Kongo
Henry Morton Stanley – Pionier der Afrikaforschung
Auf seinen Expeditionen befuhr der Brite Sir Henry Morton Stanley ab 1869 ein riesiges Gebiet rund um den Kongo. Er beteiligte sich am Wettlauf um die Nilquellen und half dem belgischen König bei dessen grausamer Unterdrückung des Kongos.
Von Danielle Schippers
Einsame Jugend und Sensations-Journalismus
Henry Morton Stanley wurde als John Rowlands am 28. Januar 1841 im walisischen Denbigh geboren. Auf seiner Geburtsurkunde stand: "John Rowlands, Bastard." Als Sohn eines Hausmädchens und eines unbekannten Vaters wuchs er in einem Heim auf, in dem die Kinder zur Arbeit gezwungen und misshandelt wurden. Immerhin bekam er hier ein gewisses Maß an Schulbildung.
Als Jugendlicher schlug sich Rowlands als Schiffsjunge nach Nordamerika durch, wo er von einem reichen Kaufmann namens Henry Stanley aufgenommen wurde. Die beiden trennten sich im Streit, doch Rowlands nahm trotzdem – unrechtmäßig – dessen Namen an und fügte den Zweitnamen Morton hinzu.
Durch seinen Dienst im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865), zuerst auf Seite der Südstaaten, später unter der Flagge des Nordens, entwickelte er ein Geschick für die Kriegsberichterstattung.
1867 wurde er Sonderberichterstatter für den "New York Herald", sein Verleger schickte ihn in verschiedene Krisenregionen. Stanley manipulierte, dramatisierte, hetzte von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz und erlangte so Bekanntheit als Sensationsreporter.
Stanley und Livingstone
1869 erreichte ihn ein Telegramm seines Verlegers: Stanley solle den in Afrika verschollenen Forscher David Livingstone finden und eine einmalige Story daraus machen. Ihm stünden alle finanziellen Mittel zur Verfügung.
Stanley witterte seine Chance auf Ruhm. Ganz so wichtig schien ihm die Rettung Livingstones allerdings dann doch nicht zu sein, denn zuvor berichtete er noch aus verschiedenen anderen Ländern der Welt. Vom indischen Mumbai aus (das damals Bombay genannt wurde) begab er sich schließlich ein Jahr nach dem Telegramm auf die Suche nach Livingstone.
Stanley brach mit angeblich fast 400 Trägern zur Suche nach dem verschollenen Afrikaforscher auf. Die Expedition kämpfte mit Krankheiten, Hunger und Überschwemmungen, musste unwegsamen Urwald und dürre Savanne durchqueren.
Als sie Ende 1871 Livingstone in einem Dorf am Tanganjika-See fanden, der auf der Grenze zwischen der heutigen Demokratischen Republik (DR) Kongo und Tansania liegt, konnten das nur noch wenige Männer bezeugen. Der Rest war gestorben oder aufgrund von Stanleys brutalem Führungsstil desertiert.
Die vielen Gefahren Afrikas beeinflussten Stanleys Beziehung zum Kontinent: "Ich verabscheue dieses Land von Herzen", schrieb er in einem seiner Bücher. Das Land, die Bewohner und deren Kultur waren ihm zuwider, einem Buch gab er beispielsweise den Titel "Im dunkelsten Afrika".
Livingstone war der Grund für Stanleys erste Afrikareise
Kreuz und quer durch den Kongo
Fasziniert war Stanley dagegen von David Livingstone, obwohl beide sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren. Anders als Stanley war Livingstone mit nur wenigen Männern, ohne finanzielle Unterstützung, zu Fuß und fast ohne wissenschaftliches Gerät Hunderte Kilometer durch Zentralafrika gereist. Getrieben wurde er von der Neugier auf Natur und Einwohner auf dem Gebiet der heutigen DR Kongo.
Die beiden gegensätzlichen Entdecker schlossen sich zusammen und versuchten, den etwa 1870 aufkommenden Wettlauf zur Quelle des Nils zu gewinnen. Die europäischen Kolonialmächte wollten wissen, wo der gewaltige Strom Nil entspringt, und schickten deshalb rivalisierende Expeditionen mit berühmten Wissenschaftlern nach Afrika. Doch Stanley und Livingstone konnten die Quelle nicht finden.
1874, nachdem Livingstone in Sambia gestorben war, machte sich Stanley erneut auf die Suche nach der Nil-Quelle. Im Gepäck: die Einzelteile des Flussdampfers "Lady Alice", benannt nach einer seiner vielen Verlobten.
