Demonstrantin mit einem Schild 'Schnauze voll'.

Deutscher Bundestag

Bürgerbeteiligung

"Die machen ja doch, was sie wollen!" Viele Menschen ziehen sich aus der Politik zurück, weil sie das Gefühl haben, dass Politiker ihre Anliegen ignorieren. Zwei Demokratieforscher wollen diese Entwicklung stoppen – mit Zukunftsräten und einer "Konsultativen".

Von Beate Krol

Die drei Gewalten der modernen Demokratie

Im Jahr 1748 erschien in Genf ein Buch, das unter den Zeitgenossen große Aufmerksamkeit erregte: "Vom Geist der Gesetze". Sein Autor, der französische Baron und Jurist Montesquieu, forderte darin, die Herrschaftsbereiche des Staates zu trennen. So entstanden die drei Gewalten, auf denen die moderne Demokratie bis heute ruht: die Exekutive (ausführende Gewalt), die Legislative (gesetzgebende Gewalt) und die Judikative (rechtsprechende Gewalt).

Dank der Gewaltenteilung bleibt die Macht in der Balance, weil sich Exekutive, Legislative und Judikative gegenseitig kontrollieren. Bei aller Kritik an der Demokratie steht die Gewaltenteilung deshalb nicht zur Diskussion.

Allerdings haben viele Menschen das Gefühl, dass die drei Gewalten zunehmend über der Gesellschaft schweben und wichtige politische Fragen ausklammern. Nach dem Motto "Wir wissen schon, was gut für euch ist. Lasst uns mal machen."

Eine vierte Gewalt mit Bürgerbeteiligung

Die Direktorin des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts, Patrizia Nanz, und der renommierte Politikwissenschaftler Claus Leggewie teilen diesen Eindruck und schlagen deshalb vor, eine neue vierte Gewalt einzuführen, in der die Bürger die entscheidende Rolle spielen sollen: die "Konsultative".

In einer solchen beratenden Gewalt sollen sogenannte Zukunftsräte Lösungen für komplexe mittel- und langfristige Probleme erarbeiten, wobei sie der Generationengerechtigkeit verpflichtet sind. Diese Lösungen sollen die politischen Gremien anschließend diskutieren und umsetzen. Lehnen sie die Vorschläge der Bürger ab, müssen sie ihre Entscheidung begründen.

Die Demokratieforscher versprechen sich von einer Konsultativen, dass die politischen Entscheidungen besser werden, weil die Zukunftsräte "die Weisheit der Vielen" und "lokales Laienwissen" nutzen. Außerdem könnte die Pflicht, die Bürger auf allen Ebenen zu konsultieren, informelle Politiknetzwerke aufbrechen und die Macht der Ministerialbürokratie schwächen.

Auf diese Weise würde auch die Legislative wieder gestärkt, weil die Regierungsparteien nicht mehr wie gewohnt politische Entscheidungen mit ihrer Parlamentsmehrheit und dem Verweis auf "Sachzwänge" durchziehen könnten, sondern diskutieren müssten.

Handgeschriebene Zettel mit politischen Forderungen an einer Wand.

Vorschläge der Konsultative müssen politische Gremien diskutieren

Die Zukunftsräte sollen aber auch in die Bürgerschaft wirken. Die Wissenschaftler wollen die 15 bis 50 Mitglieder per Zufallsprinzip auswählen lassen, damit auch diejenigen mitreden, die sonst eher schweigen. Außerdem soll die Zusammensetzung der Zukunftsräte die Bevölkerung widerspiegeln und für Menschen ab 14 Jahren offen sein.

Damit würden sich die zunehmend auseinanderdriftenden Gruppen in der Bevölkerung zumindest in der Konsultativen wieder mischen und einander zuhören. Und mit den Jungen säßen auch diejenigen am Tisch, die von den langfristigen Folgen der politischen Entscheidungen am stärksten betroffen sind.

Experimente mit Bürger- und Zukunftsräten

Fragt sich noch, wie realistisch die Einführung einer vierten Gewalt ist. Bislang werden in Deutschland Beteiligungsverfahren nur punktuell eingesetzt und es gibt keinen rechtlichen Rahmen.

Angesichts zunehmender Politikverdrossenheit und dem Erstarken populistischer Bewegungen und Parteien tut sich aber etwas. In Baden-Württemberg experimentieren bereits etliche Kommunen mit Bürger- und Zukunftsräten. Dort gibt es sogar eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung.

Auch Bonn und Leipzig setzen auf Bürgerräte, und selbst die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD haben eine bessere Bürgerbeteiligung in Aussicht gestellt: "Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte parlamentarisch repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann", heißt es im Koalitionsvertrag.

Vorbild für alle ist das österreichische Bundesland Vorarlberg, wo Bürger- und Zukunftsräte seit 2013 in der Landesverfassung festgeschrieben sind und laut Auskunft aller Beteiligten sehr erfolgreich arbeiten.

Quelle: SWR | Stand: 06.01.2020, 13:42 Uhr

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