- Aussterben im Turbogang
- Wozu Artenschutz?
- Manche Arten sind wichtig für das ökologische Gleichgewicht
- Lasst uns Jenga spielen!
- Wenn das Ökosystem zusammenklappt
- Wir brauchen Artenschutz – um uns selbst zu schützen
- Forscher und Politiker müssen zusammenarbeiten
- Die Abholzung des Waldes schadet den Tieren
- Schirmarten für die Natur
Aussterben im Turbogang
Tatsächlich sterben heute Tier- und Pflanzenarten in einer Geschwindigkeit aus, die seit dem Niedergang der Dinosaurier ihresgleichen sucht.
Der Verlust jeder einzelnen Art senkt die Stabilität der Natur. Ein endgültiger Zusammenbruch wäre mehr als nur unbequem. Auch für den Menschen.
Nach aktuellen Schätzungen der Weltnaturschutzunion (IUCN) sterben pro Tag drei bis 130 Tier- und Pflanzenarten aus. Dass Arten aussterben – das gab es schon immer.
Aber heute passiert das tausend- bis zehntausendmal schneller als in den vergangenen Jahrmillionen. Jede vierte Säugetierart, ein Drittel aller Amphibienarten und jede achte Vogelart sind gefährdet.
Die Hauptursachen: Lebensraumzerstörung, Klimawandel und Umweltverschmutzung, aber auch der illegale Handel oder das Einschleppen fremder Tierarten.
Ein Grund für das Artensterben: illegaler Tierhandel
Wozu Artenschutz?
Auch der Große Ameisenbär ist vom Aussterben bedroht. In einigen Teilen seines natürlichen Lebensraums gilt das große, charismatische Tier bereits als ausgestorben.
Obwohl der Ameisenbär mit seiner speziellen Nahrung durchaus eine Rolle im Gefüge der Natur spielt, hat sein Verschwinden in diesen Gegenden aber nicht zum Kollaps des Ökosystems geführt.
Wenn der Verlust von Ameisenbären oder anderen Tierarten also nicht das Ende der Welt bedeutet, brauchen wir dann überhaupt Artenschutz? Ob ein Tier wie der Ameisenbär ausstirbt, scheint die Natur nur begrenzt zu beeinflussen.
Manche Arten sind wichtig für das ökologische Gleichgewicht
Auf den ersten Blick macht die Natur so weiter wie bisher. Und auch der Mensch interessiert sich in der Regel nicht dafür – mit wenigen Ausnahmen.
Manche Schlüsselarten sind wichtig für den Menschen und die Natur. Das sind die Arten, bei denen so ziemlich alles aus den Fugen geraten würde, wenn sie fehlen. Auch wirtschaftlich.
Die Dienste, die etwa die Bienen dem Menschen leisten, lassen sich finanziell kaum beziffern. Das Aussterben der Bienen geht uns unmittelbar etwas an.
Denn: ohne Bienen keine Pflanzen, ohne Pflanzen keine Pflanzenfresser, ohne Pflanzenfresser keine Fleischfresser. Und damit auch kein Mensch – grob verallgemeinert.
Stirbt eine Schlüsselart wie die Bienen, führt das zum Kollaps von Ökosystemen
Lasst uns Jenga spielen!
Von solchen Schlüsselarten abgesehen führt aber nicht jede verschwundene Art direkt zum Zusammenbruch. Nur: Wie viele Arten dürfen aussterben, bis alles kollabiert? Wie hoch können wir noch pokern?
Die Natur kann man sich wie das Spiel Jenga vorstellen. Das ist das Spiel mit dem Turm aus Holzklötzchen: Die Spieler ziehen nach und nach die Klötzchen heraus und irgendwann kracht alles zusammen.
Die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten sind quasi die Jengaklötzchen der Natur. Wenn wir ein Klötzchen herausziehen, muss nicht gleich alles zusammenbrechen.
Je mehr Klötzchen oder Arten dann aber fehlen, desto wackliger wird das Ganze. Und vielleicht ist es am Ende das Aussterben des Ameisenbären, das zum Zusammenbruch führt. Oder eben nicht – aber wer weiß das schon?
Wenn das Ökosystem zusammenklappt
Wie der Jengaturm hat jedes Ökosystem – also jeder natürlicher Lebensraum mit all seinen Lebewesen – tatsächlich diesen einen Punkt, an dem es keine weiteren Veränderungen mehr erträgt und ohne Vorwarnung zusammenklappt. Wann dieser Punkt erreicht ist, lässt sich kaum vorhersagen.
Der Grund: Wie die Klötzchen im Jengaturm bedingen sich in der Natur alle Faktoren gegenseitig. Zudem sind die Jengatürme der verschiedenen Ökosysteme auf der Erde unterschiedlich stabil.
Ein Ökosystem mit wenigen Tierarten gerät schneller aus dem Gleichgewicht, wenn eine Art ausstirbt, als ein Ökosystem mit vielen Tierarten. Die Menge der Lebewesen in einem Ökosystem bezeichnen Forscher übrigens als "Biodiversität".
