Serengeti-Nationalpark

Die große Wanderung der Gnus

Mehr als eine Million Gnus, flankiert von etwa 200.000 Zebras, bahnen sich ihren Weg durch die Savannenlandschaft der Serengeti – eines der größten Naturspektakel der Welt.

Von Birgit Amrehn

Wanderung im Kreisverkehr

Eine afrikanische Legende besagt, dass Gott die Gnus aus übrig gebliebenen Einzelteilen zusammengesetzt hat. Einen Schönheitswettbewerb gewinnen die Tiere sicherlich nicht, dafür sind sie unglaubliche Überlebenskünstler.

Durch ihr Nomadenleben nutzen sie das Ökosystem der Serengeti perfekt aus. Wie Perlen auf einer Schnur wandern die Tiere eines dem anderen hinterher. Bis zu 3200 Kilometer legen sie dabei jedes Jahr in der Savannenlandschaft zwischen Tansania und Kenia zurück, immer im Kreis.

Sie folgen dem Regen, dem frischen Gras. Doch nicht nur die Gnus, das gesamte Ökosystem profitiert von ihrer Wanderschaft: Mehrere hundert Tonnen Dung produzieren sie am Tag. Dieser Dünger und das Abweiden des Grases lässt die Vegetation stärker wachsen.

Die Geburtswiese

Auf ihrer Wanderschaft legen die Gnus nur ein Mal eine längere Pause ein: In der Regenzeit zwischen Dezember und Juni bleiben sie in der vulkanischen Ebene des Ngorongoro-Kraters. Da wächst das Gras üppig, ist reich an Nährstoffen und Mineralien.

Hier im Osten der Serengeti bekommen die Gnus nach neun Monaten Tragzeit ihren Nachwuchs. Eine Massengeburt: Im Zeitraum von nur zwei bis drei Wochen bekommen 90 Prozent der Muttertiere ihre Kälber. Rund eine halbe Millione Neugeborene auf einen Schlag – da ist selbst für Löwen und Geparden der Tisch zu reich gedeckt.

Eine trickreiche Überlebensstrategie der Gnus, denn ganz frisch auf der Welt ist der Nachwuchs die leichteste Beute. Jedes Kalb ist eines unter vielen, das erhöht seine individuelle Überlebenschance. Denn die Feinde können trotz des Überflusses an Beutetieren nicht mehr fressen als normal.

Das Überleben der Gnus wird aber auch durch die Wanderschaft gesichert. Die etwa 4000 Löwen und 7500 Hyänen in der Serengeti folgen den Gnus nicht auf ihren Routen. Im Juni, wenn die Ebene austrocknet, geht es wieder los – nach Nordwesten.

Geburten im Minutentakt | Bildquelle: Reuters/Thomas Mukoya

Jäger und Gejagte

Vor Menschen sind die Weißbartgnus in der Serengeti weitgehend geschützt. Dort stieg die Zahl der Gnus von 500.000 Tieren im Jahr 1970 auf geschätzte 1,3 Millionen im 21. Jahrhundert an.

Zu den Schutzgebieten zählt als Kernzone der Serengeti-Nationalpark in Tansania und der Masai Mara Nationalpark in Kenia. Drumherum sind verschiedene Naturschutzgebiete als zusätzliche Pufferzonen gruppiert.

Dennoch bleibt es nicht aus, dass die Gnus auf ihrer Wanderschaft die Grenzen der Schutzgebiete überschreiten. Dies geschieht in besonders trockenen Jahren im Westen des Ökosystems. Hier leben traditionelle Jäger.

Sie benutzen für Wildtier und Fleisch das gleiche Wort: "Nyama". Aus den Drähten alter Autoreifen bauen sie Schlingen, in denen sich die Tiere qualvoll verfangen. Nicht immer jagen sie nur für den Eigenbedarf. Organisierte Wilderei nimmt immer mehr zu. Getrocknetes oder geräuchertes Wildfleisch aus der Serengeti ist auf fast jedem Markt der Umgebung zu kaufen.

Insgesamt 40.000 Tiere, überwiegend Gnus und Zebras, werden pro Jahr in dem Ökosystem gewildert. Ein großer Teil davon im Westen. Die schwelende Rivalität zwischen der armen Dorfbevölkerung und der Nationalparkbehörde ist ein großes Problem.

Besonders im Westen wird gewildert | Bildquelle: Dpa/NHPA/photosho

Schicksalsfluss Masai Mara

Je ausgedörrter die Savanne wird, desto stärker ist der Drang nach Norden zu ziehen – zur Masai Mara, wo die zerklüfteten Felsen des Riff-Valleys die letzten Regenfälle in der Trockenzeit auffangen.

Doch bevor die Gnus an die üppigen Weiden gelangen, lauert eine der größten Gefahren ihrer Reise: die Überquerung des Flusses Mara. Der Uferrand ist steil, die Strömung stark. Nur wenige Stellen eignen sich als Furt.

Hier sammeln sich die Tiere. Es scheint so, als ob keines das Erste sein möchte, denn im Wasser lauern Krokodile. Von hinten drängeln die ankommenden Gnus, nicht selten bricht unter den Tieren eine Panik aus. Einige werden dabei zu Tode getrampelt, andere von den Krokodilen unter Wasser gezogen.

Dramatische Szenen am Mara Fluss | Bildquelle: Interfoto

Am Ende erstürmen die Gnus das andere Ufer, den üppigen Weidegründen ein wesentliches Stück näher. Doch das Gras hat dort einen erheblichen Mangel: Ihm fehlt es vor allem an Phosphor, dem Stoff, den die Weibchen dringend für die Milchgewinnung brauchen.

Und so ziehen sie zur Regenzeit wieder zurück in die mineralstoffreichen Weiden des Ngorongoro-Kraters. Und alles beginnt von vorne.

Wanderung in Zukunft

Bereits in den 1950er-Jahren setzte sich Bernhard Grzimek mit seinem Sohn Michael für den Erhalt des Ökosystems ein. Auch heute spielt die Zoologische Gesellschaft Frankfurt bei dessen Schutz noch eine maßgebliche Rolle.

Sie finanziert zum Beispiel die Ausrüstung, Schulung und Gehälter der Wachposten. Auch die wiederkehrenden Zählungen des Wildtierbestandes werden von ihr durchgeführt.

Das Problem der Wilderei versucht die Zoologische Gesellschaft Frankfurt zusammen mit der tansanischen Regierung einzugrenzen. Die arme Bevölkerung soll zunehmend an dem Gewinn aus Tourismus und Großwildjagd beteiligt werden. Ob die Einheimischen die Tiere mehr schützen werden, wenn sie ihnen materielle Vorteile bringen, bleibt abzuwarten.

Nicht nur die Wilderei, auch die Landwirtschaft ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Im Quellgebiet des Maras werden Wälder abgeholzt. Großbauern nutzen das Land für Ackerbau und bewässern es künstlich.

Der Kampf um das kostbare Nass hat begonnen. Der Fluss führt immer weniger Wasser. Die Weidegebiete der Gnus werden trockener, Rinder grasen sie ab.

Die Gnus brauchen weiterhin Schutz | Bildquelle: imagebroker/Pete Walentin