Auf der Suche nach dem Gefühl
Was sind Emotionen? Eine eindeutige und allgemeingültige Definition gibt es bisher nicht. Die Wissenschaft stützt sich bis heute nur auf Arbeitsdefinitionen – eher vergleichbar mit einer Phänomenbeschreibung, als mit einer Definition im eigentlichen Sinne.
Sind es für die einen reine Reizreaktionsmuster, die durch Umweltgegebenheiten ausgelöst werden, sehen andere darin eine neurophysiologische Reaktion, die nur im Gehirn stattfindet und die wir nicht beeinflussen können.
Wieder andere vertreten die Auffassung, Emotionen stellten eine soziale Konstruktion dar. Letztlich komme es auf das uns prägende soziale Umfeld an, welche Gefühle wir in bestimmten Situationen hätten.
Um den Emotionen auf die Spur zu kommen, wagten Generationen von Wissenschaftlern einen Blick ins Gehirn. Was passiert in diesem Organ, was uns fühlen lässt? Beim normalen Betrachten eines Gehirns lässt sich das jedoch nicht erkennen. Auch Gewebeschnitte geben den Forschern zwar Einblicke in den Aufbau dieses Organs, sie bieten aber kaum Aufschluss darüber, wie es funktioniert.
Was passiert im Gehirn, was uns fühlen lässt?
Als geradezu bahnbrechend galten Experimente Mitte des 20. Jahrhunderts, bei denen Tieren, zum Beispiel einem Hahn, eine Elektrode ins Gehirn gepflanzt wurde. Mittels elektrischer Reize wurden unterschiedliche Gehirnareale stimuliert, die entsprechende Reaktionen hervorriefen wie Aggression und Kampfbereitschaft, Angst, Hunger oder Durst.
Solche Versuche wurden unter anderem 1962 in einer Fernsehreportage des Norddeutschen Rundfunks gezeigt und stolz als "Bilder von historischen Wert" verkauft.
Aber die Frage, was Emotionen denn nun sind, konnten auch diese Untersuchungen nicht wirklich beantworten. Zumal in dieser Zeit allgemein die Auffassung vertreten wurde, dass Tiere allenfalls angeborene Instinkte besitzen. Wirkliche Emotionen dagegen waren nach dieser Vorstellung nur dem Menschen vorbehalten. Eine Auffassung, die sich grundlegend geändert hat.
Das Gefühl gibt den Weg vor
Was hat es also auf sich mit dem Fühlen? Biologisch gesehen sind Emotionen komplexe Verhaltensmuster, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben. Aber wozu brauchen wir sie?
Emotionen helfen, damit wir uns im Alltag orientieren können. Viele Entscheidungen treffen wir "aus dem Bauch" heraus. Wir erleben das ständig, auch wenn uns das gar nicht bewusst ist.
Selbst wenn wir rational abwägen und die Vernunft entscheiden lassen wollen, ist es häufig dieser erste Impuls, der uns zu der einen oder anderen Entscheidung leitet.
Unsere Emotionen sind ein Bewertungssystem, das mehr oder weniger gut ausgestattet sein kann. Es ist nicht von Anfang an komplett, sondern wird durch unsere alltäglichen Erfahrungen ständig erweitert und verfeinert. Nichts, was wir erleben, bleibt ohne Wirkung.
So wird für jemanden, der nie einen Verlust erlitten hat, der Begriff Trauer keine große Bedeutung haben. Andererseits wird das Gefühl der Trauer und des Schmerzes umso größer sein, je bedeutsamer der Verlust ist, der einen Menschen trifft.
Jede Erfahrung, die wir machen, alles, was wir lernen, wird im Gehirn mit dem entsprechenden Gefühl verknüpft, das wir in dieser Situation empfinden.
Je intensiver dieses Gefühl ist, umso deutlicher bleibt es in unserem Gedächtnis verankert. Das Erlebte wird Teil unserer Lebenserfahrung. Je größer dieser Erfahrungsschatz ist, umso differenzierter wird auch unser emotionales Bewertungssystem.
Je intensiver ein Gefühl, umso deutlicher bleibt es in Erinnerung
Emotion und körperliche Reaktion sind untrennbar
Jedes Gefühl geht immer mit einer körperlichen Reaktion einher. Je intensiver die Gefühlsregung ist, umso deutlicher reagieren wir. Wir können lächeln oder lachen. Wir können sogar so lachen, dass uns die Tränen kommen. Wir weinen vor Freude, aus Rührung oder weil wir traurig sind.
Und natürlich können wir an diesen körperlichen Reaktionen auch erkennen, wie es anderen Menschen geht. Wir können sie nur anhand ihrer Körpersprache verstehen – ganz ohne Worte.
Dieses Zusammenspiel zwischen unseren Gedanken, Emotionen und unserem Körper ist untrennbar miteinander verbunden. Wissenschaftler sprechen von den somatischen Markern. Sie lassen sich auch in Laborversuchen messen. Den Versuchspersonen werden unterschiedliche Bilder gezeigt. Dabei zeichnen Sensoren im Gesicht die Muskelreaktionen auf.
Jedes Mal, wenn die Probanden emotional stark aufgeladene Bilder sehen, reagiert ein bestimmter Muskel oberhalb der Augenbraue. Das gleiche geschieht, wenn unangenehme Gedanken aufgerufen werden. Bei neutralen Bildern oder positiven Gedanken dagegen bleibt dieses Muskelspiel aus.
Diese Verkörperung von Gefühlen erleben wir ständig. Oft werden sie uns aber nur dann wirklich bewusst, wenn sie stark ausgeprägt sind. Wenn wir uns beispielsweise so gruseln, dass uns die Haare zu Berge stehen, wenn wir vor lauter Aufregung weiche Knie haben oder die nächste Toilette aufsuchen müssen. Die Liebe meldet sich mit Herzklopfen und "Schmetterlingen im Bauch".
Es ist auch möglich, diesen Effekt der somatischen Marker umzudrehen. So wie Gefühle in unseren Körper hineinwirken, können wir auch umgekehrt mit bewussten Körperhaltungen unsere Gefühle beeinflussen. Zum Beispiel lässt uns Angst oder Stress häufig zusammenkauern, unseren Körper verkrampfen.
Angst oder Stress lässt uns häufig zusammenkauern
Wenn wir uns dessen bewusst werden, können wir uns aufrichten, tief durchatmen und uns besser fühlen. Untersuchungen konnten sogar zeigen, dass pessimistische Menschen, die mit einem miesepetrigen Gesicht unterwegs sind, einen weniger gut durchbluteten Rücken haben.
Quelle: SWR | Stand: 10.12.2020, 12:41 Uhr