Porträtaufnahme von Dr. Mark Niehoff.

Methoden der Archäologie

Interview: Provenienzforschung

Die Biografie eines Kunstwerks zu entschlüsseln, hat mehr mit Sherlock Holmes zu tun als mit Indiana Jones. Im Interview erzählt der Provenienzforscher Dr. Mark Niehoff von seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kunstabteilung des Zeppelin Museums Friedrichshafen.

Von Andrea Wieland

Was ist die wichtigste Frage für den Provenienzforscher?

Das kann ich am besten über den zeitgeschichtlichen Zusammenhang erklären. Die NS-Zeit ist wohl jedem ein Begriff. Die meisten wissen von den schrecklichen Verbrechen. Von Diebstahl und Raub an dem Besitz der Juden hierzulande und auch in anderen Ländern während des Zweiten Weltkrieges. Das ist der springende Punkt in der Provenienzforschung: die Zeit zwischen 1933 und 1945.

Im Jahr 1998 hatte die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit 44 anderen Staaten die "Washingtoner Erklärung" unterschrieben – werden seitdem Provenienzlücken schneller geschlossen?

Vorher gab es nur eine moralische Verpflichtung. Das war eher schwammig. Seit 1998 hat sich Deutschland in der "Washingtoner Erklärung" verpflichtet, die Sammlungen der Museen durchzugehen. Nicht nur das Bekannte, sondern aktiv auf die Suche nach geraubter Kunst zu gehen.

Diese Suche kostet Geld. Wie finanzieren Museen einen Provenienzforscher?

Es gibt zum Beispiel das Zentrum für Kulturgutverluste, das Provenienzprojekte fördert. In unserem Haus wurde dank dieser Stiftung für zwei Jahre eine Vollzeitstelle geschaffen. Normalerweise wäre es für ein Museum schwierig, eine solche Stelle aus dem bestehenden Etat zu finanzieren.

Was konnte dank der personellen Unterstützung entschlüsselt werden?

Aus den insgesamt 4000 Objekten haben Fanny Stoye und Sabine Mücke die Objekte ausgeklammert, die nach 1945 entstanden. Außerdem alle Druckgrafiken. Diese werden in der Regel nicht erforscht, da sie teilweise hundertfach gedruckt wurden. Hier den Ursprung zu finden, ist so gut wie aussichtslos.

Übrig blieben etwa 400 Objekte. Die Dauerausstellung "Eigentum verpflichtet" zeigt die Ergebnisse. Darin werden auch die zwei Stränge der Provenienzforschung gezeigt: zum einen die Archivarbeit, zum anderen die Arbeit am Objekt. Was ist beispielsweise auf der Rückseite eines Bildes zu sehen? Aufkleber, Aufschriften, Zollstempel – das alles können Hinweise auf den Besitzer sein.

Ein Bilderrahmen hängt im Museum von der Decke. Zu sehen ist die Rückseite.

Auf der Rückseite eines Bildes finden sich häufig Hinweise auf den Besitzer

Haben Sie ein Beispiel?

Auf dem Ölgemälde "Blumenstrauß" von Otto Dix fanden wir eine Nummer, die uns zu einer Galerie führte. Otto Dix hatte das Bild für seine Frau zur Geburt des ersten Kindes gemalt, aber es ein paar Jahre später an die Galerie verkauft.

Weiter konnten wir feststellen, dass der jüdische Rechtsanwalt Max Strauß es gekauft hatte. Strauß ist 1933 aus Deutschland geflohen. Zuvor, 1928, hatte er das Dix-Gemälde der Nationalgalerie in Berlin geliehen.

Aber wie ging es weiter? Hatte er das Bild kurz vor seiner Flucht verkauft? Oder war es in den Dreißigern schon gar nicht mehr in seinem Besitz? Es ist eine kleinteilige Detektivarbeit. Wir nennen es den "biografischen Ansatz".

Führte der "biografische Ansatz" zu weiteren Spuren?

Leider findet man häufig gar nichts. Um unsere Arbeit auch für den Besucher besser sichtbar zu machen, haben wir ein Ampelsystem eingeführt. Grün steht für unbedenklich. Gelb für eine Provenienz mit Lücken. Rot steht für verfolgungsbedingt entzogen, so der offizielle Begriff für Nazi-Raub.

Es war kein Kunstwerk dabei, das mit rot gekennzeichnet wurde. Zwei sind orange. Das bedeutet: Es gibt einen starken Verdacht für einen verfolgungsbedingten Entzug. Dazu gehört übrigens auch das Bild von Otto Dix. Die Mehrzahl der Werke haben einen gelben Punkt.

Ist das nicht frustrierend?

Von solchen Rückschlägen darf man sich nicht abhalten lassen. Oft wurde versucht, die Herkunft zu verschleiern. Spuren wurden entfernt, das Bild neu gerahmt. Das macht es oft unmöglich, die Herkunft zu entschlüsseln.

Trotzdem gehen wir immer neuen Hinweise nach. Wir könnten ja auch sagen, wir sind fein raus. Das ursprüngliche Museum in Friedrichshafen wurde im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört. Aufgebaut wurde die Sammlung ab 1950, das Museum wurde dann 1957 wiedereröffnet.

Damals gab es keinen hauptamtlichen Museumsleiter. Die Ankäufe von Bildern liefen über den Schreibtisch des Bürgermeisters. In Häusern mit älteren Sammlungen werden natürlich zuerst die Ankäufe der NS-Zeit untersucht. Wir untersuchen die Ankäufe der Nachkriegszeit und gehen einen ganz neuen Weg über die Kunsthändler und deren Netzwerke.

Also weg vom Objekt, hin zu den Händen, durch die das Bild gegangen ist?

Ja, einige unserer Objekte führten uns so zu einem Namen: Benno Griebert. Griebert war ein Kunsthändler aus Meersburg. Direkt nach dem Studium prüfte er während des NS-Regimes in der Reichskammer der bildenden Künste Bilder auf Systemkonformität, danach arbeitete er in der Nationalgalerie in Berlin.

An diese Kontakte konnte er nach dem Krieg anknüpfen. Er eröffnete eine Galerie in Meersburg. So kam unser Museum mit ihm in Kontakt. Wieder eine Spur, der wir nachgehen werden.

Die Biografie eines Kunstwerks herauszufinden, dafür braucht es viel Recherche in Archiven, Bibliotheken, bei anderen Museen. Es ist "work in progress".

Quelle: SWR | Stand: 25.11.2020, 18:00 Uhr

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