Szene aus dem Film "Winnetou und sein Freund Old Firehand". Die Schauspieler Pierce Brice und Marie Versini sitzen als Indianer auf ihren Pferden und blicken in die Ferne.

Karl May

Karl May und sein Klischee vom "Indianer"

Das Bild des nordamerikanischen "Indianers" wird bei uns vor allem durch die Romane von Karl May geprägt. Mit der Realität hat dieses Klischee jedoch wenig zu tun. In Karl Mays Romanen gibt es "Indianer" entweder als edle Wilde oder als grausame Barbaren.

Von Swen Gummich

Der Fantasie entsprungen

Als der deutsche Autor Karl May seine Romane über die Abenteuer seiner Helden Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkins und Old Surehand schrieb, war er noch nie zuvor in Amerika gewesen. Alle Personen, Geschichten und örtlichen Gegebenheiten entsprangen seiner Fantasie. So auch sein Bild von "den Indianern".

Faszination und gleichzeitige Ablehnung des Fremden, so lässt sich im Großen und Ganzen die Geisteshaltung der Europäer seit der griechischen Antike beim Kontakt mit fremden Kulturen beschreiben.

"Indianer" als Barbaren und Tiere

Dieser Zwiespalt zieht sich auch durch das Werk von Karl May. Bei ihm existieren zwei extreme Menschenbilder der "Indianer": Auf der einen Seite beschreibt er sie als Barbaren. Die Feinde Winnetous und Old Shatterhands werden als grausame "Teufel" beschrieben, die ihre Opfer am Marterpfahl langsam zu Tode quälen.

Beschreibungen wie das Skalpieren toter Feinde lösen Gruselschauer beim Leser aus. Die Indianer werden an diesen Stellen nicht als zivilisierte Menschen beschrieben, sondern als Wilde. Sie laufen angeblich wie Raubtiere, verständigen sich durch das Imitieren von Tierlauten, tragen Vogelfedern und riechen nach Fett.

Mit lautem Gebrüll stürzen sie sich auf ihre Feinde, die sie gnadenlos abschlachten. Statt einer organisierten Religion mit Kirche, Priestern und regelmäßigen Gottesdiensten folgen sie finsteren Medizinmännern, die sie verzaubern. Barbar, Tier, Teufel, Heide – das ist die eine Seite des Indianerklischees bei Karl May.

Zeitgenössischer Stich: Weiße treiben Handel mit Indianern.

Die ersten Kontakte waren vom Handel geprägt

Der edle Wilde

Die positiven Charaktere, wie der Apachenhäuptling Winnetou, stehen hingegen in der Tradition des "Edlen Wilden". Dieser lebt laut der Theorie des französischen Aufklärers Rousseau immer noch im Naturzustand der Menschheit und erinnert an die unverdorbenen Anfänge der menschlichen Geschichte. Dadurch ist er im positiven Sinne menschlicher und glücklicher als die "zivilisationskranken" Europäer.

Die Vorstellung von den edlen Wilden findet sich bei Karl May schon in ihrem äußeren Erscheinungsbild wieder. Bei ihm sind viele "Indianer" kräftig gebaut, schnell und gewandt; ihre Gesichter schön und edel. Das Leben in der Natur ist bei ihm frei, unverdorben und selbstbestimmt.

Sie müssen keiner staatlichen Autorität gehorchen und haben Angst vor niemandem. Wenn die Weißen ihnen Neues zeigen, sitzen sie in Mays Romanen wie die Kinder da und staunen. Edler Wilder, unverdorbener Naturmensch, Kind – das ist die andere Seite des Indianerbilds von Karl May.

Porträt von "Sitting Bull", dem Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux, um 1884. Der Indianer trägt einen kleinen Federschmuck und blickt aufrecht in die Kamera.

Karl May verwendet das Klischeebild des "Edlen Wilden"

Eine großartige Erfolgsgeschichte

Der Erfolg von Karl Mays Büchern in Deutschland ist bis heute phänomenal. Deshalb lebt auch sein Indianerbild weiter. Literaturkritiker haben seine Bücher verrissen, seine Schriftstellerkollegen belächelten ihn, die Nazis missbrauchten ihn für ihre Rassentheorie und die sozialistische DDR versuchte alles, um den "Rassisten und Imperialisten" Karl May aus der Erinnerung der Menschen zu löschen.

Doch nichts konnte den großen Erfolg bei den Deutschen in Ost und West verhindern. Die Bücher erreichten Rekordauflagen und werden seit Generationen von Jugendlichen verschlungen.