Wieder trugen Hunderte Träger die Verpflegung und das zerlegte Schiff durch Afrika. Nach mehr als drei Jahren und mehr als 10.000 Kilometern hatte Stanley sein Ziel erreicht. Auf dieser Expedition umrundete er den Viktoria- und den Tanganjika-See und konnte so beweisen, dass es eine Verbindung zwischen Viktoria-See und Nil gibt.
Um Livingstones These zu widerlegen, der Lualaba, ein Quellfluss des Kongos, sei auch eine Quelle des Nils, fuhr Stanley von der Quelle des Lualaba bis fast zur Mündung des Kongos in den Atlantischen Ozean.
Auf der rund 3500 Kilometer langen Flussreise wurde er von feindlichen Stämmen angegriffen und musste zahlreiche Stromschnellen umwandern, beispielsweise die von ihm benannten Stanley Falls. Als er 1877 im Kongo-Delta ankam, war er von den Strapazen sehr geschwächt und wollte das ständige Reisen eigentlich an den Nagel hängen.
Vor Stanley war Zentralafrika nur ein weißer Fleck auf der Karte
Betrüger und Unterdrücker
Nachdem Stanley England seine Hilfe bei der Kolonialisierung des Kongos angeboten hatte und zurückgewiesen worden war, wurde der König von Belgien, Leopold II., auf ihn aufmerksam. Fortan arbeitete Stanley in Afrika kräftig daran, mit unlauteren Verträgen den Stammeshäuptlingen Land und Arbeiter abzunehmen, um die gesamte Region unter König Leopolds Herrschaft zu stellen.
Auf seinen Reisen, die auch das Ziel hatten, Handelsrouten für den belgischen König zu erforschen, gründete Stanley unter anderem Stanleyville (heute Kisangani), benannte den Stanley-Pool (heute Pool Malebo) und gründete an dessen Ufer Leopoldville (heute Kinshasa, die Hauptstadt der DR Kongo).
Kinshasa hieß früher Leopoldville
Im Rahmen der Afrika-Konferenz 1884/85 erkannten schließlich die europäischen Staaten und die USA den von Leopold erworbenen "Unabhängigen Kongostaat" als persönlichen Privatbesitz des Königs an.
Stanley beaufsichtigte in dieser Zeit die Bauarbeiten einer befestigten Straße von der Mündung des Kongos bis zum Pool Malebo, von wo aus der Kongo schiffbar ist. So sollte die Handelsroute zwischen dem Meer und Zentralafrika ausgebaut werden.
Die Arbeiten wurden von den Einheimischen verrichtet. Leopold II. hatte sie versklavt und zwang sie nun mit brutalen Methoden, Kautschuk zu gewinnen und Straßen zu befestigen.
Ermöglicht hatten das die Verträge, die Stanley mit den Häuptlingen im Auftrag Leopolds abgeschlossen hatte. Eine versteckte Klausel besagte, dass jeder Stammesangehörige zur Arbeit für den belgischen König verpflichtet war. Die Häuptlinge verstanden natürlich die Verträge nicht, die in einer ihnen fremden Sprache verfasst waren.
Ritterschlag und späte Strafe
Während König Leopold den Kongo ausbeutete, reiste Stanley durch Europa, um die Bücher über seine Expeditionen vorzustellen. Er war damit sehr erfolgreich und bekannt und ließ sich als Held der Afrikaforschung feiern. 1899 wurde Stanley in England zum Ritter geschlagen.
Im gleichen Jahr machte der Journalist Edmund Dene Morel eine Entdeckung: Die Frachtschiffe aus dem Kongo kamen stets vollgepackt mit wertvollen Waren in Europa an. Von dort nahmen sie aber immer nur Munition und Ketten wieder mit zurück nach Afrika.
Nach und nach wurden die Gräuel des belgischen Königs aufgedeckt. Leopold II. wurde 1908 schließlich gezwungen, den Kongo aus seinem Privatbesitz an Belgien zu übertragen.
Leopold II. beutete den Kongo aus
Sir Henry Morton Stanley starb am 10. Mai 1904 in London. Er wollte neben Livingstone in Westminster Abbey beigesetzt werden, was ihm der Dean of Westminster aber aufgrund seiner Taten verwehrte, die der Öffentlichkeit mittlerweile bekannt waren.
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 29.06.2020)
Quelle: WDR