Germanisch heute
Die deutschen Dialekte enthalten heute noch viele Elemente aus dieser Zeit. Auch in unserem hochdeutschen Alltagsvokabular haben die Germanen deutliche Spuren hinterlassen.
Die meisten urgermanischen Wörter, die sich bis heute überliefert haben, stammen aus dem Alltagsleben. "Brot" hieß zum Beispiel vor 2000 Jahren "brauda". Daraus wurde bis zum 8. Jahrhundert "prōt", im 11. Jahrhundert hieß es schon "brôt".
Aus dem germanischen "brauda" wurde das deutsche "Brot"
Ein weiteres Beispiel ist das Wort "greifen": Die Germanen sagten dazu noch "grīpan". Zur Zeit Karls des Großen (um 800 nach Christus) hieß es "grīffan", im späteren Mittelalter dann "grîfen" (sprich: griefen).
Neue Wörter für neue Kulturgüter
Die Römer brachten vieles in die Gebiete nördlich der Alpen mit, das den germanischen Völkern völlig unbekannt war. Die Germanen bauten ihre Häuser zum Beispiel aus Fachwerk, also aus Holz und Lehm. Die Behausungen der Römer hingegen waren aus Stein, ebenso die Straßen.
Da es in den germanischen Sprachen dafür keine Wörter gab, übernahmen die einheimischen Völker die lateinischen Bezeichnungen. So wurde aus dem römischen "murus" (Steinwand) das germanische Wort "mura", unsere heutige Mauer. Ebenso germanisierten unsere Vorfahren "via strata" (gepflasterter Weg) zu "strazza", unserer heutigen Straße.
Aus dem lateinischen "strata" wurde das deutsche Wort "Straße"
Umgekehrt übernahmen auch die Römer einige Begriffe von den Germanen. Das lateinische Wort "sapo" für Schminke wurde zum Beispiel dem germanischen Wort "seipfa" (Seife) entlehnt.
Noch heute lassen sich Einflüsse des Germanischen in den modernen romanischen Sprachen wiederfinden, zum Beispiel im Französischen oder Spanischen. Das französische Wort für Garten ("jardin") entstammt dem germanischen Wort "garda", das spanische Wort "guerra" (Krieg) kommt von germanisch "werra" (heute "Wehr").
Die kostbare Wulfila-Bibel
Sprachhistoriker versuchen, die germanischen Sprachen Schritt für Schritt zu rekonstruieren – mit Hilfe der Dialektforschung und anhand der wenigen existierenden Schriften, wie der gotischen "Wulfila-Bibel" aus dem 4. Jahrhundert nach Christus. Diese Bibel wurde mit Silbertinte auf purpur gefärbtes Pergament geschrieben. Manche Seiten wurden sogar mit Gold-Tinte angefertigt.
Der Bischof Wulfila (etwa 311-383 nach Christus) entwickelte extra für diese Bibel eine Schrift, die eine Abwandlung der griechischen Schrift mit lateinischen Buchstaben und gotischen Runen war.
Eine Seite aus der Wulfila-Bibel
Die Wulfila-Bibel stellt die älteste noch erhaltene Textsammlung in gotischer Sprache dar. Das kostbare Original wird heute im schwedischen Uppsala aufbewahrt. Um einen Eindruck von der gotischen Sprache zu vermitteln, haben wir das "Vater unser" aus der Wulfila-Bibel zum Nachlesen abgedruckt.
Atta unsar Þu in himinam,
weihnai namo Þein,
quimai Þiudinassus Þeins,
wairÞai wilja Þeins,
swe in himina jah ana airÞai.
hlaif unsarana Þana sinteinan gib uns himma daga,
jah aflet uns Þatei skulans sijaima,
swaswe jah weis afletam Þaim skulam unsaraim,
jah ni briggais uns in fraistubnjai,
ak lausei uns af Þamma ubilin;
unte Þeina ist Þiudangardi
jah mahts jah wulÞus in aiwins.
Amen.
(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 09.06.2020)
Quelle: WDR