Wirtschaft
Fairer Handel: Wird der Käufer ausreichend informiert?
Wer ein Produkt mit einem Fairhandels-Siegel kauft, nimmt in der Regel an, dass alle Inhaltsstoffe auch fair gehandelt sind. Doch das ist oft nicht der Fall. Welches Zeichen steht wofür? Und wieso ist nicht überall 100 Prozent "fair" drin, wo "fair" draufsteht?
Von Carsten Günther
Monoprodukte und Mischprodukte
Bei Produkten wie Kaffee, Bananen, Rosen oder Reis lässt sich eindeutig zurückverfolgen, woher sie kommen. Man kann die gesamte Lieferkette vom Kleinbauern oder der Plantage bis zum Supermarkt kontrollieren. Diese Produkte haben keine zusätzlichen Bestandteile und heißen deshalb "Monoprodukte". Sie sind zu 100 Prozent fair gehandelt, wenn sie ein Fairhandels-Siegel tragen.
Es gibt aber auch sogenannte "Mischprodukte", die aus verschiedenen Rohstoffen bestehen, zum Beispiel Kekse, Eiscreme, Müsli oder Marmelade. Hier wird es komplizierter: Nicht alle Zutaten sind durch Fairen Handel erhältlich, etwa Weizenmehl oder Eier.
Damit ein Mischprodukt das Fairtrade-Siegel erhält, müssen aber zumindest alle Zutaten, die fair gehandelt verfügbar sind, auch aus fairen Quellen stammen, zum Beispiel Kakao, Zucker oder Vanille.
Außerdem muss der Anteil aller fair gehandelten Zutaten mindestens 20 Prozent ausmachen, damit das Produkt das Fairtrade-Siegel bekommt. Der genaue Gesamtanteil steht auf der Verpackung, aber meist kleingedruckt auf der Rückseite.
Verbraucherverbände kritisieren, dass der Kunde hierdurch nicht transparent informiert wird. Sie fordern, dass der Gesamtanteil der fair gehandelten Zutaten deutlich sichtbar auf der Vorderseite neben dem Fairtrade-Siegel stehen soll.
Manche Handelsorganisationen setzen höhere Mindestgrenzen an. Die "Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt“ (Gepa) hat das Fairtrade-Siegel von fast allen ihren Produkten entfernt. Stattdessen hat das Unternehmen ein eigenes Zeichen eingeführt: "Gepa Fair plus". Bei diesen Produkten müssen mindestens 50 Prozent der Zutaten fair gehandelt sein.
Nicht nur in den armen Ländern der südlichen Erdhälfte arbeiten viele Produzenten unter unfairen Handelsbedingungen. Auch in Europa werden zum Beispiel Milchbauern oft schlecht bezahlt. Daher verwenden Handelsunternehmen wie die Gepa in ihrer Schokolade auch "faire Milch" aus Deutschland, für die die Milchbauern zu fairen Bedingungen bezahlt werden.
Fair gehandelte Produkte im Supermarkt
Der "Mengenausgleich" – nur ein bisschen fair, oder gar nicht?
Ähnlich verhält es sich mit dem so genannten "Mengenausgleich". Bei manchen Produkten lässt sich die Herkunft der einzelnen Bestandteile schlecht zurückverfolgen. So werden manchmal schon im Ursprungsland bei der Verarbeitung, Lagerung oder beim Transport konventionelle mit fair produzierten Rohstoffen vermengt – etwa Orangen für den Orangensaft, Kakaobohnen, Zucker oder Tee.
Fairtrade kann danach nicht mehr auseinanderhalten, welcher Anteil der Rohstoffe fair und welcher nicht fair gehandelt ist. Allerdings muss die Menge der fair gekauften Rohstoffe und der verkauften Fairtrade-Produkte in der gesamten Lieferkette gleich sein. Werden nur 30 Prozent der Orangen fair eingekauft, dürfen auch nur 30 Prozent des fertigen Safts das Fairtrade-Siegel tragen.
Diese Produkte bekommen dann auf der Verpackung den Vermerk "mit Mengenausgleich", allerdings auch diesmal meist auf der Rückseite. Ob und wie viele Anteile an fair gehandelten Zutaten im konkreten Produkt enthalten sind, erfährt der Käufer nicht. Im ungünstigsten Fall kann eine Tafel Fairtrade-Schokolade mit dem Zusatz "Mengenausgleich" kein einziges Gramm fair gehandelten Zuckers oder Kakaos enthalten.
Verbraucherschützer kritisieren, die Käufer hätten keine Möglichkeit nachzuvollziehen, ob das gekaufte Produkt tatsächlich aus fair gehandelten Rohstoffen besteht, und würden nicht über die Zusammensetzung des Produkts informiert.
Fairtrade verteidigt den Mengenausgleich und auch die 20-Prozent-Regel bei Mischprodukten. Damit könne man mehr Bauern, Arbeiter und Gemeinden am Fairen Handel beteiligen, weil sie dadurch mehr Rohstoffe zu fairen Bedingungen verkaufen könnten.
In vielen Fairtrade-Produkten stecken auch nicht fair gehandelte Zutaten
Zugeständnisse an die Industrie
Den Umsatz fair gehandelter Rohstoffe zu steigern, ist auch das Ziel der Fairtrade-Programme für Kakao, Zucker und Baumwolle, die es seit 2014 gibt. Bei diesen verpflichtet sich ein Unternehmer nur, eine gewisse Menge eines Fairtrade-Rohstoffes einzukaufen.
Was er damit macht, in welchen Verhältnissen er es seinen Produkten beimischt, steht ihm frei. Der Unternehmer kann etwa fairen Kakao mit herkömmlichem Zucker mischen. Dafür darf er zwar nicht das Fairtrade-Siegel auf seinen Produkten platzieren, aber ein ähnliches, speziell für die Fairtrade-Programme entworfenes Rohstoff-Siegel.
Fairtrade argumentiert, dadurch habe sich beispielsweise der Fairtrade-Anteil im Kakaobereich seit 2014 von einem Marktanteil von unter einem Prozent auf knapp 17 Prozent gesteigert. An den Fairtrade-Standards in den Anbauländern ändere sich durch diese Regelung nichts. Doch so viel Entgegenkommen gegenüber der Lebensmittelindustrie stößt erneut auf Kritik der alten Pioniere des Fairen Handels.
So betont zum Beispiel der "Weltladen-Dachverband", es wäre viel sinnvoller, mehr Produktionsstätten im globalen Süden aufzubauen, damit die Menschen vor Ort ihre eigenen Produkte herstellen können, anstatt nur ihre Rohstoffe zu verkaufen.
Im Jahr 2019 gaben die Deutschen 1,85 Milliarden Euro für fair gehandelte Produkte aus. Damit hat sich der Umsatz von 2013 bis 2019 fast verdreifacht.
Allerdings haben sich die Maßnahmen infolge der Corona-Pandemie negativ auf den Fairen Handel ausgewirkt: Viele Großkunden haben wegen der gesunkenen Nachfrage ihre Bestellungen in den Produzentenländern stark reduziert. Laut Bundesentwicklungsministerium stehen Millionen Menschen im globalen Süden durch das Zusammenbrechen globaler Lieferketten ohne Arbeit, Einkommen und Grundsicherung vor dem Nichts.
Wie hoch mag wohl der fair gehandelte Anteil in einem Schoko-Nikolaus wie diesem sein?
(Erstveröffentlichung 2020. Letzte Aktualisierung 09.12.2020)
Quelle: WDR