Ein Vater spielt mit seinem Sohn.

Geschichte der Erziehung

Erziehungsstile

Lob und Unterstützung, Strafen und Verbote, liebevolle Zuwendung oder Vernachlässigung – wie Eltern ihre Kinder erziehen, ist höchst unterschiedlich.

Von Christina Lüdeke

Drei Aspekte von Erziehung

In Buchhandlungen finden sich zum Thema Erziehung zahllose Ratgeber. Titel wie "Die Rebellen bändigen", "Elterncoaching" oder auch "Die Gummibärchenmethode" versprechen Tipps für einen gelungenen Familienalltag. Die Vorschläge, die sich darin finden, sind meist alltagstauglich gehalten und spiegeln gesellschaftliche Trends wider.

Die tägliche Erziehungspraxis – also beispielsweise Lob, Strafen oder Zuwendung – ist jedoch nur ein Faktor, der den elterlichen Erziehungsstil bestimmt. Außerdem spielt die Erziehungseinstellung der Eltern eine Rolle: Halten sie es beispielsweise für entscheidend, die Kinder in ihren Wünschen erst einmal gewähren zu lassen, spricht man von Permissivität. Wem dagegen wichtig ist, dass die Kinder Anweisungen befolgen, der vertritt eine eher autoritäre Haltung.

Ebenso bedeutsam wie die innere Einstellung sind die Erziehungsziele: Wollen Eltern beispielsweise religiöse Normen vermitteln? Ist ihnen leistungsorientiertes Denken wichtig? Oder wollen sie ihre Kinder vor allem zur Selbstständigkeit erziehen?

Lewin und die Führungsstile

Die Erziehungsstil-Forschung geht typologisch vor, das heißt, sie gliedert das Verhalten von Eltern und Erziehern nach bestimmten typischen Merkmalen.

Einer der ersten Forscher in diesem Bereich war Kurt Lewin, ein amerikanischer Psychologe deutscher Herkunft. Da er selbst während der Nazi-Zeit aus Deutschland geflohen war, interessierte ihn vor allem, wie unterschiedliche Führungsstile auf Kinder wirken. Entsprechend legte er Ende der 1930er-Jahre seine Experimente an.

Lewin bildete mehrere Gruppen von Kindern im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren. Die erwachsenen Leiter dieser Gruppen hatten einen jeweils unterschiedlichen Führungsstil. Wie sie sich verhalten sollten, war von Lewin und seinen Forscherkollegen vorher genau festgelegt worden.

Sechs Kinder malen an einem Tisch

Kurt Lewin erforschte das Gruppenverhalten von Kindern unter verschiedenen Führungsstilen

Die Kinder trafen sich mehrere Monate lang regelmäßig mit ihren Leitern zu Bastel- und Werkarbeiten. Gespräche, Tätigkeiten sowie Verhalten von Leitern und Kindern wurden von Beobachtern dabei genau protokolliert. Lewin unterschied danach drei verschiedene Führungsstile:

  • Autoritärer Führungsstil: Dabei bestimmt der Leiter die Aktivitäten der Kinder, gibt Befehle und Kommandos, lobt und tadelt einzelne und arbeitet mit Drohungen, Strafen oder Einschüchterungen. In den autoritär geführten Gruppen entstanden in dem Experiment zwar gute Arbeitsergebnisse. Aber die Kinder waren wenig kreativ und spontan in ihrem Verhalten, dafür eher aggressiv und egoistisch.
  • Demokratischer Führungsstil: Hier gibt der Leiter der Gruppe einen Überblick über die Gesamtaufgabe und das Ziel, das erreicht werden soll. Alle wichtigen Entscheidungen werden in der Gruppe diskutiert, der Leiter spricht mit den Kindern über persönliche Probleme und gibt bei Schwierigkeiten mehrere Lösungsmöglichkeiten vor, aus denen die Kinder wählen können. Im Experiment waren die demokratisch geführten Gruppen besonders kreativ und spontan, die Atmosphäre war entspannter als in den anderen Gruppen, die Kinder zufriedener. Die Arbeitsergebnisse entsprachen in etwa denen der autoritär geführten Gruppen.
  • Laissez-faire-Führungsstil: Der Gruppenleiter verhält sich weitgehend passiv, bietet nur unterschiedliche Materialien an. Die Arbeitsergebnisse bewertet er nicht. Er ist freundlich, aber neutral in seinem Verhalten zur Gruppe. Die so geführten Gruppen waren unproduktiver als die anderen. Ein planloses, wenig zielstrebiges Verhalten herrschte vor. Dadurch waren die Kinder oft enttäuscht oder gereizt.

