Der Zweite Weltkrieg prägt ihn
Helmut Kohl wurde am 3. April 1930 geboren und war damit zu jung, um im Zweiten Weltkrieg als Soldat an die Front geschickt zu werden. Die Schrecken des Krieges erlebte der Sohn eines Finanzbeamten dennoch hautnah mit: Als Mitglied eines Schülerlöschtrupps musste er nach Bombenangriffen auf seine Heimatstadt Ludwigshafen Verletzte und Tote bergen und Brände löschen. In den letzten Kriegsmonaten fiel sein älterer Bruder Walter.
Kohl wurde in Berchtesgaden zum Fliegerabwehr-Helfer ausgebildet, kam aber nicht zum Einsatz. Später beschrieb Kohl seine Kriegserlebnisse als prägend für seine Persönlichkeit und sein Wirken als Politiker.
Kohl war als Kind schon sehr gesellig: Gleich nach dem ersten Schultag brachte "Helle" – so sein Spitzname – ein paar seiner neuen Freunde mit nach Hause. Als Schüler war er eher mittelmäßig. In der Clique gab er aber gerne den Ton an – und setzte seine Position als Anführer notfalls auch mit Prügeln durch.
Noch während seiner Schulzeit trat Kohl in die Christlich Demokratische Union (CDU) und die Junge Union ein. Er beteiligte sich rege an politischen Diskussionen und Versammlungen. Oft war er der Jüngste unter den Anwesenden.
Neben den Vorbereitungen aufs Abitur, das er 1950 ablegte, arbeitete Kohl auf dem Bau und als Tankwart und konnte sich ein gebrauchtes Motorrad leisten. Auf eine seiner ersten Spritztouren nahm er eine 16-Jährige aus der Nachbarstadt mit: Hannelore Renner, die elf Jahre später seine Frau wurde.
Die Heimat der "Reben und Rüben" industrialisieren
1950 begann Kohl in Frankfurt sein Geschichts- und Jurastudium, ein Jahr später wechselte er an die Universität in Heidelberg. Kohl wohnte weiter zu Hause und finanzierte sich sein Studium unter anderem als Steinschleifer bei BASF. Parallel zum Studium engagierte er sich verstärkt in der CDU. Als Berufswunsch gab er halb ernst, halb im Scherz an, er wolle "Konrad Adenauers Sekretär" werden.
Nach seiner Promotion 1958 ging Kohl in die Politik, war gleichzeitig aber auch als Referent eines Chemieverbands tätig. Mit 29 wurde er jüngster Abgeordneter im rheinland-pfälzischen Landtag. Kohl machte sich einen Namen als Macher. Sein Ziel: Die Pfalz, die als Heimat der "Reben und Rüben" galt, zu modernisieren und zum Industrieland umzuwandeln.
Er propagierte einen offenen Politikstil und setzte sich für mehr Bürgernähe ein. Zusätzlich zu seiner Arbeit als Landespolitiker war er ab 1960 Stadtrat und CDU-Fraktionschef in Ludwigshafen. 1966 wurde Kohl Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen CDU, drei Jahre später Ministerpräsident. Mit 39 Jahren – so jung war kein westdeutscher Ministerpräsident vor ihm.
Kanzler im zweiten Anlauf
Kohl brachte in Rheinland-Pfalz große Reformen in der Verwaltung sowie im Sozial- und Gesundheitswesen voran. Als er bei den Landtagswahlen 1971 die absolute Mehrheit holte, wurden die parteiinternen Stimmen lauter, er solle in die Bundespolitik wechseln.
Nach der verlorenen Bundestagswahl von 1972 wurde der Hoffnungsträger Kohl 1973 zum Vorsitzenden der Bundes-CDU. Drei Jahre später trat er als Kanzlerkandidat an. Doch obwohl er 48,6 Prozent und damit das zweitbeste Unions-Ergebnis seit dem Krieg erreichte, gelang es ihm nicht, den amtierenden Kanzler Helmut Schmidt und dessen sozialliberale Koalition abzulösen.
Nach Mainz kehrte Kohl aber nicht zurück, er blieb als Oppositionschef in Bonn. Dort blies ihm zum ersten Mal in seiner Karriere heftiger Gegenwind um die Ohren: Viele Medien verhöhnten ihn wegen seines starken Dialekts und seines manchmal unbeholfenen Auftretens. Aus dem "schwarzen Riesen" wurde der "Oggersheimer", der Provinzler, der dem weltmännischen Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht gewachsen schien.
Auch in der Union kriselte es: Franz Josef Strauß, der Chef der Christlich-Sozialen Union (CSU) in Bayern, drohte mit der Abspaltung seiner Partei und bezeichnete Kohl als "total unfähig". Aber Kohl ließ sich nicht beirren.
1978 ließ er ein Grundsatzprogramm verabschieden, das die CDU als moderne Volkspartei positionierte. Nachdem Strauß 1980 als Kanzlerkandidat ebenfalls keine Mehrheit für die Union holen konnte, war zwei Jahre später wieder Kohl an der Reihe.
Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition löste er Helmut Schmidt mit einem konstruktiven Misstrauensvotum ab und wurde am 1. Oktober 1982 zum Bundeskanzler gewählt. Kohl versprach den Deutschen eine "geistig-moralische Wende" und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.
Anfang mit Fettnäpfchen
In seinen Anfangsjahren als Kanzler hatte Kohl kein glückliches Händchen. Er und seine Regierung waren in mehrere Affären verstrickt, auch außenpolitisch verhielt sich Kohl ungeschickt.
