Autoland Deutschland
Interview mit Christian Beidl
Die Umweltbelastung mit Luftschadstoffen und Kohlendioxid steigt permanent. Insbesondere der Autoverkehr trägt einiges dazu bei. Jetzt sollen Elektrofahrzeuge das Klimaproblem lindern, die Ära der Verbrennungsmotoren scheint zu Ende zu gehen. Zu Recht? Welches Auto sollte man heute kaufen?
Von Marion Werner
Welche Antriebe belasten unsere Luftqualität am wenigsten?
Die heutige Technologie macht keinen Unterschied mehr in Bezug auf den Qualitäts-Impact. Es ist egal, welchen Antrieb Sie sich zulegen, ob Gasfahrzeug, Diesel, Batterie-Elektrisch, Hybrid oder Wasserstoff-/Brennstoffzelle: Der Unterschied in den Immissionswerten wird praktisch nicht mehr messbar sein. Das Thema Luftqualität hat demnach für die Diskussion zukünftiger Antriebe eine untergeordnete Bedeutung.
Natürlich wird man technologisch daran weiterarbeiten müssen und Testverfahren müssen weiter verfeinert werden, um zu überprüfen, ob die Richtlinien eingehalten werden. Aber als Differenzierung zwischen Antriebsarten spielt das Thema Luftqualität für den Kunden keine Rolle mehr.
Lithium-Ionen-Batterien versorgen Elektroautos mit Strom
Wieso riecht man dann die Abgase in den Großstädten so stark?
Das durchschnittliche Fahrzeug auf unseren Straßen ist um die neun Jahre alt. Viele Fahrzeuge sind vor etwa zwölf Jahren in den Markt eingeführt worden. Und die Technologie, die in solchen Fahrzeugen zum Einsatz kam, ist etwa vier Jahre vor Markteinführung eingefroren worden. Die Technologie des durchschnittlichen, heute auf den Straßen fahrenden Autos ist also in etwa 16 Jahre alt.
Das, was wir heute auf den Straßen wahrnehmen, ist der Gestank der Fahrzeuge, die in etwa 20 Jahre alt sind. Das trifft aber nicht auf die heutige Generation zu. Da ist es wichtig für den Endkunden zu unterscheiden: Das, was er im Moment auf der Straße erlebt, ist nicht mehr der Stand dessen, was er heute kaufen kann. Das betrifft die Luftqualitätsthemen wie Feinstaub und Stickoxide.
Der Elektroantrieb soll ja der klimafreundlichste Antrieb von allen sein mit null Prozent CO2-Ausstoß – stimmt das?
Der Elektroantrieb ist eine ganz prima Sache. Mit den Weiterentwicklungen der vergangenen Jahre haben wir erstmals seit 100 Jahren einen Stand erreicht, der Marktfähigkeit ermöglicht. Da gibt es eine ganze Reihe von Anwendungen, die sinnvoll sind. Niemand stellt in Frage, dass ein Postzustell-Fahrzeug am besten batterieelektrisch fährt. Für Fahrzeuge im regelmäßigen Pendlerbetrieb, die klein sind und für vorplanbare Strecken genutzt werden, eignet sich der batterieelektrische Antrieb hervorragend.
Das bedeutet aber noch nicht, dass der Elektroantrieb unendlich klimafreundlich ist. Er ist klimafreundlich im Sinne der lokalen Emissionen. Wenn wir nach der Klimafreundlichkeit der Produktion fragen und nach regenerativem Strom, sieht die Sache deutlich anders aus.
Sollten wir alles auf die Karte des Elektronantriebs setzen, so wie es im Moment in Deutschland gemacht wird?
Der Elektroantrieb wird nicht 100 Prozent aller Antriebe der Zukunft ausmachen, und das wäre auch nicht sinnvoll. Wichtig ist ein ausgewogener Pfad in Richtung Klimaziele. Kritisch am batterieelektrischen Fahrzeug ist natürlich die Batterie, denn die bringt einen vollen CO2-Rucksack, hohe Kosten, ein großes Gewicht und die nicht einfach lösbaren Anforderungen an die Ladeinfrastruktur mit sich. Das sind die Nachteile.
Ich plädiere für ein organisches, sinnvoll gefördertes und schrittweises Einführen dieser Technologie. Das wäre systemisch aus Sicht der Klimabilanz auch am sinnvollsten. Leider steht das im krassen Widerspruch zur europäischen Gesetzgebung.
Ladestation für Elektroautos – immer noch Mangelware
Wie sieht denn die europäische Gesetzgebung in Bezug auf die CO2-Bilanz von Autos aus?
Die europäische Gesetzgebung sieht vor, die CO2-Ziele für Fahrzeuge als sogenannte Tank-to-Wheel-Ziele zu formulieren. Die Gesetzgebung zieht dabei die Systemgrenzen so eng, dass nur der Elektroantrieb oder der Wasserstoff-Antrieb diese Ziele erfüllen. Andere Weiterentwicklungen, die systemisch zur CO2-Reduktion führen könnten, zum Beispiel synthetische Kraftstoffe, sind in dieser Gesetzgebung nicht berücksichtigt.
Ist die E-Mobilität nicht wichtig, um die Klimaziele zu erreichen?
