Mitmach-Musical mit Kultcharakter
Die "Rocky Horror Show" beginnt ruhig und beschaulich. Doch die ersten Musikstücke täuschen den ahnungslosen Theaterbesucher. Was sich im Verlaufe des turbulenten Rockmusicals auf der Bühne tut, ist an grandioser Verrücktheit kaum zu überbieten.
Man wird mitgerissen von der Musik und der Handlung. Das Musical ist nicht umsonst zu einem Kultwerk geworden, das auch Jahrzehnte nach seiner Uraufführung 1973 viele Besucher anzieht.
Ein Teil des Publikums setzt sich aus treuen Fans zusammen, die sich immer wieder an der frivolen Handlung ergötzen können. Sie haben einen ganz besonderen Mitmach-Ritus entwickelt, der einzigartig in der Musicalszene ist. Stammgäste erscheinen in schriller "Rocky Horror"-Kostümierung im Theater. Passend zu bestimmten Szenen wird im Zuschauerraum mit Reis geworfen oder mit Wasserpistolen gespritzt.
"Rocky Horror" ist in vielen Häusern zum Standard-Repertoire geworden und wird von Ensembles weltweit gespielt. Auch der Erfinder, Autor und Komponist des Stückes, Richard O'Brien, ist mit seiner eigenen Schauspieltruppe oft auf Gastspielreise unterwegs und präsentiert das Stück, das ihn unerwartet reich und berühmt gemacht hat.
Eine Billig-Produktion als Kassenschlager
"Das ging damals alles sehr schnell und unkompliziert", erinnert sich Richard O'Brien an die erste "Rocky Horror Show", die am 16. Juni 1973 im kleinen Saal des "Royal Court Theatre" am Londoner Sloane Square uraufgeführt wurde.
"Wir hatten ja auch gar nicht vor, ein Stück auf die Bühne zu bringen, das die Welt erschüttern sollte und gingen daher sehr sparsam mit teurer Bühnentechnik um. Die Kosten für die ursprüngliche Produktion beliefen sich auf gerade einmal 2000 Pfund. Wir spielten auf der winzigen Bühne eines kleinen Theaters in London und dachten, nach den geplanten fünf Aufführungswochen sei sowieso alles zu Ende und wir müssten uns wieder neue Jobs suchen. Wir hatten ja keine Ahnung, dass aus diesen fünf Wochen in London sieben Jahre werden würden."
Die Rocky Horror Show kommt in die Kinos
Sieben Jahre am Stück, bis zum 13. September 1980, wurde die "Rocky Horror Show" 2960 Mal aufgeführt. Zwei Jahre nach der Theaterpremiere, kam das skurrile Rockmusical dann auch noch in einer besonderen Filmfassung in die Kinos, wurde als Schallplatte, später auf CD und DVD veröffentlicht und zu einem Bestseller.
Turbulente Rock'n'Roll-Show mit Tiefgang
Die "Rocky Horror Show" handelt von Brad und Janet. Die beiden sind frisch verlobt und voller naiver, unschuldiger Verliebtheit. Sie sind mit dem Auto unterwegs und wollen ihren ehemaligen Lehrer besuchen. Doch eine Reifenpanne im strömenden Regen macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Zu Fuß erreichen sie ein geheimnisvolles Schloss. Dort lebt Frank'n'Furter, ein außerirdischer Transvestit, mit einer Schar skurriler Gestalten und dem buckeligen Hausdiener Riff Raff.
Frank'n'Furter ist gerade dabei, sich seinen Traummann aus der Retorte zu erschaffen. Als der zum Leben erweckt wird, teilt er nicht nur mit seinem Erschaffer das Bett, sondern verhilft auch Janet zu bislang nicht erlebten Liebeserfahrungen.
Brad wiederum wird von Frank'n'Furter verführt. Die turbulente Komödie endet schließlich mit der Entmachtung und Ermordung Frank'n'Furters und der Rückkehr von Riff Raff und einer Gefährtin auf den Heimatplaneten. Brad und Janet bleiben auf der Erde zurück.
Rocky-Horror-Premiere in Bremen 1980
Eine verrückte Geschichte? Richard O'Brien, der Komponist und Autor des Stückes, ist anderer Meinung. "Die Story ist eigentlich gar nicht so verrückt. Das Ganze ist wie ein böses Märchen und gleicht dem Sündenfall im Paradies. Brad und Janet verkörpern dabei Adam und Eva, Frank'n'Furter stellt den Teufel dar. Es ist die Geschichte vom Verlust der Unschuld.
Oberflächlich betrachtet ist die "Rocky Horror" nur eine bunte Rock'n'Roll-Show, voller Witz und Humor. Sieht man aber genauer hin, steckt die "Rocky Horror Show" voller Symbolik und psychologischer Momente. Und ich glaube, genau das ist auch das Geheimnis des langwährenden Erfolgs des Stücks. Man kann immer wieder etwas Neues darin entdecken."
Riff Raff als Paraderolle
Richard O'Brien, Jahrgang 1942, nutzte die einfach strukturierten amerikanischen Horror- und Science-Fiction-Filme der 1950er-Jahre als Vorlage für sein Musical. Er wollte diese Billigstreifen, die in den Spätvorstellungen der US-amerikanischen Kinos jener Zeit auf die Leinwand kamen, persiflieren. Sich selbst schrieb er in dem Stück, das wie eine Kinovorstellung angelegt ist, die Rolle des schrulligen Hausdieners Riff Raff auf den Leib. "Diese Rolle gefällt mir sehr gut", sagt Richard O'Brien.
"Riff Raff ist nämlich die eigentliche Macht hinter dem offensichtlichen Star des Stückes Frank'n'Furter. Doch das bekommt das Publikum zunächst gar nicht mit. In Riff Raff lodert eine große Unzufriedenheit. Darüber, dass Frank'n'Furter Liebe und Ruhm erhält, darüber, dass Frank'n'Furter schön ist und er hässlich. Doch am Ende bekommt Riff Raff seine Genugtuung. Er bringt Frank'n'Furter um.
Es ist sehr anstrengend, den Riff Raff zu spielen. Frank'n'Furter erhält sehr viel Energie und Kraft vom Publikum. Riff Raff muss ohne die Liebe des Publikums auskommen. Diese teuflische Gestalt schöpft ihre Kraft aus dem Inneren. Und diese Energie Abend für Abend auf der Bühne zu aktivieren, ist überaus anstrengend, aber jedes Mal auch eine Herausforderung für mich als Schauspieler."
Frank'n'Furter präsentiert seine Kreation
Als die "Rocky Horror-Show" am 16. Juni 1973 in London ihre Premiere hatte, war die Fachwelt voller Lob über Richard O'Briens Debütantenwerk. "Schlechte Kritiken gab es überhaupt nicht", meint der Autor rückblickend. "Hätten wir sie selbst geschrieben, wären sie kaum besser ausgefallen."
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 31.07.2018)
Quelle: WDR