertrag, der die Teilung Irlands in den unabhängigen irischen Freistaat im Süden und das weiterhin zum Vereinigten Königreich Großbritannien gehörende Nordirland besiegelte.
Seine Unterschrift kommentierte Collins mit den Worten: "Ich habe womöglich mein tatsächliches Todesurteil unterschrieben."
Michael Collins war bei seinen Anhängern beliebt wegen seines charismatischen Auftretens, doch er war kein politischer Führer. Vielmehr blickte Collins mit Verachtung auf jene, die Irlands Unabhängigkeit auf politischem Wege erreichen wollen. Als Organisationstalent und Stratege vermochte er effizient aus dem Untergrund heraus zu agieren.
Doch seine Unfähigkeit, sich im politischen Machtgerangel zu behaupten, wurde ihm zum Verhängnis. Sein Weggefährte Eamon de Valera – der vom irischen Parlament Dáil Éireann gewählte Regierungschef – nahm ihm zeitweise übel, eine höhere Popularität und Achtung bei der irischen Bevölkerung zu genießen als er selbst.
Irlands Staatspräsident Éamon de Valera (1959-1973)
Nicht wenige politische Genossen warfen Michael Collins vor, er habe mit der Unterschrift unter den Anglo-Irischen Vertrag keine Einigung erzielt, sondern Irland verraten.
Am 12. August 1922 starb der Sinn-Féin-Gründer Arthur Griffith, und bei dessen Beerdigung wurde Collins von Bischof Fogarty gewarnt: "Michael, Sie sollten vorbereitet sein – Sie könnten der Nächste sein."
Tatsächlich starb Collins nur wenige Tage danach. Am 22. August 1922 geriet sein Wagen in West Cork in einen Hinterhalt. 40 Minuten dauerte die Schießerei, dann traf eine Kugel Collins hinter dem rechten Ohr. Collins war tot. Er wurde am 28. August 1922 in der Stadt Glasnevin begraben.
(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 12.06.2020)
Quelle: WDR