Der Seehandel beflügelt die Börsen
Die belgischen und niederländischen Städte Brügge, Antwerpen und Amsterdam lösten seit dem späten 15. Jahrhundert die italienischen Städte Venedig, Genua und Florenz als führende Handelszentren ab. Deren börsenähnliche Handelszentren waren zum Teil schon im 12. Jahrhundert entstanden. Allerdings wurden dort damals noch keine Unternehmensanteile gehandelt.
Das geschah erst mit dem Aufstieg der niederländischen Kolonialhandelsgesellschaft "Vereinigte Ostindien-Kompanie" (VOC), die die erste Aktie der Welt verkaufte.
Der Anteilsschein wurde ab 1606 in den Niederlanden gehandelt. Das Handelsgeschäft hatte sich an die niederländische Küste verlagert, nachdem die atlantische Seeschifffahrt und der dazugehörige Handel an Bedeutung gewonnen hatten.
Die Entdeckungen und Besetzungen in Übersee beflügelten Transport und weltweiten Handel. Gehandelt wurden an den Börsen vor allem Währungen (Sorten), Wechsel und Schuldurkunden wie etwa Hof- und Königsbriefe. Aber auch Massengüter wie Pfeffer, Getreide und die verschiedenen Rohstoffe waren begehrte Spekulationsobjekte.
Die Börse lockt Spekulanten
Noch heute unterscheidet man zwischen Waren-, Devisen- und Wertpapierbörsen. Vor allem nach der Industrialisierung in Europa und in Nordamerika und nach der Gründung von Aktienbanken gewannen die Wertpapierbörsen ab etwa 1750 immens an Bedeutung. Durch viele Anteilseigner wurden Großprojekte nun finanzierbar. Auch Warentermingeschäfte nahmen zu.
Es wurden Waren gehandelt, die noch gar nicht erzeugt oder abgebaut waren, zum Beispiel Rohstoffe oder landwirtschaftliche Güter. Ein Mastbetrieb konnte sich zum Beispiel frühzeitig zu einem festen Preis mit Getreide eindecken, das noch gar nicht geerntet war. Der Mastbetreiber war damit gegen Preisschwankungen bis zur Ernte gefeit und konnte besser kalkulieren.
Aber auch Spekulanten wurden angelockt: Sie versuchten, den Wert einer Ware im Voraus abzuschätzen und beeinflussten durch gezielte An- und Verkäufe deren Aktienkurse. Manipulationen, Veruntreuungen und die Gründung von Scheinfirmen waren schon früh Begleiterscheinungen der Börse.
Aus der Frühzeit der holländischen Börsen ist der Betrug einer Firma überliefert, die ihren Anlegern den Bau eines "Perpetuum Mobile" versprach – also einer Konstruktion, die ewig in Bewegung bleiben sollte.
Ab 1896 verbot ein Börsengesetz im Deutschen Reich den Terminhandel für bestimmte Wirtschaftssegmente, etwa für Getreide.
Unternehmerische Großprojekte
Über den Börsenmarkt können Unternehmen das Geld von Anlegern (Investoren) einsammeln, um unternehmerische Großvorhaben zu verwirklichen. Den An- und Verkauf von Aktien an der Börse betreiben die Wertpapierhändler (Broker). Die Abwicklung (Durchführung) übernehmen Banken und Makler.
Ein klassisches Beispiel ist der Bau von Eisenbahnen in den USA. Einzelleute hätten kaum das Geld gehabt, um ein Streckennetz, ausreichend Lokomotiven und Waggons sowie Zugpersonal zu finanzieren. Also gründeten sie eine Aktiengesellschaft (AG).
Die Geldgeber erwarben Anteile am Unternehmen, die Aktien. In Eigentümerversammlungen (Hauptversammlungen) durften sie über die Unternehmensführung mitentscheiden. Das ist auch heute noch so – Aktienbesitzer sind stimmberechtigt. Die Inhaber von anderen Wertpapieren dürfen nicht mitstimmen.
Die Börse ist konjunkturabhängig
Anteilsscheine werden an der Börse ständig gehandelt. Ihre Preise (Kurse) schwanken laufend und hängen vor allem von den erwarteten Gewinnen ab.
