Herr Professor Knie, sind Sie prinzipiell gegen Autos?
Ich bin nur gegen private Autos. Gegen Autos als geteilte Fortbewegungsmittel habe ich nichts. Die müssen aber vernetzt sein. Dann ist das Auto eine Teiloption von vielen anderen Fortbewegungsmitteln wie Fahrrad, Bahn, E-Roller etc.
Haben Sie ein eigenes Auto?
Ich hatte früher ein eigenes Auto – einen Opel Kadett. Dem hatte ich sogar eigene Rallyestreifen aufgemalt. Danach hatte ich einen Strich Achter von Mercedes. Dann kam der TÜV und trennte uns. Weil ich über Wankelmotoren habilitiert habe, fuhr ich kurz einen alten NSU Ro 80 – eines der wenigen Serienfahrzeuge mit Wankelmotor. Der war aber schon ziemlich angerostet. Mit dem bin ich bis 1991 nur spaßeshalber gefahren.
Ist die Luft in deutschen Städten seit den 1970er-Jahren besser geworden?
Pro gefahrenem Kilometer ist der Ausstoß an klassischen Stickoxiden und Schadstoffen zwar geringer geworden. Die Zahl der gefahrenen Kilometer ist jedoch immer mehr geworden. Auch die Motorleistungen sind immer größer geworden. Wir fahren immer schnellere Wagen und fahren damit immer mehr Kilometer, so dass die Effizienzeinsparungen insgesamt nicht so zum Tragen kommen.
Wir haben uns in den 1940er/50er-Jahren entschieden, das Auto als zentrales Mobilitätsgerät zu etablieren und zu favorisieren. Das haben wir ohne Maß und Verstand gemacht. Mit der Zeit ist das völlig aus dem Ruder gelaufen und lässt sich jetzt kaum mehr regulieren. Es werden viel zu viele Autos produziert.
Ist Deutschland ein Sonderfall, was die Liebe zum Auto anbelangt? Immer mehr Zulassungen, viele SUVs, keine Tempobeschränkung auf Autobahnen?
Fangen wir mal mit den Zulassungszahlen an. Bei uns in Deutschland werden im Jahr zwischen einem bis drei Prozent mehr Autos zugelassen. Das ist in etwa so wie überall auf der Welt. Das einzige Land, das im Moment keinen Zuwachs hat, ist die USA. Peak Car, also die Sättigungsgrenze, ist dort schon erreicht.
Die Zahl der zugelassenen SUVs ist in Deutschland besonders hoch. Je größer und je schluckkräftiger das Auto ist, desto günstiger ist es relativ gesehen.
Sie kriegen in Deutschland für wenig Geld viel Auto, denn es gilt hier die Formel: Große Autos – große Gewinne. Kleine Autos – kleine Gewinne. Und da kann man noch hinzufügen: Elektrische Autos – gar keine Gewinne.
Elektroautos zu produzieren, ist eine sehr kapitalintensive Geschichte: Die Maschinen und Werkzeuge sind noch nicht abgeschrieben und neue Fertigungsstraßen müssen etabliert werden. Das ist teuer. Etablierte und abgeschriebene Maschinen und Werkzeuge erlauben natürlich eine viel billigere Produktion.
Die deutschen Hersteller haben es bis heute so gehalten, dass die nicht elektrischen Autos in einem Preismix angeboten werden, während die elektrischen Autos ihre Kosten komplett auferlegt bekommen. Das macht die E-Autos natürlich ungleich teuer.
Bis jetzt hatte die deutsche Autoindustrie kein Interesse daran, Autos mit elektrischem Antrieb zu verkaufen. Das ändert sich gerade ein bisschen, mit der Plattformstrategie von VW. Aber Ford, Opel, Daimler und BMW haben die E-Autos separiert und ihnen alle Kosten auferlegt. Dementsprechend gibt es dort Kostenvorteile bei den Verbrennern für die Kunden.
Kommen wir nun zu den Autobahnen: 35 bis 40 Prozent der Autobahnstrecken sind in Deutschland temporeguliert. Der Rest ist frei. In der Gruppe "Freie Fahrt für freie Bürger" sind hauptsächlich ältere Menschen vertreten und zwar ältere Männer. Die jüngeren sind da sehr gelassen.
Ich erkläre mir das so, dass wir Deutschen aus der Vergangenheit herausfahren wollten. Wir wollten uns befreien aus der Last der schlimmen Zeit. Deswegen ist für uns die "Freie Fahrt für freie Bürger" zur nationalen Aufgabe geworden. Das ist nur eine Hypothese, die allerdings gut zu belegen wäre.
Automobilproduktion – Fertigungsstraße
Welche Rolle spielt der Lobbyismus?
Der Lobbyismus ist vor allem in den Köpfen der Politiker stark. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Kretschmann, wird gar nicht direkt von den Lobbyisten bespielt, sondern hat von sich aus im Kopf: "Ich muss die Arbeitsplätze schützen." Der deutsche Politiker hat einen Reflex, der heißt: "Oh Gott, die Arbeitsplätze." Das ist gelebter Lobbyismus.