Die Typologie von Lewin ist bis heute sehr stark verbreitet und gilt als wichtige Grundlage für die Erziehungsstil-Forschung. Trotzdem wird das Konzept auch kritisiert: So erschien anderen Forschern die Einteilung in nur drei Führungsstile als zu undifferenziert und willkürlich.

Die Persönlichkeit der Kinder und situative Faktoren wurden in den Experimenten nicht berücksichtigt, außerdem können nur kurzfristige Auswirkungen nachgewiesen werden und kein nachhaltiger Einfluss auf die Persönlichkeit der Kinder. Weil die Begriffe "autoritär" und "demokratisch" aus der Politikwissenschaft stammen, sind sie außerdem gebunden an bestimmte Weltanschauungen.

Kind in chaotischem Kinderzimmer.

Laissez-faire: Die Kinder erhalten wenig Regeln und Vorgaben

Tauschs Dimensionen von Erziehung

Das deutsche Forscherpaar Anne-Marie und Reinhard Tausch begann in den 1960er-Jahren damit, Lehrer- und Erzieherverhalten zu untersuchen. Sie stellten fest, dass verschiedene Verhaltensweisen nicht voneinander unabhängig auftreten, sondern miteinander zusammenhängen. So wird beispielsweise ein Lehrer, der viele Verbote aufstellt, die Schüler auch oft kontrollieren und gegebenenfalls bestrafen.

Zunächst ging das Forscherpaar Tausch von zwei Dimensionen aus, die sie als grundlegend für das Verhalten von Lehrern und Erziehern ansahen. Dies war zum einen die emotionale Dimension, die eine Bandbreite zwischen emotionaler Wärme auf der einen Seite und emotionaler Kälte auf der anderen umfasste.

Die andere Dimension bezog sich auf das Lenkungsverhalten: Hier stand auf der einen Seite die maximale, auf der anderen die minimale Kontrolle der Schülerinnen und Schüler.

In dieses zweidimensionale System ließ sich auch das Konzept von Lewin integrieren: Den Laissez-faire-Stil sahen Tausch und Tausch als minimal kontrollierend an, auf der emotionalen Seite ist das Verhalten des Erziehers neutral. Den autoritären Führungsstil (Tausch und Tausch bezeichneten ihn als autokratisch) schätzten sie als maximal kontrollierend und emotional eher kalt ein.

Den demokratischen Führungsstil, den das Forscherpaar Tausch in sozialintegrativ umbenannte, sahen sie als eher emotional warm an, dabei nur mittelmäßig kontrollierend.

Später entfernten sich die beiden Forscher wieder von diesem zweidimensionalen Konzept. Sie entwickelten bis Ende der 1990er-Jahre vier neue Dimensionen von erzieherischem Verhalten:

1. Hier stehen Missachtung, Kälte und Härte auf der einen Seite, auf der anderen Achtung, Wärme und Rücksichtnahme.

2. Dabei geht es darum, wie gut sich der Erzieher in ein Kind oder Jugendlichen hineinversetzen kann; kein Verstehen steht bei dieser Dimension vollständigem Verstehen gegenüber.

3. Diese Dimension erfasst die Authentizität im Verhalten des Erziehenden; Fassadenhaftigkeit steht Echtheit gegenüber.

4. Hier liegt das Augenmerk auf die Entfaltungsmöglichkeiten, die eine Lehrkraft oder ein Erzieher den Schülerinnen und Schülern bietet. Einmal werden keine fördernden, nicht dirigierenden Tätigkeiten angeboten, auf der anderen Seite stehen viele fördernde, nicht dirigierende Tätigkeiten.

Lehrer erklärt Schülern ein Modell.

