Auschwitz
Auschwitz in Kino und Theater
Theodor W. Adorno schrieb 1949: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch." Dennoch ging das kulturelle Leben auch nach den Massenmorden in deutschen Konzentrationslagern weiter. Schriftsteller, Filmemacher und Künstler haben sich seitdem in ihren Werken mit dem Thema Auschwitz beschäftigt.
Von Sine Maier-Bode
Die 1950er: "Die Mörder sind unter uns"
In den 1950er Jahren ist der Zweite Weltkrieg erst seit einigen Jahren vorbei. Die meisten Deutschen wollen von ihrer jüngsten Geschichte nicht mehr viel wissen. Viele sind kurz nach Kriegsende von den Besatzungsmächten gezwungen worden, die grauenhaften Bilder von den befreiten Konzentrationslagern wie Auschwitz anzusehen. In den Kinos haben Wochenschauen die Leichenberge gezeigt, die bei der Befreiung der Konzentrationslager entdeckt wurden.
Doch mit dem Ende des Umerziehungsprogramms der Alliierten wollen sich die Deutschen wieder dem Alltag zuwenden. Nur wenige begreifen es als ihre Aufgabe, das Thema aufzuarbeiten.
Einer von ihnen ist Wolfgang Staudte. Sein Film "Die Mörder sind unter uns" erzählt bereits 1946 von einem Offizier, der in Polen unschuldige Geiseln erschießen ließ und nun als vermeintlich ehrenwerter Fabrikant am Wiederaufbau Deutschlands beteiligt ist. Dass Staudte damit die Realität des deutschen Wiederaufbaus treffend beschreibt, wollen die meisten nicht wahrhaben.
Der Film "Die Mörder sind unter uns" von 1946 beschäftigte sich mit den Verbrechen der Deutschen
Als 1956 der Dokumentarfilm "Nacht und Nebel" von Alain Resnais bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt werden soll, schreitet die Bundesregierung über die deutsche Botschaft in Paris ein. Sie bittet darum, den Film nicht zu zeigen, der auch Archivmaterial aus den Lagern Majdanek und Auschwitz verwendet. Der Hass gegen die deutsche Bevölkerung solle nicht wiederbelebt werden.
Der Film läuft außerhalb des Festivals. Ein Jahr später ist er auch in der Bundesrepublik zu sehen. Die Übersetzung wird von der Bundesregierung finanziert. Übersetzer ist der früher selbst inhaftierte Jude Paul Celan, dessen Gedicht "Die Todesfuge" bis heute als eines der größten literarischen Werke über den Holocaust gilt.
1956 wird auch zum ersten Mal das "Tagebuch der Anne Frank" in deutschen Theatern aufgeführt. Vor allem junge Leute fühlen sich von den persönlichen Aufzeichnungen des jungen Mädchens angesprochen, das im Konzentrationslager in Bergen-Belsen starb.
Anne Franks Tagebuch wurde weltberühmt
Die 1960er: Prozesse als Theaterstück
Der Eichmann-Prozess von 1961 und der Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 schaffen eine neue Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Vor allem drei Theaterstücke, die auch im deutschen Fernsehen zu sehen sind, geben Anlass zu öffentlichen Diskussionen.
1963 findet die Uraufführung von Rolf Hochhuths Stück "Der Stellvertreter" statt. Es thematisiert die Rolle der katholischen Kirche während der Nazizeit und wirft Papst Pius XII. vor, zu den Morden wissentlich geschwiegen zu haben.
1964 läuft ein Fernsehspiel von Heinar Kipphardt. "Die Geschichte von Joel Brand" erzählt von einem Geschäft, das auch ein Gericht in Jerusalem beschäftigt hatte: Die Nationalsozialisten hatten einer jüdischen Hilfsorganisation in Ungarn 1944 einen Tausch angeboten – das Leben von einer Million Juden gegen 10.000 Lastwagen.
1965 hat das Theaterstück "Die Ermittlung" von Peter Weiss Premiere. Weiss hatte den Auschwitz-Prozess besucht und die Presseartikel ausführlich studiert. In seinem Stück sprechen die Schauspieler die Zeugenaussagen des Prozesses nach. Und die der Angeklagten, die nichts gesehen und nichts gewusst haben wollen.
Das Stück wird zum Politikum – vor allem deshalb, weil Peter Weiss sich als Sozialist begreift. Es ist die Zeit des Kalten Krieges in Deutschland, und jede Kritik an einem der deutschen Staaten wird als feindlich bewertet. Erst allmählich entwickelt sich eine Gegenbewegung: Die Generation der 68er fordert eine Neuorientierung der deutschen Politik und Ungehorsam gegen eine Gesellschaft, die in ihren Augen immer noch eine Nazigesellschaft ist.
Die 1970er bis 2000: Von "Holocaust" bis "Schindlers Liste"
1970 besucht der neue Bundeskanzler Willy Brandt Warschau. Ungeachtet des Protokolls kniet er vor dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus' nieder. Er demonstriert damit etwas, das lange in der deutschen Öffentlichkeit fehlte: Demut.
Sein Nachfolger Helmut Schmidt ist der erste deutsche Bundeskanzler, der Auschwitz besucht.
Helmut Schmidt besucht das KZ Auschwitz
Für die große Menge der deutschen Bevölkerung wird Auschwitz erst 1979 zum Thema. Zur besten Sendezeit strahlt der WDR die Fernsehserie "Holocaust" aus.
Die Geschichte der jüdischen Familie Weis wird zu einem Medienereignis. Die amerikanischen Macher der Serie haben das Thema fernsehgerecht aufbereitet und zielen auf die Emotionen der Zuschauer. Der große Erfolg gibt ihnen Recht.
Über die Identifizierung mit den einzelnen Schauspielern scheint es möglich zu sein, wieder über Auschwitz zu berichten. Das zeigen auch Filme wie "Schindlers Liste" von Steven Spielberg.
Und dennoch: "Es gibt kein Ende der Geschichte – ein glückliches schon gar nicht," sagte der Dokumentarfilmer Claude Lanzmann im Jahr 2000. Sein neunstündiger Dokumentarfilm "Shoah" lässt Menschen zu Wort kommen, die den Holocaust miterlebt haben – als Täter, als Opfer oder als Mitwisser.
(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 22.11.2019)
Quelle: WDR