Wir haben 835.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie – in der direkten Linie. Die sind hochbezahlt und werden beschützt. Da muss die deutsche Politik gar nicht von den Lobbyisten bespielt werden.
Die Automobillobby ist sehr aktiv im Verhindern von europäischen Standards. Ein Beispiel: Am 1.1.21 werden wir die 95 Gramm CO2-Flottenverbrauch-Grenze kriegen. Die hätten wir eigentlich schon vor drei Jahren kriegen sollen. Das hat die deutsche Autolobby-Politik verhindert. Gegen die deutsche Politik geht in der EU nichts – gar nichts. Wir sind der Bad Guy der europäischen Umweltpolitik. Das ist der Lobbyarbeit der deutschen Autoindustrie zu verdanken.
Ist das Auto in Deutschland ein Fetisch?
In den 50er-Jahren war das Auto in Deutschland ein Fetisch – ein Identifikationsobjekt. Wenn man etwas darstellen wollte, brauchte man ein Auto. Darauf war man stolz. Mit sechs Zylindern war man der König. Das ist heute kaum mehr so. Es gibt nur noch sehr wenige Menschen, bei denen das Auto noch diesen Status hat – aber das ist der Abspann.
Das Volksauto – VW 1200 beetle, 1068
Wie überzeuge ich Menschen, ihr Auto abzugeben?
Das ist von außen schwer zu schaffen. Das müssen die Leute selber merken. Es gibt zwei Sorten von Menschen: Die einen sagen: Das Auto, das ist nicht mehr das Maß aller Dinge. Die sind schon so weit. Die anderen verlassen sich immer noch komplett auf das Auto. Die sagen: Ich brauche das Auto so dringend, dass ich nicht darauf verzichten kann.
Denen muss man klar machen: Die Attraktivität des Autos ist eine politisch hergestellte Attraktivität. Denn man darf in Deutschland sein Auto im öffentlichen Raum einfach abstellen. Wenn man Glück hat, zahlt man dafür gar nichts, wenn man Pech hat, nur einen kleinen Obolus. Das ist ein Vorteil, den das Auto gegenüber jedem anderen Gebrauchsgegenstand hat. Man darf keine Couch und keine Kommode auf die Straße stellen. Gar nichts außer dem Auto. Das ist ein großes Privileg.
Das Bremer Laternen-Urteil von 1966 hat das Abstellen von Fahrzeugen im öffentlichen Raum legalisiert. Vorher war das verboten. Hier in Berlin haben Sie bis 1945 gar kein Auto zugelassen bekommen, wenn Sie keinen Stellplatz hatten. Andernorts wurde das Abstellen von Autos auf öffentlichen Flächen geduldet, weil immer mehr Leute zwar ein Auto, aber keinen dazugehörigen Stellplatz hatten.
Das ging so lange gut, bis ein Bremer Senator darauf hinwies, dass das gar nicht rechtens sei. Daraufhin taten sich einige Unternehmer zusammen und meinten: Wenn der Staat alles dafür tue, um den Bürgern ein eigenes Auto zu ermöglichen, dann müsse er auch etwas dafür tun, dass die Bürger ihre Autos abstellen könnten. In der Folge entschied das Bundesverwaltungsgericht, das Abstellen eines Pkw im öffentlichen Raum sei legal.
Welche Möglichkeit gibt es sonst noch, den Autoverzicht attraktiv zu machen?
Die Schweiz hat vor ein paar Jahren entschieden, das Abstellen von Autos im öffentlichen Raum grundsätzlich zu verbieten. Man darf aber als Kommune Flächen zum Abstellen von Autos frei lassen. Dass das bei uns in Deutschland anders ist, ist der eigentliche Skandal.
Es ist wichtig, dass ins Bewusstsein der Deutschen zu heben. Denn das eigentliche Problem beim Verkehr ist, dass alle sagen: Das Abstellen von Autos im öffentlichen Raum ist normal. Der Zustand, den wir im Moment haben, ist aber nicht vom Himmel gefallen. Das ist ein politisch gewollter Zustand, den man natürlich auch durch politische Maßnahmen ändern kann. Und zwar nur durch politische Maßnahmen.
Überfüllte Innenstädte – neue Verkehrskonzepte sind gefragt
Was halten Sie davon, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen, zum Beispiel billiger? In Wien kostet ein Jahresticket für den ÖPNV zum Beispiel um die 365 Euro.
Wien hat ein ganzes Paket von Maßnahmen aufgelegt. Da ist dieses Ticket nur ein Element. Der ÖPNV ist dringend von Grund auf zu modernisieren. Wir brauchen ein wirklich neues System, denn das, was wir gerade haben, ist eine Art Resteverwertung – gemacht für Leute, die nicht Auto fahren konnten. Das muss man technologisch völlig neu organisieren. Das kostet sehr viel Geld.
