Pharmaindustrie
Marketing-Strategien der Pharmaunternehmen
Die Pharmafirmen geben viel Geld aus, um ihre Medikamente zu vermarkten. Zwar ist es in Deutschland verboten, verschreibungspflichtige Arzneien direkt zu bewerben. Die Hersteller haben aber Strategien entwickelt, um ihre Produkte zu verkaufen.
Von Katrin Ewert
Werbung und Gesetz
Das Heilmittelwerbegesetz regelt in Deutschland die Werbung für Medikamente. Bei verschreibungspflichtigen Arzneien dürfen die Hersteller nur Leute vom Fach bewerben, darunter Ärzte und Apotheker. Die Pharmafirmen müssen in der Werbung die Wirkstoffe, Nebenwirkungen und Warnhinweise angeben.
Rezeptfreie Medikamente darf ein Arzneimittelhersteller hingegen öffentlich bewerben, etwa auf Litfaßsäulen oder im Fernsehen. Schmerztabletten, Salben oder Hustensaft – Mittel wie diese können die Verbraucher hier sehen.
Wer für sein Medikament wirbt, muss die Werbung lediglich mit folgendem Hinweis versehen: "Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker."
Die USA und Neuseeland sind die einzigen Staaten, in denen die Werbung mit rezeptpflichtigen Medikamenten erlaubt ist.
Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente ist in den meisten Ländern verboten
Teure Marketingkampagnen
Auch wenn direkte Werbung in Deutschland verboten ist, kennen die Hersteller einige Marketingstrategien, um den Umsatz ihrer Medikamente anzukurbeln und deren Bekanntheit zu steigern. Ein Großteil ihres Budgets fließt daher häufig ins Marketing.
Eine beliebte Strategie: das Produkt modifizieren. Das kann etwa eine neue Darreichungsform sein, etwa ein Gel statt einer Tablette. Die Hersteller erweitern immer wieder auch das Anwendungsspektrum: Aspirin soll so beispielsweise nicht nur Kopfschmerzen lindern, sondern auch das Wohlbefinden steigern und die Symptome einer Grippe abschwächen.
Pharmafirmen geben viel Geld für Marketing und Werbung aus
Um ihre Kampagnen zu planen, arbeiten die Pharmafirmen häufig mit PR-Agenturen, Ärzten und Selbsthilfegruppen zusammen. PR-Agenturen veranstalten Schulungen und Konferenzen für Mediziner, um die Aufmerksamkeit für das Medikament zu steigern.
Sie helfen, nach Meinungsführern zu suchen: Das sind Wissenschaftler oder Ärzte, die in ihrem Fachbereich hoch angesehen sind. Diese Meinungsbildner, die von den Pharmafirmen bezahlt werden, erwähnen das Medikament in ihren Vorträgen, Konferenzen und Artikeln. Sie steigern so die Aufmerksamkeit in den Fachkreisen und in der Öffentlichkeit.
In Deutschland arbeiten die forschenden Pharmaunternehmen zudem mit vielen verschiedenen Patientengruppen zusammen – teilweise finanzieren sie diese auch.
Manche Pharmaunternehmen betreiben zudem Informationswebsites, auf denen sie vermeintlich objektiv über bestimmte Gesundheitsthemen informieren. Über die Antibabypille etwa: Diese wirke positiv auf die Haut und die Blutwerte. Rechts und links sind schöne, nackte Frauen zu sehen. Und unten im Fuß der Website findet sich – was für ein Zufall – der Name des Herstellers und ein Link zu dessen Website.
Grenzwerte und "Prä"-Leiden
Eine weitere Strategie von Pharmaunternehmen: den Bedarf für ein Medikament schaffen. Je mehr Patienten es gibt, desto mehr kann der Arzneimittelhersteller verkaufen.
Und wann steigt die Nachfrage? Wenn die Grenzwerte sinken: Schon heute leidet fast die Hälfte der Deutschen an einem zu hohen Cholesterinwert – weil der Grenzwert abgesenkt wurde.
Ähnlich verhält es sich mit der Prophylaxe: Inzwischen behandeln die Ärzte Prä-Diabetes, Prä-Hypertonie, Prä-Demenz und Prä-Osteoporose – obwohl die vermeintlichen Patienten keine Beschwerden haben.
Krank oder gesund – das liegt oft im Auge des Betrachters
Erfundene Krankheiten
Solche Phänomene werden als erfundene Krankheiten (auf Englisch: "disease mongering") bezeichnet. Die Ärzte stellen demnach Diagnosen, um den Pharmamarkt zu erweitern. Kritikern zufolge geht die Industrie immer nach dem gleichen Schema vor:
- Normale Prozesse des Lebens werden als medizinisches Problem gesehen (zum Beispiel der Haarausfall des Mannes).
- Seltene Symptome werden als gravierende Krankheit dargestellt (zum Beispiel eine Erektionsstörung).
- Leichte Beschwerden werden zu Vorboten schwerer Leiden aufgebauscht (zum Beispiel Reizdarmsyndrom).
Wechseljahre beim Mann – echter Hormonmangel oder Marketing?
Ein verbreitetes Beispiel erfundener Krankheiten sind die Wechseljahre. Früher galten diese als ein normaler Prozess im Leben einer Frau. Heute lautet die Diagnose oft: Hormonmangel. Und her mit den Medikamenten!
Analog dazu sollen inzwischen auch viele Männer mittleren Alters an einem Testosteronmangel leiden. Besteht ein Behandlungsbedarf? In den meisten Fällen wohl eher nicht.
Das Sissi-Syndrom – eine reale Krankheit?
Das Sissi-Syndrom ist ein Beispiel dafür, wie eng Pharmafirmen mit PR-Agenturen zusammenarbeiten. Ende der 1990er-Jahre tauchte das Krankheitsbild vermehrt in den Medien auf.
Das Syndrom beschreibt eine Gruppe von Patientinnen, die sich sehr aktiv geben, aber vermeintlich an einer Depression leiden. Später kam heraus, dass eine PR-Agentur im Auftrag eines Pharmaunternehmens das Krankheitsbild erfunden hatte.
Um der Krankheit einen Namen zu geben, hatte die Agentur nach einer Identifikationsfigur gesucht: Kaiserin Elisabeth ("Sisi"), die unter dem Syndrom gelitten haben soll.
Ein anderes Beispiel ist die sexuelle Dysfunktion der Frau. 2015 wurde das Medikament "addyi" in den USA zugelassen, das sogenannte Viagra für die Frau. Das Mittel verursacht Nebenwirkungen wie Schwindel und Ohnmachtsgefühle, es sollte eigentlich als Antidepressivum dienen. Die Sexualstörung der Frauen sei nicht belegt und das Medikament überflüssig, sagen Kritiker.
Die sexuelle Dysfunktion der Frau gilt als erfunden – behandelt werden soll sie mit diesem Medikament
Natürlich wenden nicht alle Pharmaunternehmen solche Methoden an und nicht jede Krankheit ist erfunden. Bei umstrittenen Diagnosen sollten Patienten aber vorsichtig sein. Sie sollten sich über das Krankheitsbild informieren – und im Zweifel einen anderen Arzt aufsuchen, um eine zweite Meinung einzuholen.
(Erstveröffentlichung: 2015. Letzte Aktualisierung: 01.04.2020)
Quelle: WDR