Er verglich den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow mit Hitlers Propagandaminister Goebbels und besuchte mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan den Soldatenfriedhof Bitburg, wo mehrere SS-Soldaten beerdigt sind. Auch die Arbeitslosigkeit in Deutschland blieb hoch. Dennoch gewann er die Bundestagswahl 1987 – wenn auch mit Verlusten. Die Kritik wuchs, auch innerhalb der Partei.
Doch Kohl pflegte weiter seinen Führungsstil, der vor allem auf persönlichen Kontakten beruhte. Seine Mitmenschen teilte er in drei Gruppen ein: Freunde, Feinde und Unwichtige. Kohl registrierte es, wenn ihm jemand einen Gefallen tat, und erwiderte die Geste.
Wer sich ihm jedoch in Weg stellte, konnte sich sicher sein, dass Kohl früher oder später Vergeltung üben würde. Er hatte ein sehr gutes Gedächtnis. Und wo es versagte, nahm er sein kleines Notizbuch zu Hilfe, das er immer zur Hand hatte.
Sein wichtigstes Werkzeug war das Telefon: Nach 40 Jahren in der CDU hatte Kohl Verbündete bis in den kleinsten Ortsverein. Auch als Kanzler inszenierte er sich bodenständig und volksnah: Besuch empfing er gerne in Sandalen und Freizeitkleidung, seinen Sommerurlaub verbrachte er wandernd am Wolfgangsee, Staatsgästen tischte er sein Leibgericht auf – den Pfälzer Saumagen.
Der Kanzler der Wiedervereinigung
1989 ereigneten sich große weltpolitische Umwälzungen. Die Sowjetunion schlug einen Kurs der Entspannung und Öffnung ein, dem sich viele Staaten des Ostblocks anschlossen. Die Führung der DDR versuchte zunächst, sich dieser Entwicklung zu widersetzen, wurde aber schließlich von den Ereignissen überrollt: Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer.
Die Wiedervereinigung Deutschlands rückte auf einmal in greifbare Nähe. Und Helmut Kohl, dem oft ein passiver Politikstil des Aussitzens vorgeworfen worden war, wurde zum Akteur.
Er ergriff den "Mantel der Geschichte" und sorgte zielstrebig und schnell für die politischen Grundlagen der deutschen Einheit. Zusammen mit seinem Außenminister Hans-Dietrich Genscher band er die Nachbarstaaten, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion in den Prozess mit ein.
Als am 3. Oktober 1990 die Deutsche Einheit vollzogen wurde, war Helmut Kohl auf dem Zenit seiner Karriere angelangt. Er schrieb Geschichte – und viele Menschen im Osten und Westen feierten ihn dafür.
Die Sorgen im Ausland vor einem wieder erstarkten Deutschland versuchte Kohl zu zerstreuen. Die Wiedervereinigung sah er als einen Baustein hin zu einem neuen Europa. Die deutsche Einheit und die europäische Einigung waren für ihn "zwei Seiten derselben Medaille". Er leitete die Einführung des Euros, die Wirtschaftsunion und die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) in die Wege. 1994 wurde er noch einmal wiedergewählt, doch in dieser Amtszeit stieg der Unmut über den "ewigen Kanzler".
Die Wirtschaft im Osten Deutschlands besserte sich nicht so schnell, wie es viele erwarteten. Kohl galt weiterhin als jemand, der die Dinge aussitzt. 1998 kam dafür die Quittung: 16 Jahre Kohl waren genug, fand die Mehrheit der Wähler. Die Nachfolge im Kanzleramt trat Gerhard Schröder von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) an.
Spendenaffäre und Rückzug
Kohl war länger im Amt gewesen als alle seine Vorgänger. Und während seiner Regierungszeit hatten sich Deutschland und Europa grundlegend gewandelt. Doch seine Zeit als "Elder Statesman", der allseits respektiert, verehrt und um Rat gefragt wird, währte nicht lange.
Ende 1999 wurde eine Parteispendenaffäre publik, in deren Zentrum er stand. Kohl gab zu, für die CDU Spenden in Millionenhöhe entgegengenommen zu haben, ohne diese entsprechend zu deklarieren.
Woher diese Spenden stammten, sagte er nicht – mit Verweis auf sein "Ehrenwort", obwohl ihn das Parteispendengesetz dazu verpflichtete. Da im Kanzleramt wichtige Akten zu Waffenlieferungen und zum Verkauf eines Chemiewerks in Leuna unauffindbar waren, wurden Bestechungsvorwürfe laut.
CDU-Präsidium und -Vorstand rückten von Kohl ab, der freiwillig seinen Ehrenvorsitz ruhen ließ. Die Ermittlungen gegen ihn wurden zwar später eingestellt, das Verhältnis zu seiner Partei war aber nachhaltig gestört.
Auch Kohls Privatleben sorgte für Schlagzeilen. 2001 nahm sich seine Frau Hannelore, die an einer schmerzhaften Lichtallergie erkrankt war, das Leben. Sein Sohn Walter schrieb ein Buch, in dem er die Gefühlskälte, die ständige Abwesenheit und den Inszenierungswillen seines Vaters beklagte.
Auch Peter, Kohls zweiter Sohn, kritisierte seinen Vater öffentlich. Helmut Kohl, der nach einem schweren Sturz mit gesundheitlichen Problemen kämpfte und im Rollstuhl saß, heiratete 2008 erneut. In der Öffentlichkeit sah man ihn danach nur noch selten. Einst für sein riesiges Netzwerk bekannt, zog sich Kohl fast vollständig zurück und brach den Kontakt zu vielen alten Weggefährten und auch zu seinen Söhnen ab.
Am 16. Juni 2017 starb Helmut Kohl im Alter von 87 Jahren.
(Erstveröffentlichung 2013. Letzte Aktualisierung 31.03.2020)