Citizen Science – eine neue Bürgerbewegung?
Die Bürgerwissenschaft ("Citizen Science") liegt im Trend. Aber wirklich neu ist das nicht: Der Mensch ist von Natur aus wissbegierig, möchte beobachten, entdecken, erfahren und dieses Wissen weitergeben.
Bereits in den vergangenen Jahrhunderten waren es vor allem die vermeintlichen Laien, die bahnbrechende Forschungserkenntnisse lieferten und so zum Beispiel technische Entwicklungen begünstigten.
Prominente Vertreter der Bürgerforschung sind unter anderem Charles Darwin oder Isaac Newton – beide keine Naturwissenschaftler im klassischen Sinn.
Charles Darwin war eigentlich Theologe, Isaac Newton war Philosoph. Aber beide beschäftigten sich in ihrer Freizeit intensiv mit biologischen beziehungsweise physikalischen Phänomenen, beobachteten und forschten aus reinem Interesse auf für sie berufsfremden Gebieten.
Charles Darwin beispielsweise reiste einmal um die ganze Welt und erkundete vor allem in Lateinamerika Tiere und Pflanzen. Seine dortigen Beobachtungen bildeten anschließend die Grundlage für seine Evolutionstheorie.
Darwin reiste mit der "Beagle" um die ganze Welt
Isaac Newton verfasste das Gravitationsgesetz – angeblich, nachdem ihm ein Apfel auf den Kopf gefallen war, während er zur Mittagszeit unter einem Apfelbaum ruhte und er darüber zu grübeln begann, wie weit die Erdanziehungskraft wohl reicht.
Damit legte er den Grundstein für die klassische Mechanik. Heute werden auch weitere mit der Gravitation zusammenhängende Phänomene wie Ebbe und Flut mit Newtons Theorien erklärt.
Zeit der Aufklärung – ein neues Weltbild entsteht
Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts änderte sich das Weltbild und damit auch der Blick der Menschen auf die sie umgebende Natur. Sie begannen, ihre religiös geprägte Gesellschaftsordnung infrage zu stellen und beriefen sich vielmehr auf den Verstand als universelle Urteilsinstanz.
Es war die Zeit der Aufklärung. Die Welt wurde nicht länger als "von Gott geschaffen" angesehen, sondern als Zusammenspiel biologischer Entwicklungen und physikalischer Gesetzmäßigkeiten erkannt.
Das Interesse der Menschen an ihrer natürlichen Umwelt wuchs und sie begannen verstärkt, die Natur zu beobachten und zu erforschen. Es war die damals übliche Form der Wissenschaft in einer Zeit, in der es noch kaum Professionalisierung durch Universitäten und spezialisierte Forschungsinstitute gab.
Die forschenden Bürger und ihre Wissbegierde sind die Wurzeln für die Entstehung der wissenschaftlichen Institutionen, die vor allem während und nach der Zeit der Aufklärung entstanden. Heute dominieren sie die Szene und spalten das Feld in die wissenschaftlichen Profis und die Laienforscher.
Bürgerforschung heute
Wissenschaft und Forschung gelten heute längst als Privilig der Profis. Doch im Zeitalter des Internets erfährt die Bürgerforschung eine wahre Renaissance.
Zeit für die Wissenschaft, ihren Elfenbeinturm zu verlassen, denn das Bürgerwissen ist sehr umfangreich und ein wertvoller Schatz, den es zu heben gilt. Die Interessen der Menschen sind vielseitig und alltagsnah, die Summe ihres Wissens schier unerschöpflich.
Eines der wohl typischsten "Citizen Science"-Projekte ist die Internetplattform Wikipedia. An der Entwicklung dieser Enzyklopädie kann jeder mitmachen, Studenten und Promovierte genauso wie Nichtakademiker. Das Entscheidende dabei: Es zählt allein das Ergebnis, die Kluft zwischen Laien und Profis verschwindet.
Die digital vernetzte Welt erleichtert nicht nur den Zugang zu Wissen, sie ermöglicht es auch dem Einzelnen, sich in einem großen Netzwerk aktiv an Projekten zu beteiligen, die ihn interessieren – und das ortsunabhängig.
So können beispielsweise mittels Smartphone-Apps heute problemlos und schnell Daten erhoben, gesichtet oder ausgewertet werden. Die Wissenschaft stellt sich darauf ein und hat vielerorts begonnen, die Bürger aktiv in Forschungsprozesse einzubinden.
Daten für die Wissenschaft
Zahlen, Daten, Fakten – sie sind die Basis für gute Wissenschaft. Doch gerade die Natur ist zu komplex, als dass alleine die Wissenschaftler alle Daten erfassen könnten, die für bestimmte Projekte nötig wären.
Und nicht immer kann der Computer den Menschen ersetzen. So ging es auch dem britischen Astronomen Prof. Chris Lintott von der Universität Oxford. Wie sollten er und seine Mitarbeiter Millionen von Galaxien nach ihren Formen sortieren?
2007 baten sie im Netz um Hilfe und entwickelten dazu die Online-Plattform Galaxy Zoo. Ein Teleskop im Südwesten der USA liefert die Bilder der Galaxien. Nun klassifizierten Spieler die Sternenansammlungen nach Form und Farbe.
Die Resonanz hat auch die Wissenschaftler überrascht: Innerhalb des ersten Jahres haben 150.000 Menschen an dem Astronomieprojekt teilgenommen und mehr als 50 Millionen Klassifizierungen vorgenommen.
Mmanchmal entdecken Hobbyforscher sogar mehr als die Profis: So hatten User seltsame grüne Punkte gesehen, die sich als eine ganz neue Galaxienart herausstellte.
Für viele Forschungsaufgaben sind mehr Augen, Ohren und Hände nötig, als die Wissenschaft alleine leisten bieten kann, um wirklich erfolgreich zu sein. In Zusammenarbeit mit den Bürgerforschern gewinnen beide Seiten.
Galaxien klassifizieren nach Form und Farbe – Zuhause am PC
Quelle: SWR | Stand: 24.01.2021, 23:00 Uhr