Das Lehrer- und Erzieherverhalten hat Einfluss auf die Kinder

Emotionale Wärme und Kontrolle

Andere Wissenschaftler hielten an der ursprünglichen Idee der unterschiedlichen Erziehungsstile fest, zum Beispiel das Forscherduo Eleanor Maccoby und John Martin oder ihre Kollegin Diana Baumrind. Sie unterscheiden vier beziehungsweise fünf verschiedene elterliche Erziehungsstile und beziehen dabei die beiden ursprünglichen von dem Forscherpaar Tausch entwickelten Dimensionen Kontrolle und emotionale Wärme in ihr Konzept mit ein:

  • Autoritärer Erziehungsstil: Die Eltern üben ein hohes Maß an direktiver Kontrolle aus. Das heißt, sie verlangen Gehorsam, ohne dabei dem Kind oder Jugendlichen gegenüber verhandlungsbereit zu sein. Dabei zeigen sie in ihrem Verhalten wenig emotionale Wärme.
  • Autoritativer Erziehungsstil: Auch diese Eltern kontrollieren ihre Kinder sehr stark, allerdings nicht in restriktiver (einengender) Form. Stattdessen gibt es feste, klare Regeln und eine so genannte unterstützende Kontrolle, die sich durch einfühlende Hilfe und rationale Erklärungen auszeichnet, die das Verhalten des Kindes beeinflussen sollen. Emotional sind die Eltern ihren Kindern gegenüber stark zugewandt.
  • Demokratischer Erziehungsstil: Er wird nur von Diana Baumrind, nicht aber von Maccoby und Martin angeführt und ist eine Art Abstufung des autoritativen Erziehungsstils. Die Eltern sind ihren Kindern gegenüber ebenso zugewandt, kontrollieren aber weniger stark.
  • Permissiv-verwöhnender Erziehungsstil: Hier gibt es nur wenig Regeln und Kontrolle für die Kinder, dafür viel Unterstützung und liebevolle Zuwendung. Im Kleinkindalter wird dieser Erziehungsstil oft auch als "bindungsförderliches Elternverhalten" bezeichnet. Das Wort "permissiv" kommt von lateinisch "permittere" und bedeutet soviel wie "zulassen", kennzeichnet also einen liberalen Erziehungsstil.
  • Zurückweisend-vernachlässigender Erziehungsstil: Wenig emotionale Wärme und wenig Kontrolle – diesen Eltern scheint die Entwicklung ihrer Kinder weitgehend egal zu sein.

Der Erziehungsstil der Eltern ist nur ein Faktor, der die Persönlichkeit eines Kindes in seiner Entwicklung beeinflusst. Selbst wenn ein Erziehungsstil mehr Risiken aufweisen mag, ein anderer weniger – damit ist im Einzelfall weder eine positive noch eine negative Entwicklung des Kindes garantiert.

Dennoch können verschiedene Studien wichtige Tendenzen aufzeigen: Am bedenklichsten für die Kinder ist der zurückweisend-vernachlässigende Erziehungsstil. Diese Kinder entwickeln keine sichere Bindung zu ihren Eltern, haben häufiger Probleme mit sich oder ihrer Umwelt als andere, weniger Erfolg in Schule und Beruf und sind eher gefährdet für Suchterkrankungen.

Nicht ganz so eindeutig sind die Forschungsergebnisse beim permissiv-verwöhnenden Erziehungsstil. Im Kleinkindalter gilt er als optimal, da die Kinder so die beste Bindung zu ihren Eltern aufbauen können, ein hohes Selbstvertrauen haben und so ihre Fähigkeiten optimal entwickeln können. Im späteren Alter können jedoch eher Schwierigkeiten in der Schule oder Anfälligkeiten für Suchterkrankungen auftreten, wenn dieser Erziehungsstil beibehalten wird.

Eine Familie liegt im Bett.

Im Kleinkindalter entsteht die Bindung an die Eltern

Der autoritative und der demokratische Erziehungsstil werden von vielen Wissenschaftlern als optimal nach dem Kleinkindalter eingeschätzt. Die hohe Emotionalität der Eltern und die Anteilnahme an dem Leben des Kindes führt in Kombination mit einer unterstützenden Kontrolle zu einem positiven Sozialverhalten und einem positiven Selbstbild. In Schule und Beruf können diese Kinder und Jugendlichen ihre Fähigkeiten zeigen und sind gleichzeitig wenig anfällig für Depressivität.

Der autoritäre Erziehungsstil wird dagegen als höchst problematisch angesehen. Die Kinder entwickeln nur schwer ein positives Selbstbild, sind eher ängstlich und leiden oft später unter Neurosen oder anderen psychischen Erkrankungen. Weil autoritär erzogene Kinder oft selbst körperlichen Strafen ausgesetzt sind, ist ihre Gewaltbereitschaft höher als die anderer Kinder.

Ein Vater ist kurz davor sein Kind zu schlagen.

Autoritär erzogene Kinder entwickeln nur schwer ein positives Selbstbild

(Erstveröffentlichung: 2013. Letzte Aktualisierung: 12.09.2021)

Quelle: WDR

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