Allerdings sind die Leute auch bereit Geld zu bezahlen für einen ÖPNV, der funktioniert. Den ÖPNV freizustellen, ist die völlig falsche Richtung. Ein Euro pro Tag ist ein symbolischer Preis. In Wien zum Beispiel kostet das Abstellen vom Auto mindestens 130 Euro im Jahr. Vor der Einführung dieser Gebühr sagten viele Wiener: Wenn ich das Auto umsonst haben kann und nichts für einen Stellplatz in der Stadt bezahlen muss, dann fahre ich zwar mit der Tram, aber ich behalte mein Auto trotzdem. Erst seitdem der Abstellplatz kostet, hat sich das geändert und Wien hat ein wenig mehr Luft.
Wie kommen die Menschen in den autofreien Städten zurecht?
Autofreie Städte gibt es eigentlich fast gar nicht. Es gibt einige Quartiere in Köln und woanders, die mit Autoarmut umgehen, und die sind alle recht zufrieden. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn in diese Siedlungen ziehen natürlich nur die Menschen, die auf autofrei stehen. Niemand zieht in solch eine Siedlung, wenn er drei Oldtimer und zwei andere Autos besitzt. Die Leute, die in eine autofreie Siedlung ziehen, fahren oft schon vorher Lastenrad und nicht Auto.
Interessanter sind große Städte wie Wien, Gent oder Antwerpen, die große Teile ihrer Innenstadt privatautofrei gestellt haben. Die sind damit auch sehr zufrieden: Die Umsätze des Einzelhandels steigen wieder, die Menschen sind in der Lage, andere Verkehrsmittel zu gebrauchen.
In Zeiten des Internethandels sind die Menschen beim Einkaufserlebnis anspruchsvoller. Sie wollen eine schöne Einkaufs-Umgebung haben und nicht mehr an einer abgasbelasteten Straße mit Autoverkehr einkaufen. Wir können beobachten, dass die Einzelhandelsumsätze genau dort steigen, wo wir weniger Autos in der Stadt haben.
Autofreie Stadtbereiche sind noch eine Seltenheit
Was bekommt man an Lebensqualität, wenn man auf Autos in der Stadt verzichtet?
Erst einmal hat man wieder mehr Freiheit. Man muss nicht darauf achten, wo man sein Auto abgestellt hat, bis wann man da parken darf, wann die nächste Inspektion ansteht, ob genug Öl im Öltank ist und was das für ein komisches Geräusch hinten links ist.
Wenn ich ein Auto brauche, dann schaue ich auf die App, hole mir ein Auto und werde das auch schnell wieder los. In den Innenstädten bekomme ich mehr Flexibilität, mehr Freiheit ohne Auto. Das Leben wird so optionsreicher. Ich kann wählen zwischen U-Bahn, Auto, E-Roller und Fahrrad.
Das geht natürlich nicht, wenn Sie am Stadtrand oder auf dem Land wohnen. Da drücken Sie auf eine App, zum Beispiel Uber, und dann kommt jemand vorbei, der Sie mitnimmt. Das haben wir früher mit beim Trampen gemacht oder auch mit Mitfahrbänken.
Mit modernen Mitteln geht das einfacher. Digitale Plattformen sind zukünftig in der Lage, zumindest die Hälfte der Autobeförderung zu übernehmen. Der Rest wird von autonomen Shuttles übernommen. Die digitalen Mobilitäts-Apps zeigen einem zum einen, wo was fährt. Zum anderen koordinieren sie, wo wer von wem zur gemeinsamen Autofahrt abgeholt werden kann.
Die größte Herausforderung für das autonome Fahren sind die Städte. Weil Sie dort eine Komplexität haben, die Sie im Moment nicht in den Griff kriegen. Sie brauchen dafür eine reizarme Umgebung. Da sind Städte ungünstig. Wir gehen davon aus, dass sich autonome Fahrzeugflotten in der Stadt nicht durchsetzen, sondern dass sie eher etwas für den ländlichen Verkehr sind, wo Reizarmut im Umfeld herrscht.
Dort haben wir auch schon erste Anwendungen. Es gibt ja schon kleine autonome Shuttles, die in kleinen Dörfern unterwegs sind. Das werden wir in Zukunft immer mehr finden. Da besteht die Aussicht, dass sie deutlich günstiger zu betreiben sind als Busse oder Taxis.
Allerdings werden dafür getrennte Sphären nötig sein. Also ein Bereich, wo autonome Fahrzeuge unterwegs sein werden, zum Beispiel in größeren Quartieren, auf Krankhausbereichen, verkehrsberuhigte Siedlungen. Da wird dann der andere Verkehr aber deutlich eingeschränkt werden.
Das alles ist aber noch Zukunftsmusik, denn bis jetzt weiß es keiner, ob und wie das funktionieren wird. Die Experten sind sich einig: Wir kriegen solche autonomen Systeme, wenn wir sie dann auch einführen wollen. Sie kommen nicht einfach über Nacht. Alles werden die auch nicht können.
Quelle: SWR | Stand: 16.09.2020, 16:00 Uhr