In den Gegenden, in denen der Ameisenbär heute schon ausgestorben ist, kam es zum Beispiel nicht direkt zum Kollaps des Ökosystems. Anders könnte es aber in Regionen aussehen, wo die Natur ohnehin schon durch den Verlust von Arten an Stabilität einbüßen musste, oder in denen das Ökosystem natürlicherweise fragil ist.
Ameisenbären ernähren sich jeden Tag von Unmengen an Ameisen und Termiten. Wenn diese natürlichen Insektenvernichter wegfallen, könnte das auch uns unangenehm auffallen.
Explodiert die Termiten-Population, wenn der Ameisenbär ausstirbt?
Wir brauchen Artenschutz – um uns selbst zu schützen
Durch das weltweite Artensterben wackeln die Jengatürme unserer Natur gewaltig. Wenn es ungebremst so weitergeht, wird es bald eng. Nicht nur für Pflanzen und Tiere, sondern auch für uns Menschen.
Denn unsere Lebensmittel werden nicht im Supermarkt, sondern in der Natur produziert. Solange diese intakt ist, liefert sie uns alles was wir zum Leben brauchen – und das kostenlos.
Aber was machen wir, wenn die Natur zusammenbricht? Dann wird es teuer bis unmöglich, die Ernährung der Menschheit zu gewährleisten.
Die Abholzung des Waldes bringt viele Tiere in Bedrängnis
Forscher und Politiker müssen zusammenarbeiten
Die Tier- und Pflanzenarten erfolgreich zu schützen – das ist wichtig, aber nicht so einfach umzusetzen. Das macht die Sache unübersichtlich. Die Erforschung von Ökosystemen ist daher entscheidend, um gut funktionierende Schutzmaßnahmen entwickeln zu können.
Mithilfe von Kamerafallen und durch jahrelange Beobachtungen konnten Forscher zum Beispiel aufdecken, dass der Große Ameisenbär mehr im Wald und weniger in der offenen Savanne lebt, als bisher angenommen.
Der Grund: Im offenen Grasland ist er mit seinem dunklen Fell sehr auffällig. Die Tiere durchqueren die Savanne nur auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Ansonsten brauchen Ameisenbären, wie viele andere Tierarten auch, unbedingt Baumkronen über sich, zum Schutz vor hohen oder sehr niedrigen Temperaturen sowie vor Räubern.
Die Abholzung des Waldes schadet den Tieren
Die Forschung konnte also zeigen, dass die Abholzungen die Tiere deutlich mehr in Bedrängnis bringen, als zuvor angenommen. Es ist also wichtig, weniger Wald abzuholzen und diesen wiederaufzuforsten, um den Ameisenbären und andere Arten zu schützen.
Die Politik liefert dann im Optimalfall die gesetzliche Grundlage dafür, dass die Forscher und Tierschützer ihre Maßnahmen auch umsetzen können. So ist es heute in einigen Regionen von Brasilien Vorschrift, bis zu vier Fünftel von privat bewirtschafteten Gebieten unter Schutz zu stellen. Dort ist es auch verboten, Wald abzuholzen.
Der Igel ist wie der Ameisenbär eine Schirmart
Schirmarten für die Natur
Die Bevölkerung trägt im Artenschutz jedoch die größte Verantwortung. Werbefiguren wie Pandabär und Co helfen, die Menschen für den Naturschutz zu begeistern. Diese Arten werden auch Schirmarten genannt, weil sie wie ein Schirm über der Natur ihrer Heimat stehen.
Der Igel ist so eine Schirmart in Deutschland. Tiere wie ihn finden wir niedlich und schützenswert. Darum legen wir einen Laubhaufen im Garten an, in dem ein Igel Unterschlupf finden kann. Dieser Laubhaufen bietet aber auch anderen Tieren Schutz, wie Mäusen, Spinnen und Würmern.
Die sind zwar auch sehr nützlich, haben aber aufgrund ihrer Optik keine große Lobby in der Bevölkerung. Der niedliche Igel steht somit wie ein Schirm über seinen gemeinhin eher unbeliebten Nachbarn.
So wie der Igel in Deutschland ist in Süd- und Mittelamerikas der Ameisenbär eine Schirmart für die dortigen Ökosysteme: Seine merkwürdige Erscheinung lockt Ökotouristen aus aller Welt und begeistert Einheimische für den Naturschutz. Vielleicht hilft das, einige der verbliebenen Naturparadiese zu erhalten.
(Erstveröffentlichung: 2017. Letzte Aktualisierung: 19.07.2019)
Lydia Möcklinghoff
Die Zoologin promoviert am Forschungsmuseum Koenig in Bonn. Seit vielen Jahren erforscht sie den Großen Ameisenbären im brasilianischen Outback.
Sie ist mehrfache Science-Slam-Gewinnerin und hat Bücher über den Artenschutz veröffentlicht.
Quelle: WDR