Zurück zum Beispiel der amerikanischen Eisenbahn: Läuft das Geschäft der Eisenbahngesellschaft gut und sprudeln die Gewinne, steigt der Kurs. Werden hingegen permanent Züge überfallen oder Gleise von Banditen gesprengt, sinkt er. Denn damit steigen die Kosten des Unternehmens.
Findet ein Börsenaufschwung innerhalb ganzer Branchen oder im Gesamtmarkt statt, handelt es sich um eine sogenannte "Hausse" (französisch: Anstieg, dargestellt durch einen Stier). Das Gegenteil, das Sinken der Wertpapierkurse, heißt "Baisse" (französisch: Senke, dargestellt durch einen Bären).
Der Bär steht für Baisse, der Stier für Hausse
Auch Psychologie und Marktumfeld können Kurse bewegen. Ist die wirtschaftliche Gesamtentwicklung (Konjunktur) negativ oder geht es einer ganzen Branche schlecht, belastet dies die Aktienkurse. Oft reichen schon Gerüchte und die bloßen Ankündigungen von Firmengewinnen oder -verlusten, um die Aktienkurse der jeweiligen Unternehmen zu bewegen.
Zwischen Kaufhysterie und Verkaufspanik
Manchmal geht es an der Börse turbulent zu: 1999 war am Neuen Markt, der deutschen Technologiebörse in Frankfurt am Main, eine blinde Kaufhysterie ausgebrochen. Anleger orderten (zeichneten) damals Aktien von Unternehmen, deren Geschäft sie gar nicht kannten oder verstanden.
Ein riskantes Unterfangen, da viele junge Firmen schnell wieder vom Markt verschwanden. Die Dotcom-Blase platzte im Jahr 2000.
In Krisenzeiten – etwa beim "Schwarzen Freitag" 1929 in den USA – werden Aktien wiederum panikartig verkauft, selbst wenn das Unternehmen solide ist.
Der "Schwarze Freitag" löste 1929 eine Weltwirtschaftskrise aus
Kurse können aber genauso steigen, weil viele Anleger einfach nur Geld anlegen wollen. Ein Beispiel sind Aktienfonds, also von Finanzprofis gemanagte Aktienbestände, an denen jeder Anteile erwerben kann. Die Verwalter solcher Aktienfonds haben die Aufgabe, das gesammelte Geld der Fondskäufer sinnvoll zu investieren.
Wer in einen Fond investiert, in dem viel Geld steckt, kann den Wert einer Aktie enorm steigern. Entsprechend fallen die Kurse aber auch, wenn gleichzeitig viele Aktionäre "aus dem Markt gehen". Zum Beispiel dann, wenn sie Geld brauchen, weil ihnen die Bank wegen gesunkener Aktienkurse den Wertpapierkredit kündigt oder kürzt.
Gewinnausschüttung für Aktionäre
Macht ein Unternehmen Profit, schüttet es meist für das vergangene Jahr eine Gewinnbeteiligung an die Aktionäre aus: die Dividende. Unternehmen, die noch jung sind, erzielen oft noch keine oder nur geringe Gewinne. Sie müssen erst in Infrastruktur (etwa Gebäude und technische Ausrüstung) und Wachstum investieren.
Ist das an der Börse eingesammelte Kapital aufgezehrt und erhält das Unternehmen von keiner Bank neues Geld, ist die Aktiengesellschaft zahlungsunfähig (insolvent). Neue Aktien an der Börse zu verkaufen (emittieren) und dadurch Geld einzunehmen, ist dann meist nicht mehr möglich. Denn wer will schon Geld in ein marodes Unternehmen stecken?
Gibt es keine Rettung durch eine Übernahme, ist die AG pleite. Die Aktie ist dann wertlos. So sind bereits viele junge Firmen wieder vom Kurszettel des Neuen Marktes verschwunden. Und auch die erste Aktiengesellschaft der Welt, die VOC, gibt es schon lange nicht mehr: Sie ging 1799 pleite.
(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 20.07.2018)
Quelle: WDR