Man hat sich über die letzten zwölf Jahre darauf eingeschossen, dass die Elektromobilität die Lösung für das Klimaproblem wird. Und man tut sich sehr schwer damit, von dieser Doktrin wegzukommen. Letztendlich hat man damit die Vorgaben für die Industrie gegeben. Jeder Hersteller muss sich ausrechnen, wie viele Elektrofahrzeuge er in den Markt bringen muss, um die Flottenverbrauchsziele zu erreichen. Das hat mit der CO2-Bilanz systemisch sehr wenig zu tun. Dagegen stelle ich mich sehr deutlich aus Sicht der Wissenschaft.
Für mich sind E-Mobilität oder nicht-fossile Kraftstoffe kein Widerspruch, sondern eine logische und zwingende Ergänzung. Wenn wir die Klimaziele ernst nehmen, müssen wir beide Wege beschreiten. Dabei wollen wir keine Kollateralschäden in Bezug auf Raubbau, fehlende Nachhaltigkeit, Kinderarbeit. Eine der Leitplanken heißt auch: Es ergibt keinen Sinn, mit Kohlestrom in China im großen Stil Batterien zu produzieren. Das stimmt systemisch nicht mit unseren CO2-Zielen überein. CO2 macht an Grenzen nicht Halt und ist ein globales Problem.
Was ist denn jetzt eigentlich ein Ökofahrzeug?
Dazu haben wir schon etliche Studien gemacht, mit verschiedenen Partnerinstituten und sind dabei zu überraschenden Ergebnissen gekommen. In der Ökobilanz ist ein Diesel-Fahrzeug der heutigen Emissionsklasse Euro 6d und in der Gesamtbetrachtung auf eine Lebensdauer von 100.000 Kilometer fast das ökologischste Fahrzeug, das wir heute haben.
Noch ein Tick besser wäre ein Gasfahrzeug. Weil für Gas die Umstellung auf regenerative Anteile noch leichter geht als bei synthetischen Flüssigkraftstoffen. Wer heute schnell etwas für die CO2-Bilanz tun und ein Universalfahrzeug kaufen möchte, sollte sich ein Gasfahrzeug zulegen und regenerativ erzeugtes Gas tanken.
Auch Erdgas-Autos wären eine sinnvolle ökologische Alternative zum Diesel oder Benziner
Sie sagen also, ein modernes Dieselfahrzeug ist ökologisch?
Dass die Dieselthematik bei uns so angespannt ist, ist ein spezifisch deutsches Problem. Man wird sich sicher einmal die Frage stellen müssen, was hier passiert ist. Denn aus Technologiesicht ist die negative Bewertung des Dieselmotors nicht begründbar. Ich wage dazu eine klare Aussage: Jemand, der heute ein neues Dieselfahrzeug kauft, braucht sich nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, nicht ökologisch bewusst vorzugehen. Und das ist nicht nur eine Momentaufnahme, sondern langfristig gültig, denn es werden gerade intensiv synthetische Dieselkraftstoffe erforscht. Fahrzeuge, die damit in Zukunft fahren werden, sind nicht nur sauber, sondern auch klimaneutral.
Was ist der Vorteil der synthetischen Kraftstoffe?
Bei den nicht-fossilen Kraftstoffen kann man die Herstellung und die Nutzung der Energie entkoppeln: Der Kraftstoff kann idealerweise mit regenerativen Energien erzeugt und dann über eine bereits etablierte und hochfunktionale Infrastruktur an die Automobile verteilt werden.
Sollten wir uns also lieber für die synthetischen Kraftstoffe als Technologieansatz entscheiden?
Nein: Die Dualität des Technologieansatzes ist wichtig. Man muss zum Teil mit Nachdruck gegen die auch in der Politik vorherrschende Polarisierung kämpfen. Es ist einfach nicht so, dass sich E-Fuels gegen batterieelektrische Antriebe stellen. Das sind zwei sich ergänzende Technologie-Pfade. Wir kommen dann auch noch zu Wasserstoff als drittem Pfad, der funktioniert in gleicher Weise und ist technisch gesehen auch ein E-Fuel.
Wo kann man denn die nicht-fossilen Treibstoffe tanken?
Man kann diese Treibstoffe noch nicht an einer Tankstelle kaufen. Wir haben in dieser totalen Fokussierung auf batterieelektrische Antriebe in den letzten 15 Jahren das Thema synthetische Kraftstoffe leider vernachlässigt und das in Deutschland vorhandene Wissen nicht genutzt. Deswegen sind wir da ziemlich hinterher und haben noch keine industrielle Verfügbarkeit synthetischer Kraftstoffe.
Es gibt ja auch noch den Wasserstoff-Antrieb – warum klappt es eigentlich mit dem nicht so richtig?
Ich würde nicht sagen, dass es nicht klappt. Es ist einfach noch nicht so weit für den Wasserstoff-Antrieb. Es gibt nur wenige Brennstoffzellen-Fahrzeuge auf dem Markt zum Beispiel von Toyota, Hyundai oder Daimler. Und die sind noch nicht tauglich für den Massenmarkt. Die Frage ist nicht, funktioniert die Technik, sondern: Wann kann sie zu vernünftigen Preisen auf den Markt gebracht werden? Und wann haben wir an geeigneter Stelle die nötige Infrastruktur? Die Brennstoffzellen-Technologie braucht also noch Zeit, um sich weiterzuentwickeln. Der Wasserstoffantrieb ist übrigens auch keine Konkurrenz zu den anderen Antriebstechnologien, sondern eine Ergänzung.
Betanken eine Fahrzeuges an einer Wasserstofftankstelle.
Quelle: SWR | Stand: 21.09.2020, 15:30 Uhr