Lösung ohne zentrale Steuerung
Ameisen benötigen keinen Anführer, der sagt, wo es langgeht, sondern spezielle Regeln, die sie befolgen. Der Schwarm organisiert sich selbst. Forscher wollen von den Ameisen lernen, um etwa Routen zu berechnen oder schwierige Aufgaben zu lösen.
Wissenschaftler waren lange davon überzeugt, dass das Verhalten von Tieren in Schwärmen etwas mit übersinnlicher Wahrnehmung zu tun habe.
Inzwischen können sie das Verhalten eines Schwarms auch wissenschaftlich erklären: Reagieren die Mitglieder einer Gruppe gemeinsam auf Veränderungen in ihrer Umwelt, entwickeln sich Regeln der Interaktion. Forscher sprechen davon, dass ein komplexes, anpassungsfähiges System entsteht.
In seinem Buch "Schwarmintelligenz" (2009) veranschaulichte der australische Physiker und Schwarmforscher Len Fisher dies anhand des Beifalls während eines Konzerts. Beginnt ein Zuschauer zu klatschen, kann er viele andere dazu bringen – bis schließlich das ganze Publikum applaudiert.
Fisher zieht folgenden Schluss: Die Kräfte, die von dem Einzelnen ausgehen, sind nicht linear. Das Individuum kann demnach unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Gruppe ausüben.
Fallen Konzertbesucher beim Klatschen in einen bestimmten Rhythmus, so ist dies eine spontane Reaktion des Publikums – und nicht der einzelnen Zuschauer. Forscher sehen darin eine grundlegende Eigenschaft des Schwarmes: Eine Gruppe von Individuen löst eine Aufgabe ohne zentrale Steuerung, die ein einzelnes Gruppenmitglied nicht bewältigen könnte.
Der Applaus geht von der ganzen Menge aus
Mathematiker nehmen die Ameisen zum Vorbild
Schätzungsweise zehn Billiarden Ameisen gibt es auf der Erde. Viele von ihnen leben in Kolonien mit mehreren Millionen Tieren. Auf ihrer Nahrungssuche folgen die Ameisen einem bestimmten Prinzip: Sie versuchen, immer den kürzesten Weg zur Nahrungsquelle einzuschlagen.
Um diesen zu finden, untersuchen Kundschafter die Umgebung rund ums Nest. Sie hinterlassen auf ihrer Suche einen Duftstoff – ein Pheromon –, um die Route zu markieren.
Der Kundschafter, der den kürzesten Weg zur Mahlzeit gefunden hat, kehrt als Erster ins Nest zurück. Auf dem Rückweg hat er die Strecke ein weiteres Mal markiert. Die anderen Ameisen orientieren sich später an dieser doppelten Duftspur, um ebenfalls zur Nahrung zu gelangen.
Mathematiker nutzen die Schwarmintelligenz der Ameisen etwa, wenn sie die kürzeste Strecke zwischen mehreren Punkten ermitteln wollen.
Solange die Anzahl der Routenpunkte übersichtlich bleibt, lässt sich die beste Fahrtzeit mithilfe eines Computers relativ einfach ermitteln. Dieses rein rechnerische Verfahren wird jedoch umso komplexer, je mehr Koordinaten hinzukommen.
Ameisen prüfen Odysseus' Heimreise von Troja
Fisher gibt hierfür folgendes Beispiel: Odysseus bereiste auf seiner Heimreise von Troja nach Ithaka 16 Inseln. Was ist die kürzeste Verbindung? Um die Antwort zu erhalten, müsste man Milliarden von Routen (653.837.184.000) vergleichen. Um das Rätsel zu lösen, orientieren sich Forscher am Vorbild der Ameisen.
In Computersimulationen schicken sie virtuelle Ameisenkundschafter auf eine Rundreise zu allen 16 Inseln. Wenn eine Kundschafter zum Ausgangsort zurückkehrt, gibt er an, wie groß die Entfernung ist, die er zurückgelegt hat. Jeder Streckenabschnitt wird bewertet: Je kürzer die Reise war, desto höher die Punktzahl im Ranking.
Wie in der realen Welt nutzen die virtuellen Ameisen, die nun folgen, verstärkt die Route mit dem besten Ranking. Die kurzen Routen erhalten verhältnismäßig mehr Punkte als die langen. So liefern die Ameisenalgorithmen eine möglichst optimale Route, ohne dass der Computer alle sonst notwendigen Rechenoperationen durchführen muss.
Schwarmverhalten als Vorbild für Computerprogramme
Bessere Lösungen imitieren
Die US-Forscher Russell Eberhart und Jim Kennedy führen die Idee der Ameisenalgorithmen noch einen Schritt weiter. Ihr Computerprogramm funktioniert ähnlich wie "eine Prüfung, bei der Schummeln erlaubt ist" (Len Fisher).
Erst erarbeitet jede Ameise für sich die beste Lösung. Danach vergleichen die virtuellen Tiere ihre Ergebnisse und tauschen die besten Lösungen untereinander aus. So lernen sie voneinander und kommen gemeinsam zum besten Ergebnis.
Die Forschung von Eberhart und Kennedy ist auch für den Menschen durchaus alltagsrelevant: Hat jemand eine bessere Lösung gefunden als wir, sollten wir diese am besten übernehmen.
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 23.03.2020)
Quelle: WDR