In den 1960er-Jahren standen berühmte deutsche und internationale Filmstars Schlange für eine Rolle in einem der mehr als 20 Kino- und Fernsehfilme. Die Winnetou-Darsteller – Pierre Brice in der Bundesrepublik und Gojko Mitic in der DDR – hatten den Kultstatus von Popstars.

Nach wie vor beliebt sind auch die Karl-May-Spiele auf den Bühnen von Bad Segeberg, Elspe oder Mörschied, wo Winnetou und Old Shatterhand jeden Sommer live auf Pferden gegen das Böse kämpfen.

Auch das Karl-May-Museum in Radebeul bei Dresden wird viel besucht. Der Mythos von Winnetou und Co lebt in Deutschland nun schon seit mehr als 100 Jahren fort.

Pierre Brice als stolzer Apachen-Häuptling "Winnetou" in einer Szene des Karl-May-Films "Winnetou 3".

Winnetou war lange Zeit der Vorzeige-Indianer

Das heutige Indianerbild

Seit den 1980er-Jahren haben sich vor allem Gruppen aus Forschung, Politik und Ökologie in Deutschland bemüht, den Fantasie-Figuren Karl Mays ein realistischeres Bild entgegenzusetzen.

Viele Forscher haben Studien und Bildbände veröffentlicht, die ein sehr differenziertes Bild der indigenen Völker Nordamerikas und ihrer Kulturen vermitteln. Im Jahr 2000 fand die Ausstellung "Winnetous Tod – Mythos und Wirklichkeit nordamerikanischer Indianer" viel Resonanz.

Politische Organisationen unterstützen die "Native Americans" heute in den Reservationen bei ihrem Kampf um die Anerkennung ihrer Rechte. Und nicht zuletzt entdecken ökologisch orientierte Gruppen im harmonischen Umgang der Indigenen mit der Natur ein gesellschaftliches Gegenbild zur Zerstörung von Natur und Umwelt.

Auch wenn der Blick auf die Indigenen hier oft positiv verklärt ist und die Gefahr besteht, dass alte Vorurteile durch neue ersetzt werden, so trägt das große Interesse an ihren Kulturen dazu bei, dass Karl Mays Klischeebild vom "Indianer" langsam ad acta gelegt wird.

(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 11.08.2020)

Anmerkung der Redaktion:

IST DIE BEZEICHNUNG "INDIANER" DISKRIMINIEREND?

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Sprache wandelt sich stetig und damit auch die Ansichten, die wir mit bestimmten Begriffen verbinden.

Der Ursprung der Bezeichnung "Indianer" beruht auf einem historischen Irrtum – dass Christoph Kolumbus dachte, er sei in Indien an Land gegangen – und ist damit eine geografische Fehlbezeichnung. Das allein macht den Begriff aber nicht zur Diskriminierung.

Dennoch haben wir uns entschieden, die Bezeichnung "Indianer" nur noch in Anführungszeichen zu verwenden. Dafür waren mehrere Gründe entscheidend:

  • Die Bezeichnung "Indianer" ruft immer Assoziationen wach, die stark von Klischees geprägt sind und mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.
  • Gerade in Deutschland verbindet man mit dem "Indianer" zwar viele positive Eigenschaften – geprägt von Karl Mays Winnetou und Figuren wie der Zeichentrickserie Yakari. Doch auch ein positives Stereotyp wird den Menschen dahinter, auch was ihre kulturelle Vielfalt angeht, nicht gerecht. Außerdem stammt der Begriff aus der Zeit des Kolonialismus und der so genannten Völkerschauen.
  • Viele Angehörige indigener Stämme empfinden den Begriff als problematisch oder sogar als kränkend.

Doch welchen Begriff soll man stattdessen verwenden? Auch hier gibt es keine einfache Antwort. Viele Menschen bevorzugen den englischen Ausdruck "Native Americans" (zu deutsch etwa "Gebürtige Amerikaner"). Dieser stammt aber aus der Verwaltungssprache der US-Behörden und wird deshalb von Teilen der Bevölkerung abgelehnt. In Kanada ist der Begriff "First Nations" ("Erste Nationen") gängig, allerdings nur für die Völker auf kanadischem Territorium. Das Konstrukt "Indigene Völker Nordamerikas" wird von vielen als sperrig und kompliziert empfunden und wirft oft die Frage auf, ob damit "die Indianer" gemeint seien.

Da die Diskussion um eine korrekte Bezeichnung seit Jahrzehnten anhält und es keine eindeutige Lösung gibt, haben wir uns entschlossen, in unseren Texten eine Mischung aus diesen Begriffen zu verwenden.

Stand: Dezember 2020

Quelle: WDR

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