Homer – Vater der Dichtkunst
Homer war ein griechischer Dichter und lebte vermutlich vor etwa 2800 Jahren. Er stammte vermutlich aus Kleinasien, von der anatolischen Westküste. Homer gilt als Urvater der europäischen Dichtkunst, seine beiden Epen "Ilias" und "Odyssee" gehören zu den ältesten Werken der abendländischen Literatur.
Der griechische Dichter schildert die sagenhafte Geschichte eines Krieges, in dem eine schöne Frau, Helden und Götter die Hauptrollen spielen. Die Troja-Erzählung, die zu den beliebtesten Stoffen der Weltliteratur gehört, war sicherlich keine Erfindung Homers. Damals wurde die Troja-Sage vermutlich von fahrenden Sängern und Dichtern immer wieder vorgetragen, verändert und verdichtet.
Wir wissen nicht viel über Homer. Es ist nicht einmal belegt, dass er wirklich gelebt hat und dass seine beiden Epen auch wirklich von ihm verfasst wurden. Aber es ist sehr wahrscheinlich. Der antike Geschichtsschreiber Herodot, der 300 Jahre später lebte, ging zumindest von einer historischen Person aus.
Homer soll seinerzeit ein Star gewesen sein, seine Vortragskunst war sehr beliebt. Mit den Heldengesängen vom Trojanischen Krieg begeisterte er die Mächtigen seiner Zeit auf vielen Vortragsreisen, die ihn durch die damaligen Fürstenhöfe führten.
Die Auseinandersetzung zwischen Agamemnon und Achilles um die Sklavin Briseis ist das Leitmotiv seiner Erzählung "Ilias". Die Sage endet mit dem Zweikampf zwischen den großen Protagonisten Hector und Achill.
In der Illias berichtet Homer jedoch noch nicht über das Ende des Trojanischen Krieges. Erst in der "Odyssee", dem zweiten großen Werk Homers, das die Irrfahrten des Odysseus erzählt, wird der Untergang Trojas geschildert.
Die griechischen Helden im Zelt des Achilles
Homer und die Entdeckung der Schrift
Homers größter Verdienst ist die schriftliche Fixierung: Er schrieb sein Werk auf und machte den Stoff dadurch nicht nur seinen Zeitgenossen, sondern auch uns zugänglich. Das war damals keine Selbstverständlichkeit. Genau zu Homers Lebzeiten entwickelte sich in Griechenland gerade eine neue Schrift.
400 Jahre zuvor – zu Zeiten des trojanischen Krieges - behalfen sich die Griechen noch mit der unvollkommenen Silbenschrift Linear B. Doch mit der Zerstörung der mykenischen Kultur 1200 Jahre vor Christus war diese Schrift verloren gegangen. Man nennt diese Epoche des kulturellen Niedergangs auch das dunkle Zeitalter Griechenlands.
Der trojanische Krieg fand der Legende nach etwa 1200 Jahre vor unserer Zeitrechnung statt. Für Homer lag die Zeit des besungenen Krieges also bereits ein halbes Jahrtausend zurück. Doch der Dichter beschreibt in seinen Epen nicht nur die fantastischen Begebenheiten einer mythischen Schlacht zwischen Heroen, Göttern und Sehern.
Seine Erzählungen sind zudem außergewöhnlich detailreich: Er schildert genau die Rüstungen und Waffen der Kriegsparteien, ihre Kopfbedeckungen, Riten, Kulte und viele andere Zusammenhänge, die es zu seinen Lebzeiten schon lange nicht mehr gab. So können Teile der homerischen Überlieferung wie eine Chronik gelesen werden, als Zeugnisse aus der Bronzezeit.
Im 12. Jahrhundert vor Christus schrieb man noch in der einfachen Linear-B-Schrift
Theorie der Oral History
Wie konnte Homer aber von solchen Details wissen, wenn er doch auf keine schriftlichen Zeugnisse zurückgreifen konnte? Spezialisten der homerischen Epen haben in jahrelanger Arbeit auf dem Feld der "Oral History", der Geschichtswissenschaft von der mündlichen Überlieferung, geforscht.
Die mündliche Überlieferung spielt eine große Rolle für die Rekonstruktion von Epochen, die keine Schrift kannten. Geschichten, Mythen und Traditionen wurden in diesen Kulturen von Generation zu Generation weitererzählt und erst viel später schriftlich fixiert.
Wenn aber die Sage vom trojanischen Krieg mündlich immer aufs Neue weitergegeben wurde, musste sie sich im Laufe der langen Zeit durch das Hinzufügen und Weglassen bestimmter Handlungsstränge so sehr verändert haben, dass von ihrem ursprünglichen Erzählkern kaum mehr als eine vage Erinnerung überlebt hätte. Es sei denn, der mündlich überlieferte Text wäre aus stilistischen Gründen unverändert weitergegeben worden.
Wenn wir ein Gedicht aufsagen oder einen Abzählreim, transportieren wir neben dem Inhalt auch Rhythmus und Reimschema. Rhythmus und Reimschema bewirken im Gegenzug, dass der Text wortwörtlich weitergereicht wird.
Diese Idee greift der Basler Homerforscher Joachim Latacz auf und führt als Beleg die strenge Form des Hexameters an. Der Hexameter – das rhythmische Versmaß der Homerschen Epen – ist das Stützkorsett für den Inhalt: Die Texte sind durch Rhythmus und Reim leichter lernbar und können so auch über große Zeiträume hinweg weitergegeben werden. So ist es also durchaus möglich, dass die Sage von Troja über mehrere Jahrhunderte hinweg nicht verändert wurde.
Ein Fragment von Homers Ilias aus dem 6. Jahrhundert vor Christus
Quelle: SWR | Stand: 22.01.2020, 14:07 Uhr